Künstlerische Gestaltung der Eisenbahn

[13] Künstlerische Gestaltung der Eisenbahn, die Anpassung der Eisenbahnbauten, Betriebsmittel u.s.w. an künstlerische Anforderungen. Es ist vielfach die Frage erörtert worden, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Nutzbauten, als die sich die Eisenbahnbauten kennzeichnen, die Anwendung künstlerischer Formen gerechtfertigt sei. Nach der modernen Auffassung ist diese Frage ohneweiters zu bejahen, zumal die K. keineswegs mit Mehrausgaben verbunden zu sein braucht. Unter mehreren Lösungen einer technischen Aufgabe kann die billigere vom künstlerischen Gesichtspunkte aus mehr befriedigen als die teuere. Selbst unter technisch und wirtschaftlich gleichwertigen Lösungen wird sich immer eine finden, die in ästhetischer Beziehung höher steht als die übrigen. Der Fall, daß die Verbesserung eines Bauentwurfs in künstlerischer Beziehung Mehrkosten verursacht, die zur vollendeten technischen Ausführung nicht erforderlich wären, tritt hauptsächlich bei monumentalen Bahnhofgebäuden großer Städte ein; bei diesen spielen aber die Mehrkosten für die eigentliche Architektur im Vergleiche zu jener der rohen konstruktiven Baumassen keine Rolle. Im übrigen beschränkt sich der Mehraufwand meist auf die Heranziehung künstlerischer Arbeitskräfte und dieser Mehraufwand ist ohneweiters gerechtfertigt, wenn berücksichtigt wird, daß eine künstlerisch gefällige und geschmackvolle Ausführung der Hochbauten der Eisenbahn einen Schluß auf den künstlerisch kulturellen Stand des Landes gestattet und geeignet ist, die Reisenden zum Verbleiben in demselben anzuregen, sich somit durch den indirekten Nutzen, den sie dem Lande zubringt, rechtfertigt.

In der ersten Zeit des Eisenbahnwesens gab es im Eisenbahnbau so viele schwierige technische und wirtschaftliche Fragen zu lösen, daß man sich darauf beschränkte, die Bauten technisch vollendet auszuführen, so daß für künstlerische Betätigung Zeit und Kraft fehlten.

Erst mit der fortschreitenden Entwicklung des neuen Verkehrsmittels und seiner allmählichen finanziellen Konsolidierung trat das Bedürfnis hervor, die Hochbauten gediegener und schöner auszugestalten. Zugleich begann man, sich von den sog. geschichtlichen Stilformen freizumachen und der neuen Aufgabe entsprechend neue Wege einzuschlagen, neue Formen zu erfinden. Im Zusammenhange damit ergab sich für größere Verwaltungen die Notwendigkeit, zur Durchführung von hochbautechnischen Aufgaben besondere Architekten anzustellen oder bei besonders schwierigen Problemen hervorragende private Künstler auf Grund eines Wettbewerbs oder eines direkten Auftrags heranzuziehen.

Allmählich machte sich der Einfluß der Kunst auch bei den Kunstbauten (Brücken, Tunnels, Viadukten), den Fahrbetriebsmitteln, Signal- und Beleuchtungsmasten u. dgl. geltend.


I. Hochbauten.


Das Haupterfordernis bei der äußeren Gestaltung aller Hochbauten ist, daß sie in der Anlage klar und deutlich ihren Zweck zum Ausdruck bringen. Bei den Nebengebäuden (Güterschuppen, Lokomotivschuppen, Stellwerksbuden u. dgl.) ist dieses unschwer zu erreichen, da die Form durch die Art ihrer Benützung von selbst gegeben ist. Nicht so leicht ist die architektonische Ausbildung der Hauptgebäude.

Bei den Empfangsgebäuden großer Städte sind es ihre kubische Ausdehnung, ihre durch große Fenster und Tore sich bemerkbar machenden Räume und meist auch die sichtbaren Formen der Gleishallen, die ihnen das charakteristische Gepräge eines Bahnhofs geben. Anders bei den mittleren und kleinen Durchgangsbahnhöfen. Hier sind die Kennzeichen naturgemäß viel schwächer und deshalb für den Architekten schwieriger zu verdeutlichen. Nur auf der Bahnseite erleichtern ihm dieses Ziel die Einrichtungen des Betriebs: die Gleise, der Bahnsteig, dessen langgestrecktes Schutzdach und die am Gebäude oder in dessen nächster Umgebung angebrachten Signale, Aufschriften u. dgl.


In früherer Zeit wurde der Bahnsteig bei kleineren Stationsgebäuden meist ohne Dächer gelassen. Jetzt bringt man solche zum Schutze gegen Wetterunbilden sowohl bei alten als bei neuen Gebäuden an. Wo sie erst nachträglich bestehenden Gebäuden vorgesetzt wurden, blieben sie begreiflicherweise ohne organischen Zusammenhang mit diesen. Beim Entwurfe neuer Gebäude muß der Architekt die Anbringung eines Schutzdachs vorweg in Betracht ziehen. Es ist unbedingt verfehlt, wenn zuerst der Architekt die Schauseite des Gebäudes entwirft und hinterher der Ingenieur das Dach nach seinem Gutdünken vorsetzt. So kommt es, daß die Stützen des Dachs an unpassenden Stellen der Fassade zu stehen kommen, seine Oberlichten die dahinter liegenden Fenster des Obergeschosses überschneiden und verdunkeln, während das Dach selbst die Fenster und Türen des Erdgeschosses verdeckt.


Durch das Bahnsteigdach wird eine entschiedene Zweiteilung der Fassade verursacht, dies läßt sich nicht vermeiden und es scheint deshalb richtiger, daraus bei der Gliederung der[13] Hauswand die Folgerungen zu ziehen. Man wird also ganz davon absehen müssen, Pfeiler und Felderteilungen in der ganzen Höhe der Fassade durchzuführen, da sie ja wie diese durch das Dach in zwei Teile zerschnitten werden, die in sich und im Vergleiche zu den entsprechenden Wandteilen höchst unschöne Verhältnisse erhielten. Dagegen lassen sich entsprechend den Bunden des Daches Wandpfeiler von der Höhe des unteren Geschosses anordnen, die die Konstruktion des Daches aufnehmen. Auch der Anschnitt des Daches an der Wand könnte wohl durch laschenartige, nach oben gerichtete Anker in ästhetische Beziehung zu der Oberwand des Hauses gebracht werden. Die Ausbildung des unter dem Dach befindlichen Fassadenteils sollte vollständig unabhängig von dem oberen durchgeführt werden, was ja auch dem Zweck der dahinter befindlichen Räume entspricht: Unten große, hohe, zum Aufenthalt und zur Arbeit vieler Menschen bestimmte Räume mit weiten Wandöffnungen, oben niedere Wohnräume mit wenigen und kleinen Fenstern. Um die Zweiteilung noch stärker zu betonen, möchte es sich sogar empfehlen, die Struktur und Farbe des unteren Geschosses anders und entschieden kräftiger zu halten, als die des oberen. Der Gefahr, daß die untere Wand, die mit Aufschriften, Zeichen und Signalen aller Art bedeckt ist, einen unruhigen Eindruck macht, wird dadurch begegnet, daß sie möglichst in Gruppen zusammengefaßt werden, wobei zusammenhängende Wandteile frei bleiben; auch trägt hierzu eine klare Verteilung der Fenster und Türöffnungen bei.

Die Ausbildung der Straßenseite des Gebäudes erscheint ungleich schwieriger, da hier alle jene Merkmale in Fortfall kommen, die der Bahnseite ihr Gepräge geben. Früher hat man allzusehr den repräsentativen Charakter solcher Gebäude betont sowie häufig nach Schablonen gebaut und ist damit in Gegensatz zu der Umgebung geraten. Heute verfällt so mancher Künstler in das andere Extrem, die Bahnhofgebäude werden durch die allzu enge Anpassung an die Umgebung zu Bauernhäusern oder zu städtischen Wohngebäuden. Die richtige Mitte zu finden, muß in jedem Fall dem sicheren Gefühl des Architekten überlassen bleiben. Nur das eine ist stets zu beachten: die Vermeidung der Anordnung zu vieler Aus- und Aufbauten. Gegen die großen Linien des Bahnkörpers vermag nur ein Gebäude aufzukommen, das ebenfalls große Massen und Linien besitzt. Die Dominante der Fassade wird stets der Eingang oder die Eingangshalle bilden müssen. Dorthin ist der Schwerpunkt der Massen, Linien und der Ausschmückung zu legen.


Bei der Innenausstattung der für das Publikum bestimmten Räume läßt sich gleichfalls trotz notwendiger Sparsamkeit den Rücksichten auf Geschmack und gefälliges Aussehen Rechnung tragen. Die dekorative Behandlung der Wände, Decken und Ausstattungsgegenstände, insbesondere auch der Beleuchtungskörper hat nach dem Gesetze der Steigerung, von der Vorhalle beginnend über Hallen und Gänge bis zu den besseren Warteräumen zu erfolgen. Um die unschöne, gesundheitschädliche Schmutz- und Rußablagerung an Fußböden, Wänden und Decken auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken, dürfen Materialien und Stoffe mit rauher und empfindlicher Oberfläche, sowie stark ausladende Profilierungen nicht verwendet werden. Für die Fußböden der Hallen und Gänge ist ein dunkelfarbiges, von den hellen Tönen der Wände und Decken abstechendes Material von rauher Oberfläche zu empfehlen. Plastischer Schmuck und Wandbilder sind nur an solchen Stellen anzuordnen, denen eine solche Auszeichnung (vermöge ihrer struktiven oder ästhetischen Bedeutung) zukommt. Zum Schmuck besserer Warteräume sind Landschaftsbilder aus der Umgebung besonders geeignet. Kunstverglasungen und Glasmalereien können, namentlich bei hochsitzenden Fenstern, von günstiger Wirkung auf die Raumstimmung sein, jedoch darf hierdurch nicht eine Verdunkelung des Raumes stattfinden. Fenster und Türverglasungen müssen mindestens bis auf Augenhöhe von hellem Glas sein, da die Durchsicht von den Warteräumen nach den Gängen und Bahnsteigen im Interesse des Publikums gewahrt werden muß. Wo große Scheiben die Geschlossenheit der Wände stören würden, ist eine Sprossenteilung angezeigt. Die Verteilung der Beleuchtungskörper in den Warteräumen ist hauptsächlich eine ästhetische Frage, wogegen sie in Hallen und Gängen vor allem vom praktischen Gesichtspunkt aus zu erfolgen hat.

Bei Beschaffung von Einrichtungsstücken für Warteräume u. dgl. ist tunlichst auf den Stil und die sonstige Ausstattung solcher Räume Rücksicht zu nehmen. Sitzbänke und Sofas werden zweckmäßig miteingebaut, da der Architekt hierbei die Gelegenheit hat, sie schon beim Entwerfen der Räume selbst mit diesen in Einklang zu bringen, während sonst die Gefahr besteht, daß später von unverständiger Hand zum Raum schlecht passende Sitzbänke eingestellt werden. Ein weiterer ästhetischer Vorteil festeingebauter Sitzbänke liegt darin, daß sie weit organischer im Raume wirken als andere.

Ein wichtiges Kapitel ist die Unterbringung der Fahrpläne, Plakate und sonstigen Bekanntmachungen. Die Wartesäle I. und II. Klasse sollten womöglich ganz von Fahrplänen freigehalten werden, da sie den Gesamteindruck des Raumes stören, der in der Haltung doch mindestens dem Salon eines wohlhabenden Bürgerhauses entspricht. Dagegen läßt sich gegen ihre Unterbringung in den Warteräumen III. und IV Klasse sowie in den Schalterhallen und Gängen nichts einwenden; aber nur insofern sie an Stellen untergebracht werden, die vom Architekten hierfür vorgesehen und durch Rahmen begrenzt sind, so daß wichtige Architekturteile nicht verdeckt werden.


Bei der architektonischen Gestaltung von Werkstättenanlagen sowie der sog. Nebengebäude, wie Wassertürme, Stellwerksbuden, Waghäuschen, Güterschuppen, Lokomotivschuppen[14] u. dgl. ist zu berücksichtigen, daß sie bei unmittelbarer Nähe des Empfangsgebäudes in Form und Farbe äußerst zurückhaltend behandelt werden müssen, damit dieses unbedingt die Dominante des ganzen Baukomplexes bleibe. Stehen sie dagegen in solcher Entfernung vom Hauptgebäude, daß sie mit diesem nicht zu einer Bildwirkung kommen, dürfen sie wohl etwas selbständiger und anspruchsvoller gestaltet werden. Jedoch ist auch hierbei zu beachten, daß überflüssige Aufbauten und aufdringliche Farben vermieden werden. Besonders sorgfältig ist die Farbengebung des Holzwerks zu erwägen. Im übrigen ergibt sich die äußere und innere Durchbildung der Nebengebäude im großen und ganzen aus ihrer Zweckbestimmung und stehen hierbei die technischen Gesichtspunkte gegenüber den künstlerischen im Vordergrund.


2. Kunstbauten.


Den »Kunstbauten«, zu denen Brücken, Übergänge, Tunnelportale u.s.w. gehören, wird seit einer Reihe von Jahren seitens der Eisenbahnverwaltungen eine besondere Sorgfalt zugewendet.

Noch vor wenigen Jahrzehnten kannte man als Material für größere Brücken nur Stein und Eisen. Dank den Bemühungen hervorragender Künstler gelang es allmählich, auch den eisernen Brücken gefällige und materialgemäße Formen abzugewinnen. Beispiele hiervon findet man bei den meisten Hochbahnen der modernen Großstädte (in Berlin von Tettau und Grenander, in Wien von Wagner und Hoffmann). Die Erfindung des Eisenbetons hat im Brückenbau eine gewaltige Umwälzung hervorgerufen, die allerdings allmählich zu einer Überschätzung der künstlerischen und wirtschaftlichen Bedeutung dieses Materials führte. Zuerst von Architekten wie Ingenieuren mit Widerstreben aufgenommen, schien es bald alle übrigen Materialien verdrängen zu wollen. Das Eisen wurde als unkünstlerisches Material fortan in Acht und Bann getan und seine Verwendung auch bei den bescheidensten Bauwerken ausgeschlossen. Eisenbeton wurde auch da vorgeschrieben, wo das leichtere, elegantere Material des Eisens am Platz gewesen wäre. Man könnte Fälle aus dem Bahnbau der allerletzten Zeit anführen, wo die prächtigsten Täler in ihrer ganzen Breite von den riesigen Betonmassen übereinanderliegender, sich kreuzender Bahnkörper angefüllt und dadurch der landschaftlichen Schönheit und Übersichtlichkeit beraubt wurden, was bei häufigerer Verwendung durchsichtiger eiserner Konstruktionen hätte vermieden werden können. Solche Fälle sind dort um so bedauerlicher, wo die Anwendung von Eisenbeton auch wirtschaftlich von zweifelhaftem Wert ist. Die unbedingte und ausschließliche Verwendung dieses Materials dürfte dann wirtschaftlich bedenklich sein, wenn Veränderungen oder gar Auswechslungen des Bahnkörpers oder von Brückenteilen notwendig werden. Daß solche nur mit unverhältnismäßig großen Anforderungen von Zeit und Geld bewerkstelligt werden können, weiß jeder Kenner des Eisenbetons. Es ist ein großes Verdienst des Stahlwerkverbands, durch seine Propaganda auf den wirtschaftlichen und namentlich künstlerischen Wert des Eisens wieder aufmerksam gemacht und damit die Verwendung des Eisenbetons auf sein normales Maß zurückgebracht zu haben. Der Wettstreit zwischen Eisen und Eisenbeton läßt sich wohl dahin entscheiden, daß keines der beiden Materialien vor dem andern einen grundsätzlichen und absoluten Vorzug hat, daß vielmehr in jedem einzelnen Fall nach Erwägung der wirtschaftlichen und künstlerischen Momente die Wahl zu treffen ist.

Besonders schwierige Aufgaben werden dem Baukünstler bei der architektonischen Ausgestaltung der Eisenbrücken gestellt. Und zwar ist es nicht etwa die künstlerische Durchbildung der Eisenteile selbst, die recht erfreuliche Lösungen gefunden hat, sondern vielmehr die Verbindung des Eisens mit Stein am Ortpfeiler. Eine künstlerisch einwandfreie Lösung dieses Problems liegt bisher nicht vor. Bei großen Brücken wurde meist das Motiv eines mittelalterlichen Tores verwendet und man glaubte dabei durch Anhäufung von riesigen Massen der monumentalen Gestaltung der Eisenkonstruktionen ein Gegengewicht geben zu können. Daß der Erfolg ausgeblieben, nimmt nicht wunder, da die Steigerung des absoluten Maßstabs und der Größe der Baumassen nicht auch eine Steigerung des monumentalen Charakters im Gefolge zu haben braucht. So manche Riesendenkmäler der neuesten Zeit geben Zeugnis davon. Stehen die Brücken in freier Landschaft, sollte von der Verwendung steinerner Ortpfeiler ganz abgesehen und die künstlerische Wirkung in der schönen Linienführung und klaren Disposition der Eisenteile gesucht werden. Daß in der Tat mit solchen Mitteln prächtige Wirkungen erzielt werden können, zeigt die alte Britannia-Brücke in London sowie die Kaiser-Wilhelm-Brücke in Münster. Wo die Brücke jedoch in unmittelbare Nähe von Wohngebäuden zu stehen kommt, wird man auf eine Beziehung zu deren steinerner Architektur nicht ganz verzichten können. Allein auch hier scheint die äußerste Beschränkung in der Verwendung[15] des Steinmaterials am Ortpfeiler vom künstlerischen Gesichtspunkt aus sehr wünschenswert.

Zu ähnlichen Mißgriffen wie bei den Brücken gab die Ausbildung der Tunnelportale Veranlassung. Hier wie dort nahm man sich mittelalterliche Burgtore zum Vorbild, nur daß sie hier noch sinnwidriger wirkten. Aber neben der Sinnwidrigkeit hat solche Architektur auch ästhetische Unmöglichkeiten an sich. Die zierlichen unruhigen Formen der Zinnen, Schießscharten und Wehrtürmchen bilden einen unerträglichen Gegensatz zu den großen Linien der Tunnelöffnung und den einfach-ruhigen Flächen der anschließenden Bergböschungen. Hier ist der Beton ohne Zweifel ein technisch und künstlerisch sehr geeignetes Material. Vermöge der Eigenart seiner Herstellungsweise gestattet er eine flächige Gliederung der glatten Mauern und eine einfach-große Profilierung der Gesimse und Umrahmungen; Eigenschaften, die für eine gute Wirkung solcher Architekturen unbedingt erforderlich, aber in anderem Material nur mit wesentlich größeren Kosten zu erreichen sind.


3. Betriebsmittel.


Als neuestes Gebiet hat sich die Kunst im Eisenbahnbau auch die Betriebsmittel erobert. Obwohl seit jeher die künstlerischen Mängel beim Bau der Eisenbahnwagen besonders an deren innerer Einrichtung vielfach berechtigten Anstoß erregten, betrachtete man dieses Gebiet lange Zeit hindurch als ausschließliche Domäne des Maschinen- und Wagenbauers. Erst mit dem Fortschreiten des Kunstgewerbes wurde man sich bewußt, daß ebenso gut wie die Kammern eines Arbeiters oder die Kabinen des kleinsten Alpenseedampfers auch die Abteile eines internationalen Eisenbahnzugs eine künstlerische Gestaltung erfordern. Diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, ist seit einigen Jahren das eifrige Bestreben der Eisenbahnverwaltungen. So hat z.B. die württembergische Verwaltung vor kurzem nach den Entwürfen des bekannten Stuttgarter Künstlers Rochga einen Musterwagen ausführen lassen, der auf der Kölner Werkbundausstellung im Jahre 1914 zu sehen war. In diesem Musterwaggon hat ein auserlesener Geschmack die Farben der Wände und Decken, der Stoffbezüge und der Beschläge sowie alle sonstigen Einzelheiten so zusammengestimmt, daß ein harmonischer Gesamteindruck entstand; dabei ist keine Verschwendung mit Raum oder Material getrieben und den Forderungen des praktischen Gebrauches sorgfältig Rechnung getragen. Bei der 1914 eröffneten elektrischen Bahn Wien-Preßburg wurde zum erstenmal in Österreich die architektonische Ausgestaltung der Wagen einem fachkundigen Künstler anvertraut. Die Bauformen der Innen- und Außenverkleidung, Farbenzusammenstellung, die Formgebung der Sitze, Wahl der Holzsorten rühren von dem Architekten Otto Wagner her.

Die Träger der Betriebskraft, die Lokomotiven, unterliegen naturgemäß weniger der künstlerischen Formung. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß auch im Lokomotivbau der moderne Geschmack mit seiner Vorliebe für das konstruktiv Wahre und Großzügige Eingang gefunden hat. Die neuesten Schnellzuglokomotiven sind eigentlich nicht schön zu nennen: das unverhältnismäßig hohe Radgestell und die infolgedessen kurz gewordenen Schlote stehen in keinem guten Verhältnis zu den mächtigen Abmessungen des Kessels. Trotzdem nötigen sie vermöge ihrer monumentalen Gesamtdimensionen sowie verschiedener Einzelheiten auch dem Ästhetiker Achtung ab.


4. Sonstige Anlagen.


Was die Signalmasten, Lampenmasten, Wasserkranen, Aufschriftenständer u. dgl. betrifft, die mit dem Betrieb in unmittelbarem Zusammenhang stehen, so ist die Überzeugung heute wohl allgemein, daß diese Anlagen, um gut zu wirken, so schlicht wie möglich ausgebildet werden sollten, daß für sie weder die Architektur korinthischer Säulen, noch das naturalistische Geranke eines Baumstamms sich eignen. Vielmehr müssen glatte Schäfte mit möglichst wenig Gliederung, sowie entsprechende Anordnung der Gesamtlinie gewählt werden. Da solche Formen dem Eisenbeton besonders liegen, ist dessen häufige Verwendung hierfür und Bevorzugung gegenüber dem spröderen Material des Eisens erklärlich.

Fuchs.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 13-16.
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