Britisch-Ostafrika

[435] Britisch-Ostafrika, großes, unter brit. Protektorat stehendes Gebiet in Ostafrika, grenzt im O. an den Indischen Ozean und nach dem am 24. März 1891 mit Italien getroffenen Abkommen an den Dschubbfluß bis zu dessen Schnittpunkt mit dem 6.° nördl. Br., der dann die Nordgrenze bis zum 35.° östl. L. bildet. Dann ist die Grenze vorläufig noch offen, die Westgrenze gegen das Uganda-Protektorat (s.d.) bildet der 36.° östl. L., im S. wird das Gebiet von Deutsch-Ostafrika begrenzt. Das Areal wird geschätzt auf 700,000 qkm mit 2,500,000 Einw. Das zum Teil noch völlig unbekannte Gebiet steigt von dem schmalen Küstenstreifen schnell in Stufen zu dem innerafrikanischen Plateau auf, auf dem vereinzelte Gebirgszüge sich erheben, wie die Galla- und Friedrich Franz-Berge, südlicher das Kiulugebirge, die Uluberge, das Aberdaregebirge, die 4000 m hohen Kinangop- und Gojitoberge, der Kenia (5600 m) u. a. Ein großer Teil des Landes ist dürre Steppe; im S. ist jedoch die Bewässerung reichlich. Die bedeutendsten Flüsse sind der Sabaki, der Tana, der Dschubb, welche dem Indischen Ozean zugehen. In der großen, unter dem 36.° östl. L. sich hinziehenden Senkung liegen die Seen Naiwascha, Baringo, Rudolf und Stefaniesee. Die Bevölkerung besteht aus Galla- und Bantustämmen, im SW. reichen die Massai von S. her herein. Das Gebiet wurde 1886 unter britisches Protektorat gestellt, worauf durch Abkommen mit dem Sultan von Sansibar vom 24. Mai 1887 die diesem gehörigen Küstenplätze und Küsteninseln durch die Britisch-Ostafrikanische Gesellschaft, die von der englischen Regierung einen Freibrief erhielt, zuerst gegen eine Zahlung von 50 Proz. der Zolleinnahmen, dann gegen eine Jahreszahlung von 80,000 Doll. übernommen wurden. Die Kompagnie gab die Gebiete 1895 dem Sultan für 200,000 Pfd. Sterl. zurück, worauf durch ein 1895 geschlossenes Abkommen die Verwaltung dieser Gebiete unter Beibehaltung der Souveränität und Flagge des Sultans an britische, von der englischen Regierung zu ernennende Beamte übertragen wurde. Dagegen verpflichtete sich die englische Regierung, der Regierung von Sansibar jährlich 17,000 Pfd. Sterl. zu zahlen, welche Summe die alte Rente der Britisch-Ostafrikanischen Kompagnie (11,000 Pfd. Sterl.) nebst 3 Proz. Zinsen der obengenannten Summe von 200,000 Pfd. Sterl. darstellt. In dem Sultanat Witu, das sich längs der Küste von Kipini bis Kwyhu erstreckt, ist als Souverän der frühere Oberbefehlshaber der Witutruppen, Omar ben Hamed, eingesetzt. Ihm steht ein englischer Beamter als Resident zur Seite. Der übrige Teil des Protektorats, der von einer großen Anzahl verschiedener Stämme unter Häuptlingen, Scheichs oder Sultanen bewohnt wird, ist unter die unmittelbare Verwaltung durch britische Beamte gestellt. Das Protektorat zerfällt in vier große Provinzen, die wieder in Distrikte eingeteilt sind. Die Provinzen sind die Seyyidieh, das Tanaland, das Juba- (Dschubb-) Land und Ukamba. Die Seyyidieh, das ehemals Sansibar gehörige Gebiet, außer Lamu, Kismayu und einem kleinen Küstenstreifen nördlich des Tana, sowie das Hinterland bis zur Taruwüste zerfällt in die Distrikte Wanga, Mombas und Melinde und hat (1897) 175,368 Einw. Hauptstadt und zugleich Hauptstadt des ganzen Protektorats ist Mombas mit 24,711 Einw. Die Stadt Melinde hat 4–5000 Einw.; Hauptort des Distrikts Wanga ist Wosin. Tanaland, nördlich von dem vorigen am Indischen Ozean, zu beiden Seiten des Tanaflusses, reicht im N. bis zum Guasso Nyiro und dem Loman- oder Loriansumpf. Die Provinz enthält drei Distrikte: Tana River mit Ngao, dem Hauptsitz der Provinzialverwaltung, Lamu und Port Durnford, außerdem das Sultanat Witu, das auf 1400 qkm über 15,000 Einw. hat. Die Hauptstadt Witu zählt 6000 Einw. Die Provinz hat (1897) 101,538 Einw., darunter 40,000 Wapokomo und 3000 Galla um Galbanti. Jubaland umschließt das Gebiet zwischen der Nordwestgrenze von Tanaland und dem Dschubbfluß und zerfällt in zwei Distrikte, den Kismayu- und den Ogaden- und Goschadistrikt. Sitz der Provinzialverwaltung ist Kismayu mit 1300 Einw. Die Bevölkerung (1897: 29,102) bilden Suaheli, Somal und Galla, in den größern Küstenplätzen sogen. Bojuns (Mischlinge). Die 2000 Köpfe starken Somal zählen zu dem Mischarlistatmm der Harti und zu den Ogaden. Der Goschadistrikt war früher ein besonderer Staat, den aus der Benadirküste entflohene Sklaven gebildet hatten. Die Ogaden wanderten aus dem Innern längs des Dschubb ein und gründeten zu Asmadu ein Sultanat, das noch heute einen unabhängigen Herrscher besitzt, dem 5–10,000 Somal und 2000 Galla und Waboni untertan sind. Das Reich der Borana Galla unter dem tatkräftigen Sultan Asaleta, der bereits die Sklaverei abgeschafft hat, wird von einem Reitervolk bewohnt und ist berühmt durch den Kriegsmut seiner Männer und die Schönheit seiner Frauen. Die Bewohner sollen eine Art Christentum als Überrest des äthiopischen Monotheismus bewahrt haben. Ukamba, das den ganzen Westen umfaßt, zerfällt in vier Distrikte: Teita oder Taveta, Athi oder Machako, Kenia und Kitui, mit (1897) 1,044,074 Einw. Stationen mit britischen Beamten sind Taveta, Machako, Fort Smith, Ndi und Ngongo Bagas. Die Gebiete nördlich vom 1.° nördl. Br. werden als Territory of East Africa Protectorate not yet organized in provinces or districts[435] zusammengefaßt, und zwar wirtschaftlich noch nicht beachtet, aber politisch im Auge behalten. Zu den 1,350,082 gezählten Bewohnern der organisierten Gebiete sind noch 1,150,000 in den nicht organisierten hinzuzurechnen, so daß die Gesamtbevölkerung sich auf 2,500,000 Seelen stellt. Davon waren 391 Europäer, 7579 Inder und andre Asiaten, 5855 Araber, 76,535 Suaheli und »freie Neger«, 26,259 Sklaven und 1,383,463 Angehörige verschiedener heidnischer Stämme. Die Church Missionary Society hat in Freretown bei Mombas einen Bischof für Ostäquatorialafrika, von dem die Missionen in Mombas, Rabai, Filore (Giriama), Ndara (Teita), Taveta und in Ukamba abhängen. Die römisch-katholische Kirche besitzt zwei Stationen der Ordensväter vom Heiligen Geist in Mombas und Bura (Teita); die Methodisten haben Stationen in Ribe, Jomdu und Mazeras (bei Mombas), in Golbanti am Tana und in Witu; die Presbyterianer (East African Scottish) in Kibwesi und Nzoi, die Leipziger Mission in Jimba bei Mombas, Mbungu (Giriama) und Ikutha (Ukamba); die evangelische Mission der Neukirche in Ngao am Tana, die schwedisch-amerikanische Mission in Colesa, ebenfalls am Tana.

