Bergisch-Märkische Eisenbahn

[227] Bergisch-Märkische Eisenbahn, seit 1882 verstaatlicht, die bedeutendste der drei großen westdeutschen Eisenbahnunternehmungen, die sich mit ihrem vielverzweigten Netz von 1334∙93 km von der belgischen und holländischen Grenze bis ins Herz von Mitteldeutschland, zur thüringischen Station Gerstungen erstreckte, und die Hauptverkehrsadern des niederrheinisch-westfälischen Industriegebietes durchzog.

Die Kernstrecke bildete die Linie Elberfeld-Dortmund (58 km). Bereits im Jahre 1826 waren in Elberfeld und Barmen Bestrebungen, das gewerbreiche Wuppertal durch eine Eisenbahn mit den Ruhrkohlenfeldern zu verbinden, hervorgetreten. Der Gedanke wurde zuerst wachgerufen von dem bekannten westfälischen Volksmann Friedrich Harkort und fand dann besonders in dem nachmaligen preußischen Staatsminister August Frhr. v. der Heydt einen seiner tatkräftigsten Förderer. Lange, an Hoffnungen und Enttäuschungen reiche Kämpfe kostete es, ehe man zum Ziele kam. Im Jahre 1836 erhielt eine Aktiengesellschaft in Elberfeld unter Vorbehalt die Konzession zum Bau einer Eisenbahn von Elberfeld nach Witten a. d. Ruhr, mußte jedoch bald darauf wieder zu gunsten einer Gesellschaft verzichten, die diese Linie als Teilstrecke einer großen Rhein-Weser-Bahn erbauen wollte. Letzteres Unternehmen scheiterte jedoch kläglich, und erst als David Hansemann dieses Projekt auf vollständig neuer Grundlage wieder aufgenommen hatte, und der Bau der Köln-Mindener[227] Bahn über Düsseldorf und Duisburg unter Umgehung des Wuppertals beschlossene Sache war, schritt man zum Bau der Linie Elberfeld-Dortmund. Am 18. und 19. Oktober 1843 wurde in Elberfeld die Bergisch-Märkische Eisenbahn – Gesellschaft gegründet und erhielt am 12. Juli 1844 die endgültige Konzession und Bestätigung. Ein Viertel des 12 Mill. M. betragenden Aktienkapitals übernahm der Staat. Am 9. Oktober 1847 konnte die Teilstrecke Elberfeld-Schwelm (12 km) für den Personenverkehr eröffnet werden. Zum weiteren Ausbau reichten die verfügbaren Mittel nicht. Mit Hilfe eines staatlichen Darlehens von 1,200.000 M. ermöglichte man es zwar, die ganze Strecke Elberfeld-Dortmund am 29. Dezember 1848 für den Güterverkehr und am 9. Dezember 1849 für den Personenverkehr in Betrieb zu nehmen. Die notwendigsten Bauausführungen aber, wie Empfangsgebäude, Güter- und Lokomotivschuppen fehlten noch; ebenso waren die Betriebsmittel im höchsten Grade unzureichend. Die ausgegebenen Prioritätsobligationen fanden keinen Absatz und das Geld ließ sich nur mit Hilfe der Königl. Seehandlung in Berlin beschaffen. Diese stellte jedoch zur Bedingung, daß neben der Verpfändung der gesamten Betriebsmittel die Verwaltung des Unternehmens auf den Staat übergehen müsse. Am 23. August 1850 wurde der sog. Betriebsüberlassungsvertrag abgeschlossen. Die gesamte Verwaltung, insbesondere die Befugnisse der Direktion, des Verwaltungsrates sowie der Generalversammlung (mit einer Ausnahme) gingen auf den Staat über, der als Bevollmächtigter der Gesellschaft für deren Rechnung den Betrieb leitete. Als verwaltende Behörde wurde in Elberfeld die königl. Direktion der Bergisch-Märkischen Eisenbahn eingesetzt, die seit 1854 den Namen königl. Eisenbahndirektion führte. Die Rechte und Interessen der Gesellschaft gegenüber dem Staat nahm eine Deputation von 5 Aktionären wahr, die in wichtigen Angelegenheiten, namentlich bei Feststellung der Fahrpläne, Tarife und Dividende, gutachtlich gehört werden mußte. Nach 10 Jahren stand sowohl dem Staat als auch der Gesellschaft eine Kündigung mit einjähriger Frist offen. Dauernd ging die Verwaltung auf den Staat über bei Erteilung der Konzession für die 1855 eröffnete Linie Dortmund-Soest (53∙5 km). Die Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn (26∙4 km) wurde 1857 erworben. 1861 war nach Erhöhung des Anlagekapitals der Bau der Ruhr-Sieg-Bahn (Hagen-Siegen 106∙1 km) vollendet, gleichzeitig auch eine Bahn zur Erschließung der Ruhrkohlenfelder von Witten nach Duisburg (54∙4 km) in Angriff genommen. Die Teilstrecken wurden einzeln in der Zeit von 1860 bis 1862 dem Betrieb übergeben. Damit war schon ein in sich geschlossenes System von Bahnen mit den Endpunkten in Duisburg, Düsseldorf, Siegen und Soest geschaffen. Die westliche Verbindungslinie Vohwinkel-Steele (33∙6 km), die die Gesellschaft bereits seit 1854 im Auftrage des Staates in Verwaltung hatte, wurde von ihr 1863 erworben. Um größere Transportlängen und konkurrenzfähige, selbständige Durchgangslinien zu bekommen, wurde nach dem Ausbau einiger kürzeren, aber sehr wichtigen Verbindungslinien 1866 die Aachen-Düsseldorfer und Ruhrort-Krefeld-Kreis-Gladbacher Bahn (129∙8 km) sowie die Strecke Viersen-Venlo (holländische Grenze, 22∙2 km) käuflich übernommen. Im Jahre 1868 wurde die Linie Haan-Mülheim a. Rh. (27∙7 km) eröffnet, außerdem wurden die bergischen Industriebezirke Remscheid und Solingen durch die Zweigbahnen Remscheid-Lennep-Barmen-Rittershausen (18 km) und Solingen-Ohligs (6∙2 km) erschlossen und die hessische Nordbahn (Warburg-Gerstungen und Hümme-Carlshafen 148∙7 km) angekauft. Hiermit war die größte Längenausdehnung erreicht. In den folgenden Jahren (bis 1874) wurde das Netz hauptsächlich durch Fertigstellung der Ruhrtalbahnen ausgebaut. (Düsseldorf-Kettwig-Dahlhausen-Hattingen-Herdecke-Schwerte-Arnsberg-Bestwig-Wartburg, 209∙6 km.) In Gemeinschaft mit der Berlin-Potsdam-Magdeburger Gesellschaft waren ferner die braunschweigischen Bahnen angekauft (1871) und durch die Verbindungsbahn Holzminden-Scherfede (49∙4 km, 1876 eröffnet) die großen Transporte vom Rhein nach dem Osten für die obere Ruhrtalbahn gesichert. 1879 wurde durch Inbetriebnahme der Strecke M. Gladbach-Roermond (20∙6 km) die sehr wichtige Verbindung mit dem Hafen von Antwerpen sowie 1880 auch eine rechtsrheinische Verbindung mit Holland durch Pacht der Strecke Bismarck-Winterswyk (59 km) geschaffen; in demselben Jahre ferner eine weitere selbständige Linie für den Kohlenverkehr Oberhausen-Herne (34∙5 km) eröffnet (1876 Essen-Schalke-Herne, 29∙4 km), (1880 Oberhausen-Katernberg, 14∙9 km).

Dieses Netz von Bahnen, das die Gesellschaft durch das ganze Kohlenrevier spannte, und durch dessen raschen und stetigen Ausbau sie vielfach erst die Grundlagen für den erstaunlichen Aufschwung der rheinisch-westfälischen Montanindustrie schuf, führte dazu, daß mehr als die Hälfte aller Transportleistungen – 1881 allein über 10 Mill. t auf Kohlen[228] und Koks kam. Auch im sonstigen wirtschaftlichen Leben war die Bedeutung dieses Unternehmens eine außerordentlich große. Neben den selbständigen Anschlüssen an die holländischen und belgischen Bahnen sowie die großen Rheinhäfen hatte es nach allen Richtungen hin Verbindungen mit den übrigen deutschen Eisenbahnen und nahm in seinem eigenen Gebiete linksrheinisch den Verkehr der Industriebezirke von Aachen, M. Gladbach und Krefeld sowie rechtsrheinisch des ganzen bergisch-märkischen und Siegerlandes mit ihren weltberühmten Erzeugnissen auf.

Das Anlagekapital betrug 581,347.462 M., wovon 210 Mill. M. Stammaktien, der Rest Prioritätsobligationen. Die Verzinsung betrug durchschnittlich in den ersten 10 Jahren 3%, stieg dann auf 71/2 (1861–1872 6–9%) und fiel seit 1873 durchschnittlich auf 33/4% (1873–1880 zwischen 3 und 51/2%). 1881 wurden 4∙8% bezahlt.

Nach den umfangreichen Verstaatlichungen der Jahre 1879 und 1880 in Preußen stand das Bergisch-Märkische Unternehmen mit seiner im internationalen wie im binnenländischen Verkehr gleich einflußreichen Stellung einer einheitlichen Verwaltung der neu erworbenen Bahnen hindernd im Wege. Von den 247 bergisch-märkischen Bahnhöfen waren nicht weniger als 76, u. zw. die wichtigeren, Wettbewerbstationen für die staatlichen Bahnen. Bei der staatlichen Verwaltung der Gesellschaft ergab sich auch ein Zwiespalt der Interessen insofern, als Staat nunmehr gleichzeitig Beauftragter und der Konkurrent der Gesellschaft war. Es wurde deshalb laut Vertrag vom 17. Dezember 1881 vom 1. Januar 1882 an Verwaltung und Betrieb des Bergisch-Märkischen Eisenbahnunternehmens für Rechnung des Staates geführt. Gleichzeitig gingen die satzungsmäßigen Befugnisse der Generalversammlung und der Deputation der Aktionäre auf die königliche Eisenbahndirektion Elberfeld über, insoweit sie nicht zur Durchführung des Vertrags und der formellen Auflösung der Gesellschaft bestehen bleiben mußten. Der Staat gewährte den Inhabern der Stammaktien eine feste jährliche Rente von 5% des Nennbetrags, also 15 M. für die Aktie zu 300 M., behielt sich aber das Recht vor, zu jeder Zeit das gesamte Eigentum der Bergisch-Märkischen Gesellschaft zu erwerben und ihre Auflösung herbeizuführen. In diesem Fall war er verpflichtet:


1. alle Prioritätsanleihen, die sich Ende 1881 auf 371,347.462 M. beliefen, sowie sonstige Schulden der Gesellschaft als Selbstschuldner zu übernehmen,

2. einen Kaufpreis von 210 Mill. M., dem Nennwert des Stammaktienkapitals entsprechend, an die Liquidatoren zur statutmäßigen Verteilung an die Aktieninhaber zu überweisen.


Aus Gründen finanzieller Art machte der Staat jedoch erst einige Jahre später von seinem Ankaufsrecht Gebrauch. Zum 1. Januar 1886 wurde formell die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft herbeigeführt.

(Vgl.: Archiv für Eisenbahnwesen. 1910, S. 353 ff.: Die Entwicklung der Bergisch-Märkischen Eisenbahnen.)

Waldeck.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 227-229.
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