[94] Britisch-Westafrika. I. Sierra Leone. Die räumlich ziemlich beschränkte englische Kolonie beschloß im Jahre 1893 einen Eisenbahnbau von Freetown aus in östlicher Richtung ungefähr parallel zur Küste, um die durch die Bahn Konakry-Niger drohende Ablenkung ihres Handels nach Französisch-Guinea abzuwenden. Die Kolonie nahm eine Anleihe von 221/2 Mill. M. auf; für die erste Baustrecke Freetown-Songotown gewährte die Kronkasse des Mutterlandes eine 31/2%ige Anleihe. Die Bahn Freetown-Songotown-Rotifunk-Bô-Baiima, 357 km, wurde vom März 1896 bis Juli 1905 mit einer Spurweite von 21/2 Fuß engl. = 76 cm vollendet und später im Osten noch um rund 9 km bis Pendembu verlängert. Die Baukosten haben 19,163.000 M., d. s. rund 53.700 M./km, betragen.
Im Anschluß an diese Bahn ist im März 1904 die Sierra-Leone-Bergbahn zur Verbindung der hochgelegenen Europäer-Stadt (Hill-Station) mit dem ungesunden Geschäftsviertel von Freetown, 91/2 km lang, hergestellt worden; es ist eine Reibungsbahn mit einer durchschnittlichen Steigung von 1 : 30; ihre Kosten betrugen rund 650.000 M., d. s. rund 70.000 M./km.
Ferner ist noch eine Zweigbahn von Boia in nordöstlicher Richtung nach Rorucks, 33 km, im Betriebe, deren Ausbau bis zum Rokelle-Fluß, rund 80 km, in der Ausführung begriffen ist.
Die wirtschaftlichen Ergebnisse der Bahn Freetown-Baiima sind aus untenstehender Übersicht zu entnehmen.
In den Jahren 1907 und 1908 war ein Zuschuß von je über 40.000 ₤ zur Kapitalverzinsung nötig.
Die Tarife sind sehr niedrig gehalten mit Rücksicht auf den Wettbewerb der Eingeborenen-Schiffahrt. Durch die Bahn hat sich der Ausfuhrhandel von Freetown außerordentlich gehoben, während der der südlichen Insel Sherbro stark zurückgegangen ist. Die Roheinnahmen betrugen 1911 108.000 ₤. Man befürchtet indes, daß die Bahn infolge ihrer schmalen Spur bald die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreichen und den Güterverkehr nicht mehr bewältigen werde. Die Bahn nähert sich der Ostgrenze nach Liberia zu bis auf 15 km und wird voraussichtlich einen Teil des Handels von Liberia an sich ziehen.
II. Die Goldküste. Die englische »Goldküsten«-Kolonie beschloß im Jahre 1898, eine Bahn von dem Hafen Sekondi nach der nördlich davon gelegenen Aschantihauptstadt Kumasi zu bauen, einerseits um die Beunruhigungen durch die im Norden ansässigen Aschantis besser überwinden zu können, anderseits, um der wirtschaftlichen Notlage abzuhelfen. Zum Bahnbau wurden von 1898 bis 1900 insgesamt 2,274.000 ₤ = rund 46,390.000 M. bewilligt und der Bau im August 1898 in Kapspur (1∙067 m) begonnen. Die 274 km lange Strecke Sekondi-Tarkwa-Obuassi-Kumasi wurde im September 1903 vollendet. Die Baukosten beliefen sich bis Ende 1908 auf 1,836.915 ₤, d. s. rund 136.000 M./km, ausschließlich der Hafenanlagen.
Die vorstehende Zusammenstellung zeigt die Ergebnisse des Betriebs in den ersten Jahren, nachdem die Bahn in voller Ausdehnung in Benutzung genommen worden war; der Rückgang der Einnahmen im Jahre 1905 beruht außer auf einer Tarifermäßigung auf dem allgemeinen Daniederliegen des Handels in diesem Jahre.
Der Eisenbahnbau hat die finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes, besonders durch die Hebung der Pflanzungen, wesentlich gefördert. Am 1. Juli 1905 wurden die Tarife bedeutend herabgesetzt und durchgehende Tarife bis Kumasi für Seife, Zement, verzinktes Wellblech und eingeführten Reis festgesetzt. Die Gefahr des Ausbruchs neuer Aschantikriege erscheint durch die Bahn nach Kumasi beseitigt, da diese Stadt jetzt von England aus in 16 Tagen zu erreichen ist.
Außer dieser Staatsbahn wurden im Jahre 1905 zwei Kleinbahnen von Privatunternehmern hergestellt: die Fura-Broomassie-Bahn von der Prestea-Bahn-Gesellschaft, von Fura-Junction am Ankobra-Flusse nach Prestea, 32 km für die Prestea- und Broomassie-Bergbaugesellschaft und eine Bahn von Dunkwa (an der Kolonialbahn) nach Attasi von den Attasi-Bergwerken zur Beförderung schwerer Maschinen.
Ferner wurde eine Zweigbahn von Tarkwa in nordwestlicher Richtung nach Prestea und Broomassie im Januar 1911 dem Betriebe übergeben.
Die zweite Hauptbahn der Kolonie, von dem östlichen Hafen Accra in nördlicher Richtung auf Kpong, soll diesen mit dem schiffbaren Teil des Voltaflusses verbinden und wird daher voraussichtlich den westlichen Teil des benachbarten deutschen Schutzgebietes Togo wirtschaftlich beeinflussen. Diese Bahn ist seit 1909 im Bau.
Der zunächst begonnene Bahnbau der Linie Accra-Mangoassi, 64 km, nahe der Ostküste der Goldküsten-Kolonie, von Accra aus in nördlicher Richtung nach dem Innern führend, ist der erste, durch einen Unternehmer des Mutterlandes ausgeführte Bau in Westafrika. Am 7. Januar 1909 fand die Feier des ersten Spatenstiches statt. Die Bahn wird in Kapspur mit Schienen von 22∙5 kg/m Gewicht auf Stahlschwellen hergestellt. Die Betriebseröffnung bis Mangoassi mußte infolge von Hochwasserschäden verschoben werden.
In Accra besteht bereits eine 2 km lange, nach einem Steinbruch führende Bahn der Regierung. Die erste Station im Innern, nahe bei den Hügeln von Awkapim, ist Pokoasi, der Mittelpunkt eines ausgedehnten Kakaopflanzungsbezirkes. Bei Insuam trifft die Bahn das Tal des Densu-Flusses und tritt in ein Gebiet dichtesten Urwaldes ein, der bis Mangoassi reicht.
III. Lagos-Nigeria. Auch in Nigerien hat die britische Verwaltung durch die schnelle Vollendung der Bahn Baro-Kano, 573 km, innerhalb 32/3 Jahren, ihre koloniale Tatkraft aufs neue bewiesen. Zunächst wurde im Jahre 1893 der Bau einer Eisenbahn von der Küste nach dem Hinterlande, insbesondere zur Verbindung von Lagos, dem Regierungssitz und wichtigsten Handelshafen für Nord- und Süd-Nigerien, mit den Handelsplätzen Abeokuta und Ibadan, sowie weiterhin mit dem schiffbaren mittleren Teil des Niger, beschlossen und von der Regierung unternommen; Ibadan ist der größte Ort von Südnigerien mit rund 200.000 Einwohnern. Für die Bahn wurde eine Anleihe von 21/2 Mill. ₤ (= rund 51 Mill. M.) genehmigt. Die Strecke Lagos (Insel Iddo)-Otta-Abeokuta-Ibadan, 203 km, wurde in der Zeit von März 1896 bis Ende 1900, in Kapspur (1∙067 m) hergestellt. Die Gesamtkosten betrugen 21∙7 Mill. M., d. s. rund 106.800 M./km. In der Hafenstadt Lagos wurde ferner eine Dampfstraßenbahn zur Verbindung der Stadt mit dem Hafen in einer Spurweite von 21/2 Fuß engl. = 76 cm erbaut, und in Nord-Nigeria auf dem linken Ufer des Niger die 37 km lange Strecke Sungeru-Barijuko hergestellt, um die Hauptstadt von Nord-Nigerien, Sungeru, mit dem Kaduna, einem Nebenflusse des Niger, und dadurch mit diesem selbst in Verbindung zu setzen. Auch diese Strecke (mit einer Spur von 76 cm) wurde als Kleinbahn betrieben.
Die Eisenbahn Lagos-Ibadan gestattet die Verwertung der Palmbestände in dem weiteren Hinterland der Küste und die Ausfuhr der Palmkerne von Lagos hat seit Eröffnung der Bahn stetig zugenommen; 1885 bis 1900 schwankte sie jährlich zwischen 30.000 und 40.000 t und hat betragen:[95]
1903 | 50.577 t |
1904 | 51.935 t |
1905 | 65.145 t |
Die Bahn beförderte an Palmkernen:
1903 | 11.142 t |
1904 | 15.863 t |
1905 | 15.226 t |
Wirtschaftliches Ergebnis der Bahn Lagos-Ibadan:
Zur gründlichen Erschließung des Landes, zur Förderung des Baumwollbaues in Nord-Nigerien, ferner auch zur Verminderung der militärischen Lasten und insbesondere der hohen Frachtausgaben der Regierung faßte das britische Kolonialamt den Plan, eine ununterbrochene Schienenverbindung von Lagos nach Kano, dem großen Handelsemporium vom Haussaland, dem wichtigsten Handelsplatz von Westafrika, herzustellen; der neue Schienenweg sollte an die vorhandene Bahn nach Ibadan anschließen und die Strecke Sungeru-Barijuko unter Erweiterung ihrer Spur auf die Kapspur in sich aufnehmen, im ganzen rund 1220 km Bahn; über Kano soll die Bahn später noch etwa 100 km in nördlicher Richtung nach Französisch-Sudan weitergeführt werden.