Handel und Verkehr heben sich stetig. An Einfuhrzöllen wurden 5 Proz., an Ausfuhrzöllen 5–30 Proz. vom Wert erhoben. Die Ausfuhr geht vornehmlich nach England, Indien und Nordamerika, von der Einfuhr kommen 50 Proz. aus Indien, 30 Proz. aus England, 17,5 Proz. aus Deutschland. Die Einfuhr betrug 1900/1901: 444,142 Pfd. Sterl., die Ausfuhr 83,959 Pfd. Sterl.; Hauptausfuhrartikel sind Elfenbein (für 41,037 Pfd. Sterl.), Kautschuk, Häute und Hörner. Den Hafen von Mombas besuchten 1897: 129 Schiffe mit 116,200 Ton. Die Münze ist die Rupie und der Mariatheresientaler, der 2 Rupien und 21/24 Annas gilt. Der Hauptweg im Protektorat ist die große, 500 km lange Karawanenstraße nach Uganda, die von Mazeras (24 km landeinwärts von Mombas, erste Station der Mombas-Uganda-Bahn) nach dem Fluß Kedong, der Ostgrenze des Uganda-Protektorats, verläuft. Von der größten Bedeutung für das Land ist die 940 km lange Uganda-Eisenbahn, deren Bau 1896 von Mombas aus begonnen wurde. Die Bahn hat Ende 1901 den See bereits erreicht und ist im März 1902 auf der ganzen Strecke dem Verkehr übergeben worden. Den Dschubb befährt der Dampfer Kenia. Das Protektorat ist 1. Dez. 1895 dem Weltpostverein beigetreten. Durch die bestehenden 12 Postämter wurden 1897: 166,260 Sendungen befördert. Die Zivilverwaltung besorgen ein Commissioner mit einem aus 3 Mitgliedern bestehenden Rat, 4 Subcommissioners (je einer für eine Provinz) und 11 Distriktsbeamte mit 11 Assistenten. Den 22 englischen Beamten unterstehen eingeborne Walis. Die Rechtspflege wurde 1897 neu geordnet. Es wurde ein neuer Gerichtshof für das Protektorat zu Mombas errichtet, der auch im Innern Sitzungen abhalten kann und an dessen Spitze ein Judicial Officer steht. Ihm liegt die Rechtsprechung über alle britischen Untertanen und Fremden ob. Zur Anwendung kommt das in Britisch-Indien geltende Straf- und Zivilrecht. Daneben besteht ein Chief native court, der regelmäßig zu Mombas, zweimal jährlich zu Lamu und je einmal zu Machako und Kismayu zusammentritt. Eingebornen-Provinzial- und Distriktsgerichte werden mit Zuziehung eingeborner Beisitzer abgehalten; auch die Walis und Kadis versammeln kleinere Gerichtshöfe um sich. In den größern Küstenstädten bestehen kleine Polizeiabteilungen aus Suaheli und Somal unter Leitung von Europäern. Die Militärmacht des Protektorats bestand 1897 aus 1120 Mann. Zu militärischen Zwecken ist das Gebiet in drei Bezirke eingeteilt, die je von einem englischen Offizier befehligt werden. Die Einkünfte des Protektorats betrugen 1900/1901: 65,000, die Ausgaben 158,000 Pfd. Sterl. Für die Uganda-Eisenbahn werden bis 1925 jährlich 7463 Pfd. Sterl. gezahlt. Vgl. Mc Dermott, British East Africa, a history of the formation, etc. (Lond. 1895); Lugard, The rise of our East African empire (das. 1893, 2 Bde.); Fitzgerald, Travels in the coast lands of British East Africa, etc. (das. 1898); Gregory, The foundation of British East Africa (das. 1901); Purris, Handbook to British East Africa and Uganda (das. 1900). – Zur Entdeckungsgeschichte des Gebietes vgl. Afrika, S. 152f., und die Berichte der dort an geführten Forschungsreisenden (Krapf, von der Decken, Thomson, Höhnel, Stuhlmann u. a.); ferner Strandes, Die Portugiesenzeit von Deutsch- und Ostafrika (Berl. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 435-436.
Lizenz:
Faksimiles:
435 | 436
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon