Französische Kunst, Literatur und Wissenschaft

[94] Französische Kunst, Literatur und Wissenschaft. Von der Kunst und dem Wissen der ältesten Einwohner des Landes jenseit des Rheins haben wir nur wenige, unbestimmte Nachrichten. Die Gallier waren celtischen Ursprungs und nur ihre Priesterkaste, die Druiden (s.d.), scheint einige wissenschaftliche Kenntnisse gehabt zu haben, sowie der Gesang ausschließliches Eigenthum der heilig geachteten Barden (s.d.) war. Nachdem Julius Cäsar das Land den Römern unterworfen hatte, wurde von diesen theils durch Gewalt der Waffen, theils durch den bewältigenden Einfluß höherer Cultur alles altnationale Leben der Gallier so völlig vernichtet, daß nicht allein Kunst und Wissenschaft derselben spurlos verloren ging, sondern sogar die einheimische Sprache der lat. weichen mußte. Die Römer überragten an Bildung so hoch alle übrigen Völker ihrer Zeit, daß selbst, nachdem diesen der Sieg über die entarteten und verweichlichten Römer gelungen war, noch eine geistige Macht des Römerthums bestand, welche in der allgemeinen Verbreitung der röm. Sprache sich äußerte. Nachdem daher der 600jährigen Herrschaft der Römer in Gallien durch german. Völkerschaften ein Ende gemacht worden war, blieb dennoch die lat. Sprache allein die gebräuchliche Schriftsprache und als Umgangssprache bildete sich eine Mischsprache theils celtischen, theils lat., theils german. Ursprungs, das Romanzo, welche erst im Laufe späterer Jahrhunderte, nachdem mit der Sprache ein eigenthümlicher Volksgeist sich gebildet hatte und nachdem der Mehrzahl die lat. Sprache fremd geworden, zu Abfassung von Schriften benutzt wurde. Die neue [94] Sprache gelangte insonderheit durch die Geistlichen und Dichter zur Herrschaft; jene mußten sich derselben bedienen, um dem gemeinen Manne verständlich zu bleiben, diese, weil sie von demselben Geiste beseelt sangen, dessen selbstgeschaffenes Gewand das Romanzo war. In diesem selbst hatten sich von Anfang zwei in ihrem Charakter wesentlich verschiedene Dialekte ausgebildet, die langue d'oc (davon noch jetzt die Provinz Languedoc den Namen) und die langue d'oui, beide benannt nach den Worten oc (auch) und oui, welche in ihnen unser deutsches »Ja« ausdrücken, Die langue d'oc wurde im südl., die langue d'oui im nördl. Frankreich, welche beide die Loire trennt, gesprochen. Jene, nachdem im 12. Jahrh. Raimond de St. Gilles, Graf von Provence, einen großen Theil Südfrankreichs unter seine Herrschaft vereinigt, auch die provenzalische Sprache genannt, zeichnete sich durch Weiche, Reichthum an Vocalen und Wohllaut aus, während die langue d'oui hart, voller Abkürzungen ursprünglich lateinischer Worte war und darum an Wohllaut jener weit nachstand. Schon in den frühesten Zeiten hatte sich das südl. Frankreich in Folge seines milden Klimas und seiner Lage am mittelländ. Meere, welche es mit Griechen und Römern in Verbindung brachte, durch höhere Bildung vor dem nördl. Frankreich ausgezeichnet, und so ist es natürlich, daß im südl. Frankreich zuerst Poesie und Musik fröhlich emporblühten. Jongleurs (s.d.) besuchten die Höfe der Großen, und die »fröhliche Kunst«, so hieß die Poesie, wurde von ritterlichen Sängern geübt, von den berühmten Troubadours (s.d.). Beim Beginn der Kreuzzüge stand die provenzalische Poesie in kräftigster Blüte, und das rege Leben, welches jene hervorriefen, war ihr nur förderlich. Aber schon in der Mitte des 14. Jahrh. verstummte die fröhliche Kunst der Troubadours, denn mit dem Hause Anjou in Südfrankreich erhielt die langue d'oui über die sang- und klangvolle langue d'oc die Oberherrschaft, die noch übrigen Troubadours gingen nach dem sprach- und sinnverwandten Italien und Spanien, und die schöne provenzalische Sprache erhielt sich nur noch als Provinzialdialekt (Patois) im Munde des Volks.

Das nordfranz. Romanzo, aus dem sich das heutige Französisch gebildet, wurde zuerst von den 911 eingewanderten Normannen als Schriftsprache ausgebildet. Normannen waren die ältesten nordfranz. Schriftsteller, von denen die ältesten Ritterromane herrühren. Durch die nach Nordfrankreich kommenden Troubadours wurde die Liebe zur Poesie noch mehr angeregt, und so finden wir hier bald eine ähnliche Dichterschule in den Trouvères. Ritter, Grafen und Könige gehörten den Trouvères an, unter denen Thibault, Graf von Champagne und König von Navarra, einer der berühmtesten. Neben ihnen traten die Fabliers mit Erzählungen und Märchen (Fabliaux) auf, welche theils in Versen, theils in Prosa geschrieben waren. Die Literatur des 13. Jahrh. ist reich an Dichtungen aus den drei genannten Gattungen. Dazu kamen noch Sittengemälde, allegorische und satirische Gedichte. Hierher gehört der franz. Reinecke der Fuchs (s.d.) und es ist zweifelhaft, ob das deutsche oder das franz. Werk älteren Ursprungs sei. Am berühmtesten wurde der sogenannte »Roman von der Rose«, ein allegorisches Lehrgedicht über die Kunst zu lieben. Mehre ausgezeichnete Dichter brachte das 14. Jahrh. hervor, unter ihnen Olivier Basselin aus dem Thale Vire (Vau de Vire), der fröhliche Weinlieder sang, welche nach jenem Thale den Namen Vau de Vire erhielten, woraus später Vaudeville wurde.

Im 14. Jahrh. nahm in Frankreich auch die dramatische Poesie und die Schauspielkunst ihren Anfang, und zwar entstanden beide aus den Darstellungen biblischer Geschichten und Legenden, die anfangs von rückkehrenden Pilgern unter dem Schutze der Geistlichkeit angestellt wurden; dazwischen wurden wol auch weltliche Possen zum Theil satirischen Inhalts aufgeführt. Endlich trat um den Anfang des 15. Jahrh. eine Gesellschaft von Pilgern in Paris bleibend zur Aufführung sogenannter Mysterien zusammen, welche sich die Passionsbrüderschaft nannte. Aus dieser ging dann eine andere Gesellschaft hervor, welche weltliche Possen (sogenannte sottises) aufführte und sich »die Kinder ohne Sorgen« nannte. Ihr Muthwille gab aber mit der Zeit zu manchem Ärgerniß Veranlassung, wodurch endlich 1612 ihre Auflösung herbeigeführt wurde. Die Passionsbrüderschaft, welche sich mit ihren Mysterien nicht mehr zu halten vermochte, verpachtete ihr. Privilegium 1552 an eine Gesellschaft, welche sich zuerst den Namen der »Komödianten« gab, und aus der nachher das théâtre français sich bildete. Mit einer neuen Art von Schauspielen, den sogenannten Moralitäten, allegorisch moralischen Stücken, trat eine neue Gesellschaft der »Schreiber der Bazoche« auf. Die Bazoche war eine Gesellschaft von Justizpersonen, welche das Privilegium hatte, öffentliche Feste und Ceremonien zu ordnen. Außer den Moralitäten brachte die Gesellschaft auch sogenannte Paraden, welche sich den regelmäßigen Lustspielen näherten. Auch den Schreibern der Bazoche wurde 1545 die Erlaubniß zu spielen genommen, weil sie zu zügellos muthwillig gewesen waren.

In einer durch Klarheit und Einfachheit sich schon in ihren Anfängen vortheilhaft auszeichnenden Prosa wurden ebenfalls im 13. und 14. Jahrh. die ersten Geschichtswerke und Memoiren (Erinnerungen an Selbsterlebtes) geschrieben. Während die Sprache der Poesie alterthümlich blieb, richtete sich die Prosa streng nach der mündlichen Rede und war daher dem Volke verständlicher, sodaß sogar ursprünglich in Versen geschriebene Ritterromane in Prosa übersetzt wurden, um ihnen größere Verbreitung zu verschaffen. Unter den Memoirenschreibern zeichneten sich Jean de Joinville (um 1250) und Philipp de Comines (um 1480) auf das Vortheilhafteste aus.

Musik und Malerei wurden von einzelnen Königen mit besonderer Vorliebe gepflegt. So wurde unter Philipp dem Schönen 1313 ein Theater gebaut, auf welchem Feenmärchen mit Musik aufgeführt wurden und Karl V. war ein großer Freund der Musik und der Malerei. Aus seiner Zeit besitzen wir noch Frescogemälde, gewirkte Tapeten und mit Malereien geschmückte Handschriften. Noch früher unter Ludwig VII. blühte die Glasmalerei. Karl VII. ließ der Johanna d'Arc, dem Mädchen von Orleans, 1458 auf der Brücke zu Orleans ein bronzenes Denkmal setzen.

Bisher hatte sich die franz. Sprache und Kunst ohne merklichen äußeren Einfluß aus sich selbst emporgearbeitet, als in Franz I. (1515 bis 1547) ein König zur Regierung kam, der alle Mittel in Bewegung setzte, Kunst und Wissenschaft in Frankreich durch Einführung des Großen aller Zeiten und Völker mächtig zu fördern, und dem die Franzosen [95] mit Recht den schönen Namen eines Vaters der Wissenschaften gegeben haben. Der berühmte Maler Leonardo da Vinci (s.d.) und andere ital. Meister wurden von Franz nach Paris gezogen und franz. Maler von ihnen gebildet; für Musik wurde eine eigene Kapelle errichtet, die ebenfalls Gelegenheit erhielt, nach ital. Mustern sich zu bilden. Am bedeutendsten war aber der Einfluß der griech. und röm. Schriftsteller, welche unter Franz eifrig studirt und bewundert wurden. Dies hatte den nachtheiligen Einfluß, daß die bisherige Originalität allmälig verloren ging, ja sogar in Verachtung gerieth und dafür ein Streben aufkam, die Muster der Alten nachzuahmen und ihnen gleiche Werke an die Seite zu setzen, welches bei der völlig veränderten Sinnes- und Denkungsart nicht möglich war. Clement Marot, des Königs Kammerdiener, zeichnete sich als Dichter vor allen Übrigen aus. Viele vornehme Personen am Hofe des kunstliebenden Franz, sogar seine Schwester Margarethe von Valois, beschäftigten sich eifrig mit Poesie. Die neue nach griech. und röm. Mustern gebildete Richtung, der sogenannte Classicismus, machte sich in der Dichterschule des »franz. Siebengestirns« geltend, an dessen Spitze Ronsard (um 1550) stand. Die Nachahmungssucht ging so weit, daß selbst die Sprache mit lat. und griech. Worten und Redewendungen erfüllt wurde. Vortheilhaft zeichnete sich Malesherbes durch reine, einfache und gewandte Sprache aus. Der witzigste, kernigste und wenn auch oft ausschweifende, doch gediegene Satiriker Rabelais (st. 1553) gehört dieser Periode an. Das Theater wurde durch Jodelle nach dem Muster der Griechen umgestaltet, welches den Erfolg hatte, daß nun künstlerisch geordnete, ein in sich gegliedertes Ganze bildende Stücke auf die Bühne kamen, zugleich aber auch alle dramatische Kunst durch die später noch immer strenger beabsichtigte Nachahmung des Alten in die engen Grenzen eingeschlossen wurde, welche erst in neuester Zeit haben durchbrochen werden können. Es fehlt dem 16. Jahrh. nicht an mehren ausgezeichneten Historikern (de Thou, Beza und vielen Andern) und sogar mit wissenschaftlichen Lehrbüchern wurde ein erfreulicher Anfang gemacht. Jean Cousin (um 1580) war der erste ausgezeichnete franz. Maler.

Die neu eingeschlagene Richtung der franz. Literatur wurde sichergestellt durch die 1635 von dem mächtigen Richelieu (s.d.) unter König Ludwig XIII. gestiftete franz. Akademie. Es ist schwer zu sagen, ob dieses großartige Institut mehr nachtheilig oder mehr förderlich auf die Ausbildung des franz. Geistes gewirkt habe. Es hat nämlich die Bestimmung, franz. Sprache, Dichtkunst und Beredtsamkeit zu bearbeiten und in allen hierauf sich beziehenden Erscheinungen den obersten Geschmacksrichter abzugeben. Mitglieder der Akademie sollten die ersten Schriftsteller Frankreichs werden und diesen sollte ein anständiger Jahrgehalt Muße zu literarischen Beschäftigungen geben. Der Nachtheil dieser Einrichtung war, daß die Akademie keinesweges in ihrer Mitte stets die ausgezeichnetsten Köpfe aufnahm, sondern eine pedantische Richtung verfolgte, gegen alles freier sich Regende den Vernichtungskrieg führte und im Streben nach einer Classicität, die sich auf eine höchst einseitige Auffassung der Griechen gründete, einen geistigen Despotismus ausübte. Die Akademie besorgt die Ausgabe eines franz. Lexikons, welches alle diejenigen Worte enthält, die von einem auf Classicität nur einigermaßen Anspruch machenden Schriftsteller allein gebraucht werden dürfen. Die beste Folge, welche ein Institut, wie die franz. Akademie, hatte, war die fortwährende Richtung auf das Studium der Alten, auf die sich in der That alle fernere Bildung allein gründen konnte, denn die Welt mußte erst in den Wiederbesitz schon einmal errungener Bildung gelangt sein, ehe ein wahrer Fortschritt nicht blos des nationalen, sondern allgemein menschlichen Geistes geschehen konnte.

Das Zeitalter Ludwig XIV., 1643–1715, wird das goldene Zeitalter der franz. Literatur genannt, und allerdings hat es ihm nicht an ausgezeichneten Schriftstellern gefehlt, und der glanzsüchtige und ehrgeizige König ließ seinem Minister Colbert freie Hand in der reichlichsten Unterstützung der Wissenschaften und Künste. Die »Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften« wurde 1663 gestiftet und die königl. »Akademie der Wissenschaften« 1666. Diese beiden Institute, namentlich das letztere, haben sich große Verdienste und hohen Ruhm erworben. Außer ihnen wurde noch eine Akademie der Malerei und Bildhauerkunst (1664) gegründet, es wurde eine Sternwarte, ein botanischer Garten, ein chemisches Laboratorium angelegt, franz. und selbst ausländische Gelehrte und Künstler wurden mit verschwenderischer Freigebigkeit unterstützt. Einen mächtigen Aufschwung nahm trotz den Fesseln, welche ihr die franz. Akademie anlegte, die dramatische Poesie. Die Namen Corneille, Racine, Molière (s.d.) sind unsterblich. Auch die Oper, deren Theater zur königl. Akademie der Musik erhoben wurde, bildete sich großartiger aus. Unter den Schriftstellern glänzten außer den genannten der liebenswürdige I. de La fontaine, 1621–1695, in Fabeln, der correcte Nic. Boileau Despréaux, 1663–1711, im Lehrgedicht, der witzige Scarron, 1598–1660, im komischen Roman, der würdevolle Bossuet, 1627–1704, der glänzende Fléchier, 1632–1710, der prophetische Saurin, 1677–1730, in Kanzelreden und die berühmten Frauen am Hofe Ludwig XIV. (Marquise de Sévigné, Ninon de Lenclos u. A.) in geistreichen und eleganten Briefen. Unter den Verfassern der Erzählungen, welche Gegenstände der alten Geschichte mit modernen Lebensansichten behandelten, zeichnete sich vor Allen Fénélon (s.d.) in seinem »Telemach« aus. Fast alle Felder der Wissenschaft wurden eifrig bebaut, namentlich für Mathematik und Naturwissenschaft geschah viel. In den Künsten zeichneten sich Poussin, Claude Lorrain, Mignard, Lesueur, Lebrun, zum Theil schon ehe Ludwig XIV. den Thron bestieg, als Maler, Lully, Rameau als Musiker aus.

Der allgemeine Charakter des 18. Jahrh., welches mit der blutigen Umwälzung aller bestehenden Verhältnisse endete, und das sehr mit Unrecht das »philosophische Jahrhundert« genannt wurde, war das Streben, Religion, Sittlichkeit, Kirche und Staat zu untergraben. Den Ton gab der gänzlich in Sittenlosigkeit versunkene franz. Hof an. Geistreiche Schriftsteller, wie Voltaire, J. J. Rousseau, Montes quieu (s.d.) wurden um so gefährlicher, mit je größerm Scharfsinne sie im Sinne jener Richtung schrieben. Der menschliche Verstand triumphirte über die göttliche Vernunft. Die schmuzigen Romane Crébillons, die weichlichen Erzählungen Florians, die frechen Witzspiele Grécourts vernichteten vollends jedes Gefühl für eine kräftige Sittlichkeit, [96] ja zerstörten den Glauben an eine solche. Zu den berühmtesten Werken gehörte Barthélemy's »Reisen des jungen Anacharsis durch Griechenland«, welches eine Schilderung Griechenlands in seiner schönsten Blüte enthält. In dieser Zeit des obsiegenden Verstandes machten die Verstandeswissenschaften, während echte Philosophie gänzlich darniederlag, glänzende Fortschritte. Die Mathematiker Lagrange, Monge, Lalande, und später Legendre, Lacroix, Laplace leisteten Unerhortes; Lavoisier, Fourcroy, Berthollet, Saussure, Ampère gehörten zu den größten Naturforschern, und es würde zu weit führen, auch nur einige der in den übrigen Zweigen der Wissenschaften ausgezeichneten Gelehrten anzuführen. J. J. Rousseau und Gluck (s.d.) hatten mächtigen Einfluß auf die franz. Musik und die ausgezeichneten Componisten Grétry, Mehul, Boyeldieu, Isouard gehören wenigstens zum Theil dem 18. Jahrh. an. In neuerer Zeit haben Herold, Hale vy, Auber den Ruhm der franz. Musik befestigt. Jos. Vernet, Greuze und später David, Gérard, Regnauld, Girodet, Horace Vernet, Scheffer, Robert, Delacroix sind ausgezeichnete Maler.

Frankreich hatte durch die formelle Ausbildung seiner Sprache und durch jene wirkliche wissenschaftliche Größe vor allen übrigen gebildeten Völkern einen solchen Vorrang seit Ludwig XIV. erworben, daß sein Einfluß auf dieselben immer größer wurde. Die franz. Sprache wurde an allen Höfen und von fast allen Gebildeten gesprochen, die Moden und Modeansichten Frankreichs gingen von Paris über Europa. Um so gewaltiger erschütterte die franz. Revolution, das Endergebniß franz. Überbildung, alle Völker; aber während die geistig regsamsten unter diesen zuletzt durch die Stürme der Zeit zum Gefühle eigener Kraft gelangten, und bald durch eine tiefere und gleichmäßigere Ausbildung aller geistigen Richtungen Frankreich weit vorauseilten, hatte dieses die schwersten Kämpfe durchzumachen. Die Revolution erst und dann die Kriege Napoleon's ließen es nur einseitig sich weiter entwickeln. In jener konnte sich nur die Beredtsamkeit der Volkstribune ausbilden, und unter Napoleon machten die mit dem Kriege zusammenhängenden Wissenschaften gewaltige Fortschritte. Doch ging auch in Frankreich aus all den Stürmen endlich ein jugendlich regsamer Geist allseitig hervor. Die Fesseln der Akademie wurden zerbrochen, und wenn auch die moderne Literatur Frankreichs, welche sich als romantische Schule gegen die alte classische geltend gemacht hat, im Allgemeinen, statt wahrhaft frei zu sein und damit die Gesetze der wahren Schönheit an sich auszubilden, einer zügellosen Willkür anheimgefallen ist, so ist doch die Möglichkeit zum Trefflichsten und zum Theil dieses selbst in seinen Anfängen vorhanden. Ausgezeichnet sind der noch der classischen Schule anhangende Delavigne, der Volksdichter Béranger, der tief religiöse Lamartine, das Haupt des Romantismus, Victor Hugo (besonders als dramatischer Dichter ausgezeichnet), Barthélemy, Mery. Eben so berüchtigt als berühmt sind die modernen Romanschriftsteller Balzac, Jules Janin, und Madame G. Sand. Die Werke Chateaubriand's (s.d.) zeichnen sich durch Beredtsamkeit aus; der Abbé Lamenais hat den Versuch gemacht, die revolutionnairen Ideen des neuen Frankreichs mit dem Katholicismus zu vereinen, welches Unternehmen, wie großes Aufsehen es auch erregte, doch am innern Widerspruche zerfallen muß. Ausgezeichnete Historiker der neuern Zeit sind Ségur, Guizot, Thiers, und die Memoirenliteratur ist fast erdrückend. Das großartigste Interesse gewähren die in Bezug Napoleon's erschienenen Memoiren. Der größte Naturforscher, Cuvier (s.d.), der gewaltigste öffentliche Redner, Mirabeau (s.d.) und viele ausgezeichnete Mathematiker der neuern Zeit gehören Frankreich an. Musik und Malerei sind von trefflichen (schon oben erwähnten) Meistern geübt und durch allgemeine Theilnahme gefördert worden. Man hat endlich auch in Frankreich deutsche Literatur achten gelernt, viele Übersetzungen deutscher Werke sind erschienen; das Studium der deutschen Sprache ist allgemeiner geworden und es sind sogar (aber nur schwächliche) Anfänge gemacht worden, deutsche Philosophie auf franz. Boden zu verpflanzen.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 94-97.
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