Französische Staatsbahnen

[193] Französische Staatsbahnen (chemins de fer de l'État). Durch Beschluß der Kammer vom 22. März 1877, wurde die Regierung aufgefordert, auf Grundlage der Bestimmungen des Gesetzes vom 23. März 1874 (loi Montgolfier) der Kammer über den Ankauf von Eisenbahnlinien und deren Betrieb von Staats wegen Vorschläge zu machen.

Auf Grund dieser Vorschläge, die durch die Gesetze vom 18. Mai und 11. Juni 1878 ihre Genehmigung fanden, erwarb die Regierung ein Netz von 2615 km meist notleidender Bahnen. Das Gesetz vom 11. Juni 1878 räumte dem Minister der öffentlichen Arbeiten für den Ankauf der Bahnen einen Kredit von 331 Mill. Fr. ein, und ermächtigte den Finanzminister, für diesen Betrag eine 3%ige, in 75 Jahren amortisierbare Rente auszugeben.

Das Netz der F. war bis zu der im Jahre 1909 erfolgten Verstaatlichung der Linien der Westbahn von verhältnismäßig geringer wirtschaftlicher Bedeutung.

Es wurde aus den Linien von zehn Eisenbahngesellschaften zusammengefügt, die sich über ein Drittel des Staatsgebietes erstreckten und ohne Zusammenhang untereinander standen. Die größten der Bahnen waren die der Charente, der Vendée und die Bahn von Orléans nach Châlons, letztere in unfertigem Zustande. Von den verstaatlichten Bahnen waren 1575 km im Betrieb. In den folgenden Jahren wurden die gekauften Strecken ausgebaut und neue Strecken in Angriff genommen. Eine wesentliche Umgestaltung erfuhr das Netz in den ersten Monaten 1884 infolge der Verträge mit den großen Privatbahnen. In diesen verpflichtete sich der Staat 17 ihm gehörige Strecken im Gesamtumfange von 1215 km an die Orléansbahn und an die anderen Gesellschaften abzutreten, Strecken, die außerhalb des für die Staatsbahnen in Anspruch genommenen Gebietes und zum Teil außer Zusammenhang mit ihren Linien lagen. Der Staat übernahm dagegen von der Orléansbahn 449 km ihrer, innerhalb des Staatsbahngebietes gelegenen Strecken, wodurch die Staatsbahnen besser abgerundet, in Schienenverbindung untereinander gebracht und unabhängig von der Orléansbahn und ihrem bis dahin rücksichtslosen Wettbetrieb gestellt wurden. Seit 1884 bestand das Staatsbahnnetz aus zwei nebeneinanderliegenden Gruppen, die eine (südliche) mit dem Mittelpunkt Tours, die andere (nördliche) mit dem Mittelpunkt Chartres. Ende 1884 waren 2112 km im Betrieb. Seinen gleichfalls durch die Verträge von 1884 vorbereiteten einstweiligen Abschluß hat das Staatsbahn netz erst am 11. Juli 1886 erhalten. An diesem Tage wurde den Staatsbahnen durch Eröffnung der mit der Westbahn gemeinschaftlich benutzten Strecke Paris-Chartres (88 km) der Zugang zur Landeshauptstadt, durch Eröffnung der Strecke Grave d'Ambarès-Bordeaux (14 km) der Zugang nach Bordeaux eröffnet und damit gleichzeitig eine Verbindung zwischen der nördlichen und südlichen Gruppe und eine durchgehende, selbständige Linie von Paris nach Bordeaux geschaffen. Über die Teilung des Verkehres Paris-Bordeaux mit der angrenzenden Orléansbahn waren in den Verträgen von 1883 die nötigen Vereinbarungen getroffen. Erst seit dieser Zeit kann man also von einem abgerundeten Staatsbahnnetz sprechen, dessen äußere Gestaltung der der großen Eisenbahnen einigermaßen ebenbürtig ist. In dem Dreieck, das nördlich von der Linie St. Nazaire-Tours, im Westen von der Küste des atlantischen Ozeans mit den Hafenplätzen St. Nazaire, Les Sables d'Olonne, La Rochelle und der Mündung der Loire, im Osten von der Orléansbahnlinie Tours-Bordeaux begrenzt wird, steht das Staatsbahnnetz, selbständig und ohne anderen Mitbewerb als dem der Küstenschiffahrt, da; das nördliche Netz mit der Hauptlinie Paris Chartres-Saumur ist gleichfalls in sich abgeschlossen, hat aber mit dem Wettbewerbe der Orléans- und der Westbahn zu kämpfen. Die Gesamtlänge des Staatsbahnnetzes betrug Ende 1885 2253 km, Ende 1886 2504 km. Ende 1887 beschäftigte sich die Budgetkommission anläßlich der ungünstigen Ergebnisse der Staatsbahnen mit der Frage, ob es sich nicht empfehle, das Staatseisenbahnnetz einer Privatgesellschaft zu verpachten. Diese Frage wurde nach eingehender Erörterung unter Hinweis auf die Vorteile des Staatsbahnsystems für Handel und Industrie, sowie auf das durch die Staatsbahnen den großen Privatbahnen gebotene Gegengewicht mit Entschiedenheit verneint.

