Betriebsmittel

[318] Betriebsmittel (rolling-stock; matériel d'exploitation, matériel roulant; materiale mobile o di esercizio), die auf den Schienen rollenden Fahrzeuge, also Lokomotiven, Tender, Triebwagen, Personen-, Post-, Gepäck-, Dienst- und Güterwagen. Ferner zählen in der Regel auch die Werkzeug-, Hilfs-, Rettungswagen hierher sowie die Bahndienstwagen, Draisinen, Schneepflüge und sonstige Fahrzeuge, die zur Abwicklung des äußeren Betriebs dienen.

I. Bedarf. In der Regel wird jede neue Bahn, auch wenn sie gleich bei Betriebseröffnung in den Betrieb einer bestehenden Verwaltung übergeht, mit B. ausgerüstet; ebenso werden gewöhnlich für jede neueröffnete Strecke einer im Betrieb stehenden Eisenbahn B. beschafft. Nur ausnahmsweise kommt es vor, daß, insbesondere zur Ermöglichung des Zustandekommens kleinerer Nebenbahnen, eine Anschaffung von B. entfällt, und die Anschlußbahn, die den Betrieb übernimmt, letzteren mit ihren eigenen B. führt.

Die Ausstattung der dem öffentlichen Verkehr dienenden Bahnen mit B. soll sowohl was die Zahl als auch die Gattung des B. betrifft, eine den Anforderungen der Personen- und Güterverkehrs entsprechende sein. Bei den großen Schwankungen, denen der Umfang des Verkehrs und seine Beförderungswege unterworfen sind, ist es schwer, den Bestand der B. dem jeweiligen Bedarf richtig anzupassen. Daß jeder Anforderung des Verkehrs entsprochen werden könnte, auch wenn sie vielleicht nur an einzelnen Tagen des Jahres herantritt, ist von vornherein ausgeschlossen. Dazu würden so große Bestände und so umfangreiche Gleiseanlagen zur Unterbringung der zeitweilig nicht benutzten B. nötig sein, daß die Geldaufwendungen hierfür wirtschaftlich nicht gerechtfertigt werden könnten. Anderseits verlangen Handel und Verkehr, daß die Eisenbahnen in der Lage sind, auch gesteigerten Anforderungen zu entsprechen. Sehr weit ist man in dieser Beziehung in Belgien gegangen, wo die Bahnen nach der Rechtsprechung der Jahre 1897 und 1898 – vgl. Dr. Eger, Eisenbahnrechtliche Entscheidungen. Bd. 14 und 15 – auf die Unzulänglichkeit ihrer B. sich nur berufen können, wenn diese durch ganz unvorhergesehene Umstände hervorgerufen ist. Da erfahrungsgemäß in den Monaten September bis November eine größere Anzahl Wagen zur Rübenbeförderung gebraucht werden, so sind die Bahnen verpflichtet, auch diesen Bedarf zu berücksichtigen. Wenn trotz der angeführten Entscheidung die rechtliche Verpflichtung auch anfechtbar ist, so sind die Eisenbahnverwaltungen und besonders die staatlichen doch ernstlich bemüht, den Bestand an B. so zu bemessen, daß auch außergewöhnlichen Anforderungen des Verkehrs soweit wie irgend möglich entsprochen werden kann und Klagen der Beteiligten über Wagenmangel vermieden werden. Es liegt dies im eigenen Interesse der Verwaltungen, denn die zu Zeiten der Knappheit an B. erforderlichen Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, durch Steigerung der Betriebsleistungen den Mangel an B. auszugleichen, sind mit Ausgaben verbunden,[318] die mit steigendem Bedarf unverhältnismäßig schnell zunehmen. Hierin liegt ein mehr oder weniger zwingender Anlaß zur Erhöhung des Bestandes an B. Dieser ist außerdem fortlaufend; durch Ersatz der abgängigen und auszumusternden B. und durch den für die Verkehrssteigerung und die Eröffnung neuer Bahnstrecken nötigen Bedarf, zu ergänzen. Um beurteilen zu können, ob die Anspannung der B. innerhalb wirtschaftlicher Grenzen bleibt, bedarf es einer Überwachung ihrer kilometrischen Jahresleistungen durch statistische Aufschreibungen. Wenn die hieraus ermittelten Zahlen auch wegen der verschiedenartigen Betriebsverhältnisse einen Vergleich mit anderen Eisenbahnen nicht ohneweiters zulassen, so bieten sie doch für das eigene Bahnnetz einen Anhaltspunkt dafür, ob bei steigenden Anforderungen eine weitere Anspannung in der Ausnutzung der B. möglich und wirtschaftlich oder ob eine Ergänzung der B. geboten ist. Auf den preuß.-hess. Staatsbahnen betrugen z.B. die Lokomotivleistungen im Jahresdurchschnitt:


Betriebsmittel

Ein Vergleich der Zahlen für die verschiedenen Jahre ergibt, daß die Leistungen bis zum Jahre 1907 in höherem Grade gesteigert werden mußten, als die Vermehrung der Lokomotiven auf Grund der Schätzungen des zu erwartenden Verkehrszuwachses betragen hatte. Da gleichzeitig beobachtet wurde, daß die Betriebsleistungen nicht in gleicher Weise wie früher befriedigten – die Betriebszahl bewegte sich in stark ansteigender Richtung – so war eine Erhöhung des Lokomotivbestandes geboten. Die Wirkung zeigte sich an den Ziffern der Jahre 1908 und 1909. – In gleicher Weise werden Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage gewonnen, ob die Bestände der Personen- und Güterwagen als ausreichend angesehen werden können, oder ob eine Ergänzung notwendig ist und vorgenommen werden kann, ohne eine Beeinträchtigung der Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung befürchten zu müssen. – Auf den preuß.-hess. Staatsbahnen stellte sich die durchschnittliche Jahresleistung:


Betriebsmittel

Da in diesen Jahren eine erhebliche Verkehrssteigerung stattfand, so ergibt sich aus der Zusammenstellung, daß durch die Maßnahmen zur Ergänzung und Erhöhung des Wagenbestandes eine annähernd gleichmäßige Inanspruchnahme der Wagen erreicht worden ist.

Eine genaue Ermittlung der auszumusternden B. und des hierfür nötigen Ersatzes ist im voraus ebenfalls schwierig. Auch hier kann nur eine Schätzung stattfinden, die sich bei größeren Verwaltungen am besten auf den Umfang der Ausmusterungen in den Vorjahren stützt. Die B. sind auszumustern, wenn ihre Leistungsfähigkeit eine ungenügende geworden ist oder die Wiederherstellung in Rücksicht auf die zu erwartende Gebrauchsdauer nicht mehr lohnend erscheint. Erfahrungsgemäß findet nach Wichert (vgl. Archiv für Eisenbahnwesen. Berlin 1892, S. 1067) eine Ausmusterung von Lokomotiven bis zu ihrem 18. Gebrauchsjahre und von Wagen bis zum 24. Jahre gar nicht oder nur in geringem Umfange statt. Erst vom 30. Jahre ab pflegen die Wiederherstellungsarbeiten der Wagen und vom 25. Jahre ab die der Lokomotiven einen solchen Umfang anzunehmen, daß ihre Ausmusterung an Stelle der Wiederherstellung in Frage kommt Es wechselt deshalb bei größeren Verwaltungen die Anzahl der auszumusternden B. von Jahr zu Jahr nicht so sprunghaft, wie wegen der sonst in Frage kommenden verschiedenartigen Verhältnisse wohl angenommen werden könnte. Auch hat man es in der Hand, die Ausmusterung zu beschleunigen oder zu verzögern, so daß eine gewisse Stetigkeit, die sowohl wegen der Finanzgebarung als auch in Rücksicht auf die gleichmäßige Beschäftigung der Fabriken sehr erwünscht ist, erreicht werden kann. Bevor B. ausgemustert werden, wird stets geprüft, ob sie nicht für andere Dienstzwecke noch brauchbar sind. So werden z.B. die Arbeitswagen in der Regel aus alten Wagen mit geringer Ladefähigkeit hergestellt.[319]


Betriebsmittel

Bestand und Ausmusterung der B. der preuß.-hess. Staatsbahnen, die vorstehend für die Jahre 1900–1909 zusammengestellt sind, zeigen, daß in den Jahren 1905–1907 mit der Ausmusterung zurückgehalten wurde. Die Anforderungen des Verkehrs ließen dies geboten erscheinen. Der Rückgang in den Durchschnittsleistungen der B., bezogen auf 1 Achs/km vom Jahre 1908 ab zeigt, daß von diesem Jahre ab wieder regelmäßige Verhältnisse eingetreten sind.


Betriebsmittel

Um bei Bemessung des Bedarfs an B für den Verkehrszuwachs eine möglichst sichere Grundlage zu gewinnen, werden im Gebiet der preuß.-hess. Staatsbahnen Vertreter des Handels und der Industrie in den Hauptversandgebieten, besonders die Handelskammern, bei der Einschätzung der zu erwartenden Versandmengen an Massengütern – Steinkohlen, Braunkohlen, Zuckerrüben, Düngemittel – beteiligt. Der Bedarf an Wagen für den Versand aus den Industriegebieten in Rheinland, Westfalen und Oberschlesien ist hierbei von ausschlaggebender Bedeutung.

Der erste Bedarf an B. für neu zu eröffnende Bahnstrecken kann, wenn diese größeren Verwaltungen angehören, nach Erfahrungssätzen bestimmt werden. Bei den preuß.-hess. Staatsbahnen werden für neue Hauptbahnen 30.000 M. und für neue Nebenbahnen 20.000 M. für das km Bahnlänge zur Beschaffung von B. veranschlagt. Man kann den Bedarf genauer ermitteln, wenn man der Veranschlagung den Betriebsplan (s.d.) der Bahn zu gründe legt. Für die in diesem Plan vorgesehenen Züge wird der Umlauf der Personenwagen (s. Zugbildungsplan) und der Lokomotiven festgestellt und hiernach der Bedarf ermittelt, während die Zahl der erforderlichen Güterwagen aus den Gütermengen berechnet wird, die auf der Bahn zur Versendung kommen sollen. Dem sich hieraus ergebenden Bedarf ist ein Zuschlag für den Bereitschaftsdienst sowie für den durch Schadhaftwerden und die vorgeschriebenen Untersuchungen entstehenden Ausfall hinzuzurechnen. Obwohl durch Ausbesserung und Untersuchung der Güterwagen nur 3–6% dem Betrieb entzogen werden, so ist doch ein bedeutend höherer Anteil über den regelmäßigen Bedarf hinaus vorzuhalten, weil der Verkehr sehr wechselnde Anforderungen stellt und die in Bereitschaft gehaltenen B. nicht so ausgenützt werden können, wie die in regelmäßigem Umlauf befindlichen. Der Bedarf an Personenwagen kann auch für bestehende Bahnen ohneweiters aus den Zugbildungsplänen ermittelt werden. Es ist aber auch hier ein Zuschlag zu geben, der je nach den Verkehrsschwankungen ein erheblicher sein kann und zwischen 25% und 75% angenommen werden muß, um den Bedürfnissen für den Abgang nach den Werkstätten und den oft sehr erheblichen Anforderungen des Verkehrs während der Hauptreisezeit, für den Ferien-, Ausstellungs-, Ausflugsverkehr u.s.w. mit zahlreichen Sonderzügen jeder Art gerecht zu werden.

II. Bauart der B. Die Lokomotiven sollen zur Beförderung der für den Verkehr notwendigen Züge auf den eigenen Linien einer Verwaltung ausreichen. Die Zahl und Gattung der hiernach erforderlichen Lokomotiven zu bestimmen, bietet im allgemeinen geringere Schwierigkeiten als dies bei den übrigen B. der Fall ist. Der Bedarf für den regelmäßigen Verkehr ergibt sich aus den Umlaufplänen. Hinzuzurechnen ist ein Erfahrungssatz von 20–25% für die zur Ausbesserung und Untersuchung[320] in den Werkstätten befindlichen Lokomotiven. Außerdem ist eine gewisse Zahl von Lokomotiven auf einzelnen Stationen für außergewöhnlichen Bedarf bei Sonderzügen und für Vorspannleistungen in Bereitschaft zu halten. Die Zahl der für einen solchen Bedarf vorzuhaltenden Lokomotiven kann aber dadurch eingeschränkt werden, daß die Untersuchungs- und Wiederherstellungsarbeiten in den Werkstätten zur Zeit des schwachen Verkehrs ausgeführt und daß die sonst nur einfach besetzten Lokomotiven für die Zeit außergewöhnlicher Inanspruchnahme der B. doppelt besetzt werden. – Je geringer der Gesamtbedarf an Lokomotiven für den gewöhnlichen Dienst ist, desto größer ist vielfach der Bedarf für den Bereitschaftsdienst im Verhältnis zum Gesamtbedarf. Eine Bahnstrecke, auf der eine Lokomotive den gesamten Dienst verrichtet, bedarf in der Regel eine zweite Lokomotive, also 100% des Bestandes für den Bereitschaftsdienst. Andernfalls würde der Betrieb schon bei kleinen Beschädigungen der Lokomotive empfindliche Störungen erleiden. – Zur Erzielung einer wirtschaftlichen Betriebsführung ist großer Wert darauf zu legen, daß die Leistungsfähigkeit der einzelnen Lokomotivgattungen den Anforderungen des Verkehrs möglichst angepaßt wird. Eine Lokomotive arbeitet am billigsten, wenn ihre Leistungsfähigkeit voll ausgenutzt wird. Der Betrieb wird am billigsten, wenn die Zahl der Züge nicht größer ist, als unbedingt nötig. Wird nun die Lokomotive so gebaut, daß sie in der Lage ist, den schwersten vorkommenden Zug fortzubewegen, so ist auch dafür zu sorgen, daß diese Leistungsfähigkeit ausgenutzt wird. Durchaus unvorteilhaft ist die Verwendung von Vorspannlokomotiven, soweit es sich nicht um die Überwindung stark geneigter Teilstrecken handelt.

Die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Lokomotiven sind im Laufe der Zeit erheblich gestiegen. Nicht nur das Zuggewicht ist größer geworden (u. zw. allgemein bei allen Zuggattungen), sondern auch die Beförderungsgeschwindigkeit hat zugenommen. So ist z.B. das Zuggewicht der Schnellzüge von London nach Schottland, das 1864 100 t betrug, bis z. J. 1885 auf 250 t und bis z. J. 1903 auf 450 t gestiegen, während die Fahrgeschwindigkeit von 61 km auf 83 km i. d. St. anwuchs. Um solchen Ansprüchen zu genügen, mußten die Lokomotiven immer größer und schwerer gebaut werden. Die Zahl der Achsen, insbesondere die der Triebachsen wurde vermehrt, um das nötige Reibungsgewicht beim Anfahren und auf Steigungen zu gewinnen. Bei schnell fahrenden Lokomotiven trat das Drehgestell an die Stelle der vorderen Laufachse. Auf diese Weise entstanden nach amerikanischem Vorbild seit 1890 auch auf den europäischen Bahnen vierfünf- und sechsachsige Lokomotiven für den Personen- und Güterzugdienst, mit einer Leistungsfähigkeit bis 1800 Pferdestärken, einem Dienstgewicht von 77∙6 t für die Lokomotive und 50∙7 t für den Tender. Im Jahre 1910 fanden bereits bei 10 europäischen Eisenbahn Verwaltungen, abgesehen von den französischen und englischen, Geschwindigkeiten von 100 km in der Stunde regelmäßige Anwendung im Betrieb. Hierüber hinaus wurden Geschwindigkeiten über 100 km in der Stunde bis 129 km auf der französischen Ost-, Nord- und Orleansbahn und in größerem Umfange auch auf den englischen Bahnen angewendet. – Für die preuß.-hess. Staatsbahnen hat man berechnet, daß die Lokomotivleistungen vom Jahre 1894 bis zum Jahre 1909 im Schnell- und Eilzugdienst in Pferdekraftstunden um 565% zugenommen haben, im Personenzugdienst um 210%, im Güterzugdienst um 178%. Gleichzeitig war aber der Kohlenverbrauch – er betrug 1909 9,123.600 t im Werte von 114 Mill. M. – auf die Pferdekraftstunde berechnet, um 18% gefallen. Die durch Beschaffung leistungsfähiger Lokomotiven bewirkte Einschränkung der Vorspannleistungen hatte im Jahre 1909 eine Ersparnis von schätzungsweise 8 Mill. M. zur Folge. In anderer Weise werden die Fortschritte im Lokomotivbau dadurch gekennzeichnet, daß die Gewichtseinheit in t der fertigen Lokomotive heute rund 1000 M. kostet, das sind etwa 50% der Kosten für 1 t Lokomotivgewicht in der ersten Zeit der Eisenbahnen. Die Kosten, bezogen auf eine Pferdestärke, haben sich von einem Durchschnittswert von 240 M. auf 52 M. ermäßigt. Sie sind in 50 Jahren um 78% heruntergegangen. – Um größere Strecken ohne Aufenthalt durchfahren zu können, hat man den Wasserraum des Tenders für den gewöhnlichen Schnellzugsdienst bis auf 21∙5 m3 und für besonders lange Strecken bis auf 32 m3 vergrößert. In Amerika sind sogar für besondere Zwecke sechsachsige Tender mit einem Wasserbehälter von 54∙5 m3 Inhalt gebaut worden. In Deutschland können nunmehr Strecken wie Berlin-Hamburg (286∙7 km), München-Würzburg (277∙1 km), Berlin-Liegnitz (266∙6 km), Berlin-Hannover (254∙1 km) ohne Aufenthalt durchfahren werden, wobei die Schnellzüge im Gewichte von 500 t eine Geschwindigkeit von 100 km in der Stunde bei einem Triebraddurchmesser von 1∙98 m erreichen.[321]

Auch in der Bauart der Personenwagen zeigt sich eine weiter fortschreitende Anpassung an die Bedürfnisse des Verkehrs und eine größere Rücksichtnahme auf die Sicherheit und Bequemlichkeit der Reisenden. In England hatte man bei den ersten Eisenbahnen die Reisenden in drei Gesellschaftsklassen eingeteilt, drei Wagenklassen eingerichtet und hiernach die Fahrpreise bemessen. Nur bei den beiden ersten Klassen war auf Schnelligkeit und Bequemlichkeit bei der Beförderung Bedacht genommen und nur diese Klassen wurden in den Schnellzügen geführt. Wenn bei der weiteren Entwicklung des Eisenbahnwesens von dieser Klasseneinteilung auch vielfach abgewichen ist, so bildet sie heute doch noch die Grundlage für die Anordnung der Wagen. Bei den preuß.-hess. Staatsbahnen ist, im wesentlichen, um für Minderbemittelte eine billigere Fahrgelegenheit zu schaffen, eine weitere Wagenklasse, die 4. Klasse, entstanden und auch bei Einführung einheitlicher Personentarife im Jahre 1907 beibehalten, obwohl die süddeutschen Bahnen, mit Ausnahme der württembergischen, sich zu ihrer Einführung nicht entschließen konnten, und obwohl wichtige Gründe für eine Vereinfachung der Betriebseinrichtungen sprachen. Durch die in den Zügen mitzuführenden Wagenklassen und die bereitzuhaltenden Abteile (Raucher, Frauen u.s.w.), wird der Bedarf an B. erhöht, weshalb man eine Einschränkung dadurch herbeizuführen sucht, daß die Personenzüge, wie bisher schon auf den Nebenbahnen, möglichst ohne die 1. Klasse gefahren und einzelne besonders beschleunigte Schnellzüge nur mit der 1. und 2. Klasse ausgerüstet werden.

Bei dem Drängen nach Erhöhung der Bequemlichkeit können die Eisenbahnen sich dem Verlangen der Reisenden nach Einstellungen von Kurswagen (s.d.) nicht entziehen, so sehr hierdurch auch die Zugbildung erschwert, die Platzausnutzung verschlechtert und die pünktliche Abfertigung und Durchführung der Züge in Frage gestellt wird. Bei Zügen mit 3 Wagenklassen treten diese Übelstände in erhöhtem Maße auf. Die Bestrebungen zur Erzielung eines ruhigen Wagenlaufs haben dahin geführt, von dem kleinen 2achsigen Wagen nach amerikanischem Vorbild zum 4- und 6achsigen Drehgestellwagen überzugehen. Die 3achsigen Drehgestelle bilden heute die Regel bei Schlafwagen, Speisewagen und Salonwagen. Die bei ihrer Anwendung erwarteten Vorteile eines ruhigen Wagenlaufs und erhöhter Sicherheit gegen Entgleisungen im Falle eines Achs- oder Reifenbruchs sind gegenüber dem Nachteile einer weiteren Gewichtsvermehrung der Züge bisher nicht so in die Erscheinung getreten, als daß die Einführung 3achsiger Drehgestelle allgemein bei allen Personenwagen der Schnellzüge, insbesondere der D-Züge, in Aussicht stände. Für die Züge des Durchgangsverkehrs, die große Strecken ohne Aufenthalt zurücklegen und bei denen der Verkehr der Zwischenstationen verhältnismäßig gering ist, werden jetzt Wagen mit innerem Durchgang und Faltenverbindungen überall vorgezogen (s. D-Züge). Wo dagegen ein starker Zu- und Abgang von Reisenden auf den Unterwegsstationen stattfindet, ermöglichen Abteilwagen eine schnellere Abfertigung der Züge. Auf Bahnen, auf denen die Fahrkartenprüfung während der Fahrt erfolgt, müssen die Wagen inneren Durchgang erhalten. Dem Vorstehenden entsprechend werden auf den preuß.-hess. Staatsbahnen gegenwärtig für die Personenbeförderung folgende Wagengattungen beschafft: 6achsige Salonwagen, Krankensalonwagen, Hofwagen, Schlafwagen und 4achsige Durchgangswagen für D-Züge; 4achsige Abteilwagen für Eilzüge; 3achsige Abteilwagen für Personenzüge auf Hauptbahnen, 3achsige Abteilwagen mit innerer Verbindung der Abteile für Stadt- und Vorortverkehr; 2- und 3achsige Durchgangswagen für Nebenbahnen. Auf krümmungsreichen Nebenbahnen sind in Ausnahmefällen auch 4achsige Drehgestellwagen in Dienst gestellt, die geringere Zugkraft erfordern und bei denen eine geringere Abnutzung der Schienen und Radreifen stattfindet.

Auch bei den Güterwagen haben die Anforderungen des Verkehrs zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit und damit zur Vergrößerung des Ladegewichts und des Wagengewichts geführt. In Amerika bewirkte der Massenverkehr auf große Entfernungen sehr bald die Einstellung von 4achsigen Wagen mit 40–50 t Ladegewicht, bei denen das Verhältnis von Eigengewicht zum Ladegewicht auf 0∙4–0∙3 herabgemindert werden konnte. Im Gegensatz hierzu hielten die englischen Eisenbahnen noch bis vor wenigen Jahren an ihren kleinen Wagen mit 7–12 t Ladegewicht fest, bei denen das Verhältnis der toten Last zur Nutzlast 0∙5 beträgt. – Auf den übrigen europäischen Bahnen ist man nach und nach zum 15-t-Wagen und neuerdings zum 2achsigen 20-t-Wagen übergegangen, nachdem ein Versuch der preuß. Eisenbahnverwaltung, 4achsige Kohlenwagen mit 30 t Ladegewicht einzuführen, fehlgeschlagen war. Die für diesen Versuch im Jahre 1890 beschafften 100 Wagen wurden so wenig benutzt, daß sie zur Verwendung als Schienenwagen[322] umgebaut werden mußten. Zwei 2achsige 20-t-Wagen haben ungefähr dasselbe Eigengewicht wie ein 4achsiger 40-t-Wagen. Auch ist die Länge nur unerheblich größer. Die allgemeine Einführung von Wagen mit so hoher Tragfähigkeit verspricht hiernach nur geringe Vorteile. Sie bietet aber sehr erhebliche Schwierigkeiten, weil die Bahnhofsgleise und die Entladeanlagen, besonders die vielfach durch Drehscheiben u.s.w. bedienten Privatanschlußgleise für die Aufnahme und die Fortbewegung derartig schwerer Fahrzeuge nicht eingerichtet sind. Ihre Behandlung würde daher im Rangierdienste große Unbequemlichkeiten zur Folge haben, ihre Einstellung in die Züge zusammen mit leichteren Wagen die Sicherheit des Betriebs beeinträchtigen, und endlich würde die Verwendung und Ausnutzung der Wagen darunter leiden, daß nur ein kleiner Teil der Empfänger in der Lage ist, Sendungen im Gewichte von 40 t auf einmal zu beziehen. Schon jetzt fühlen sich weitgehende Kreise durch den allmählichen Rückgang des Bestandes an Wagen mit 10 t Ladegewicht benachteiligt, so daß sowohl die deutschen als auch die österreichischen Bahnen sich wiederholt veranlaßt gesehen haben, Erhebungen über diese Frage anzustellen. – Die Vergrößerung des Ladegewichtes der Wagen hat in Amerika gleichzeitig zur Einführung der Selbstentladevorrichtung Anlaß gegeben. In Europa hat man sich, abgesehen von der Kohlenentladung in den Häfen durch Kipper, für die die Wagen ohne nennenswerte Änderung eingerichtet werden konnten, auf Versuche beschränkt. Es ist bisher nur in ganz beschränkter Weise gelungen, Versand- und Empfangsstellen von Massengütern, meist Erzen, Kohlen und Koks, zu ermitteln, für die Wagen mit großer Tragfähigkeit und Selbstentladung verwendet werden können und wo durch Pendelzugbetrieb und abgekürzte Entladezeiten der Wagenumlauf so beschleunigt wird, daß die hierdurch erreichten Vorteile, die mit der besonderen Behandlung der Wagen und Vermehrung der Leerfahrten verbundenen Nachteile ausgleichen. So sehr die Verwaltungen auch bemüht sind, die für die Beförderung der Massengüter nötigen Wagen, den offenen Kohlenwagen und den bedeckten Güterwagen – der bedeckte Güterwagen des Deutschen Staatsbahnwagenverbandes hat 2 Achsen, eine Tragfähigkeit von 15∙75 t und einen Laderaum von 46∙6 m3 auch für die sonst zu befördernden Güter zu verwenden, so erfordert doch die Rücksichtnahme auf die Beschaffenheit der Güter und die Tarifbildung das Vorhandensein zahlreicher Wagengattungen mit abweichender Bauart. So werden für Güter mit hohem Gewicht und großer Länge Wagen von 30, 40, 50, 60 und 80 t Ladegewicht, ferner für die Beförderung von Pferden, Vieh und Fischen, für die Versendung von Kalk, Glas, leichten Gütern, Obst, Wein, Milch und Butter besondere Wagen, die auch wohl mit Kühl- oder Wärmvorrichtungen versehen sind, vorgehalten. Für besondere Zwecke, insbesondere für die Beförderung schwerer Geschütze, werden Drehgestellwagen mit einer Tragfähigkeit bis zu 110 t gebaut.

III. Herstellung der B. Diese erfolgt nur ausnahmsweise in den Werkstätten der Verwaltungen. Sie wird fast ausschließlich bewährten Bauanstalten überlassen, wobei in allen Ländern, besonders bei den vom Staate verwalteten Bahnen darauf gehalten wird, daß die Herstellung möglichst im eigenen Lande er folgt. Um wie erhebliche Werte es sich hierbei handelt, geht daraus hervor, daß das gesamte Bahnnetz der Erde seit dem Jahre 1909 den Umfang von 1 Million km überschritten hat und daß schon damals zum Betrieb dieses Bahnnetzes schätzungsweise 200.000 Lokomotiven, 300.000 Personenwagen und über 4,000.000 Güterwagen nötig waren. Über den Beschaffungswert der B. in einzelnen Staaten gibt die nach stehende Zusammenstellung Aufschluß.


Betriebsmittel

Bei der raschen Entwicklung des Eisenbahnwesens ist es bisher noch nicht allen Ländern möglich gewesen, den Bedarf selbst zu decken.

IV. Gesetzliche Bestimmungen. Die Überwachung der Herstellung und Erhaltung des betriebsfähigen und betriebssicheren Zustandes der B. obliegt den Staatsaufsichtsbehörden auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder nach den bei Zulassung des Eisenbahnunternehmens gemachten Vorbehalten. In Deutschland enthält die BO., in Österreich die BO. und der Erlaß des Eisenbahnministeriums vom 12. Februar 1900 (über die Vorlage der Typenpläne und die Bauart der Fahrbetriebsmittel);[323]


Betriebsmittel

[324] in der Schweiz das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1872 über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, die Durchführungsverordnung hierzu und bezüglich der Nebenbahnen die Verordnung vom 20. März 1906; in Belgien Art. 12 des Dekrets des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 20. Februar 1866; in Frankreich das Cahier des charges (Art. 32), die Ordonnance vom 15. November 1846 (Art. 7–16), die Dekrete vom 30. März 1874 (Lokomotiven) und 1. März 1901 (Personenwagen); in Italien das Gesetz über die öffentlichen Arbeiten vom 25. Juni 1865; in den Niederlanden das Gesetz vom 9. April 1875, betreffend den Betrieb und die Benützung der niederländischen Eisenbahnen, in Rußland Art. 173 des allgem. Gesetzes für die russischen Eisenbahnen vom 12. Juni 1885, die erforderlichen Vorschriften.

Daneben sind für die B., die auf fremde Bahnen übergehen sollen, soweit der internationale Verkehr in Betracht kommt, die Bestimmungen der technischen Einheit und die zwischen den Verwaltungen getroffenen Vereinbarungen maßgebend.

Für das Gebiet des VDEV. gelten die Technischen Vereinbarungen sowie das Übereinkommen, betr. die gegenseitige Wagenbenutzung, das Verzeichnis der auf den Vereinsbahnstrecken zulässigen größten festen Radstände und Raddrücke der Eisenbahnfahrzeuge sowie der im gegenseitigen Verkehr der Vereinsbahnen anzuwendenden Lademaße.

In Amerika bilden die wichtigsten einschlägigen Vereinbarungen die von der Master Car Builders Association aufgestellten Vorschriften und Normalien.

Der Bestand an B. der Eisenbahnen verschiedener Länder ist für den Zeitraum vom Jahre 1880 bis 1909 aus der vorstehenden Zusammenstellung (S. 324) zu ersehen. Hiernach besitzen die englischen und die belgischen Bahnen die meisten B., bezogen auf 1 km Betriebslänge. Die schwächste Ausstattung ergibt sich für Lokomotiven und Güterwagen in Norwegen und Schweden, für die Personenwagen in Amerika und Norwegen.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 318-325.
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