Die Bevölkerung von Kano und von der Nachbarprovinz Sokoto zieht ihre eigene Baumwolle, spinnt, webt und färbt sie selbst; sie enthält geschickte Gerber- und Lederarbeiter, schmilzt ihr eigenes Eisen und stellt ihre Landbaugeräte und Waffen selbst her.
Die Verlängerung der Stammlinie erfolgte zunächst von Lagos aus 1908 auf 396 km bis Ilorin. Von da bis zum Niger, nach der Insel Jebba, 486 km, wurde sie am 9. August 1909 dem Verkehr übergeben. Dadurch wurde der alte Wunsch der Bewohner von Lagos erfüllt, das eiserne Dampfroß solle dereinst mit dem Wasser des Niger getränkt werden.
Die Fortsetzung nördlich von Jebba und des Niger hatte nunmehr zum Ziel, möglichst bald den Anschluß an die Bahn Baro-Kano zu gewinnen.
An der Kreuzung der Bahn Lagos-Kano mit dem Niger, etwa 865 km oberhalb seiner Mündung, liegt im Flusse die Insel Jebba; zwischen ihr und dem Nordufer des Stromes wird zurzeit eine 270 m lange Brücke gebaut; auf dem südlichen, etwa 3 km breiten Flußarm, zwischen Station und Insel, soll einstweilen eine Dampffähre den Verkehr aufrecht erhalten, die einen ganzen Zug aufnehmen kann. Später soll hier eine Brücke den Verkehr vermitteln.
Geplant ist ferner die Verbindung von Jebba mit der Linie Baro-Kano, so daß damit die durchgehende Linie Lagos-Kano entsteht. Das etwa 160 km lange Verbindungsstück soll über Sungeru geführt werden und die Strecke Sungeru Barijuko in sich aufnehmen.
Die Strecke Baro-Kano wurde im April 1911 vollendet. Baro liegt 198 km unterhalb Jebba am Niger, etwa 100 km oberhalb der Einmündung des Benue in diesen und ist für Schiffe mittleren Tiefganges während des ganzen Jahres zugänglich.
Kano ist etwa 1100 km von der Küste, etwa 600 km vom Tschadsee entfernt.
Der Bau der Bahn von Baro und Jebba (über Sungeru) nach Kano bot viele Schwierigkeiten, da das Gelände große Höhenunterschiede aufweist. Baro liegt 300, Sungeru 600, der Anschlußpunkt Minna 1100, Saria 2200 und Kano 1800 Fuß hoch. Auch viel Sumpfland war zu durchdringen.
Die Kosten sind auf 1,270.000 ₤, d. s. rund 45.000 M. für das km veranschlagt, ein für Zentralafrika sehr niedriger Satz. Die zu verwendende Schiene wiegt 22∙4 kg/m.
Mit Eröffnung des Verkehrs ist seit Juni 1911 ein regelmäßiger Zugdienst von Lagos und von Baro nach Kano eingerichtet worden. Zunächst soll einmal in der Woche im Anschluß an die Ankunft des Dampfers aus Liverpool ein Zug mit Speise- und Schlafwagen von[96] Lagos nach Kano abgehen. Die Fahrzeit von Lagos bis She oder Minna (Anschluß von Baro) soll 30 Stunden betragen.
Welche von beiden Verkehrslinien, die Eisenbahn Lagos-Kano oder die Nigerstrecke Forcados-Baro mit der Eisenbahnstrecke Baro-Kano, künftig die Hauptfrachtlinie werden wird, läßt sich noch nicht übersehen.
Die Betriebsergebnisse des bisher vollendeten Teils der Bahn Lagos-Ilorin stellen sich, wie folgt:
1907 | 1908 | 1909 | 1910 | |
Länge in Meilen | ||||
(engl.) | 188 | 246 | 307 | 307 |
Roheinnahme ₤ | 139.747 | 146.382 | 203.558 | 253.604 |
Betriebsausgabe ₤ | 74.435 | 103.425 | 131.820 | 157.868 |
Betriebsüberschuß ₤ | 65.312 | 42.957 | 71.738 | 95.736 |
Verfrachtet wurden in t:
1908 | |
Palmnüsse | 27.347 |
Palmöl | 2.085 |
Hölzer | 1.799 |
Baumwolle | 3.889 |
Flachs | 927 |
Mais | 7.970 |
Zur Erschließung und Ausbeutung der reichen Zinnerzlager von Bautschi hat die Regierung den Bau einer schmalspurigen Kleinbahn (0∙76 m Spur) von Saria oder Rigachikun an der Bahn Baro-Kano in südöstlicher Richtung über Leri nach Naraguta, etwa 160 km, beschlossen und zu diesem Zwecke den Betrag 200.000 ₤ (rund 25.000 M./km) bewilligt. Mit dem Bahnbau ist im Februar 1911 begonnen worden. Der Abbau der Zinnerze von Bautschi hat bereits erheblichen Umfang angenommen.
Baltzer.
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