Eine wesentliche Ausgestaltung erhielt das Staatsbahnnetz erst durch die auf Grund des Gesetzes vom 18. Dezember 1908 erfolgte Verstaatlichung des Netzes der Westbahn (s.d.). Hiermit hat sich die Lage der F. vollständig verändert und sind sie in die Reihe der großen Eisenbahngesellschaften Frankreichs getreten. Das gesamte Staatsbahnnetz wird auf Rechnung des Staates von einer einheitlichen Verwaltung betrieben und steht unter der Oberaufsicht des Ministers der öffentlichen Arbeiten.


Das alte Netz der F. (ohne Westbahn s.d.) umfaßt außer den Lokalbahnen folgende Hauptbahnstrecken:[193]

(Paris-) Chartres-Saumur-Saintes-Cubgac-les-Ponts-La Grave-d'Ambarès-Etat-Bordeaux-St. Jean, Tours-Les Sables-d'Olonne, Angers-Poitiers, La Possonnière-Niort, (Poitiers) St. Benoit-La Rochelle, Küstenlinie Nantes-La, Rochelle-Saintes-Angoulême, Tours-Sargé, Dazu kommen noch die Linien der am 1. Januar 1909 vom Staate übernommenen Westbahn.


Ende 1910 umfaßte das im Betriebe stehende alte Netz der F. zusammen 2831 km.

Das Netz der verstaatlichten Westbahn umfaßte Ende 1910 6068 km (s. Französische Westbahn), so daß Ende 1910 das Gesamtnetz der im Betriebe stehenden Linien der F. 8899 km beträgt.

Das Anlagekapital des alten Staatsnetzes stellte sich am 31. Dezember 1910 wie folgt:

1. Auf den im Betriebe befindlichen Linien vom Staate gezahlte Beiträge 52,365.666 Fr.

Ausgaben der Orléansbahn für die von ihr an den Staat abgetretenen Linien 99,918.000 Fr.

Sonstige Aufwendungen 24,498.734 Fr.

Rückkaufspreis der alten Gesellschaften, Ausgaben für Vollendungsarbeiten und Ergänzungsbauten 774,488.288 Fr.

Zusammen 951,270.688 Fr.

Bisherige Ausgaben für die im Bau befindlichen Linien: Paris-Chartres und Nantes-Paimboeuf 9,325.973 Fr.

Gesamtsumme 960,596.661 Fr. Das Anlagekapital der verstaatlichten Westbahn umfaßte:


1. Das vor dem Kauf
(1. Januar 1909)
verwendete Kapital2.713,030.227 Fr.
2. Das in den Jahren
1909 und 1910
verwendete Kapital 103,187.096 Fr.
Zusammen 2.816,217,323 Fr.

I. Altes Staatsbahnnetz.


Französische Staatsbahnen

II. Netz der verstaatlichten Westbahn.


Französische Staatsbahnen

Literatur: v. der Leyen, Die Staatsbahnen in Frankreich, Zeitschrift für Eisenbahn und Dampfschiffahrt, Wien 1888, S. 469 u. ff.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 193-194.
Lizenz:
Faksimiles:
193 | 194
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Brockhaus-1809: Die Französische Constitution

Brockhaus-1837: Französische Kunst, Literatur und Wissenschaft

Brockhaus-1911: Französische Revolution · Französische Philosophie · Französische Schweiz · Französische Stellung · Französische Sprache · Französische Befestigungsmanier · Französische Akademie · Französische Kolonien · Französische Literatur · Französische Kunst

DamenConvLex-1834: Französische Leinen

Herder-1854: Französische Philosophie · Französische Sprache · Französische Musik · Französische Kunst · Französische Literatur

Lueger-1904: Französische Vergoldung

Meyers-1905: Französische Renaissance · Französische Ostindische Kompanie · Französische Literatur in der Schweiz · Französische Stellung bei Pferden · Französische Sprache · Französische Revolution · Französische Kreide · Französische Kirche · Französische Gotik · Französische Literatur in Belgien · Französische Literatur · Französische Kunst

Pierer-1857: Französische Musik · Französische Philosophie · Französische Malerkunst · Französische Meile · Französische Revolution · Französische Suppe · Französische Wage · Französische Schweiz · Französische Sprache · Französische Colonien · Französische Confession · Französische · Französische Beeren · Französische Gartenanlagen · Französische Kunst · Französische Literatur · Französische Jagd · Französische Karten

Roell-1912: Ungarische Staatsbahnen · Österreichische Staatsbahnen · Niederländische Staatsbahnen-Betriebsgesellschaft

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon