Londoner Schnellbahnen

[224] Londoner Schnellbahnen.


A. Stadtbegriff und Ausbreitung des Stadtverkehrs.


Das geschlossen bebaute eigentliche London (London proper) ist wesentlich in der Grafschaft London zusammengefaßt, in deren Kern die City von London einen Verwaltungskörper für sich bildet. Das Gebiet der von London abhängigen Vororte, d.h. Außen-London (Outer London) wird etwa durch die Grenzlinie des hauptstädtischen Polizeibezirks, die auch im wesentlichen die wirtschaftliche Einheit Groß-London (Greater London) umschließt, von dem offenen Lande, der Country, abgegrenzt. Da der Verkehr auch über diese Grenze, die von Charing Cross nach allen Richtungen ungefähr 20 km entfernt liegt, stellenweise und zum Teil weit hinausgreift, so wird neuerdings noch eine Zone der weiteren Vororte (suburban ring) hinzugerechnet, die im Umkreise von 50 km um St. Paul endigt.

Die City, das Herz der Londoner Geschäftsstadt, hatte im Jahre 1901 auf 2∙7 km2 Flächenraum nicht mehr als 26.923 Einwohner. City und Grafschaft zusammen umfassen 302∙8 km2, Außen-London 1491∙7 km2, Groß-London, d.i. City, Grafschaft und Außen-London, insgesamt 1794∙5 km2 oder das 28fache des Flächenraums von Berlin im Weichbilde. Die Bevölkerung betrug:


Innerhalb derIn Außen-In Groß-
Im JahreGrafschaftsgrenzenLondonLondon
18914,227.9451,405.8525,633.806
19014,536.2672,045.1356,581.402
19114,522.9612,730.0027,252.963

Zunahme im
Jahrzehnt
1891–1901+ 308.313+ 639.283+ 947.596
1901–1911– 13.306+ 684.867+ 671.561

Die Zahlen lassen die zunehmende Abwanderung der Wohnbevölkerung nach außen, gleichzeitig eine Verlangsamung des Großstadtwachstums erkennen.

In der hauptstädtischen Personenbeförderung sind die Träger des Großverkehrs Motoromnibusse, elektrische Straßenbahnen und Schnellbahnen mit Dampf- oder elektrischem Betrieb. Die Schnellbahnen sind entweder im Besitz selbständiger örtlicher Verwaltungen oder Fernbahnnetzen örtlich eingegliedert; sie sind auf Viadukten, in Tunneln oder offen, d.h. in Einschnitten und auf Dämmen geführt; eine besondere Form bilden die Röhrenbahnen, die sich 20–30, ja bis 50 m tief unter der Erde hinziehen. Die Omnibusse und Schnellbahnen gehören durchweg Privatunternehmungen, die Straßenbahnen befinden sich zum großen Teil in der Hand des Grafschaftsrats.

Über den Gesamtumfang des Groß-Londoner Ortsverkehrs sind genaue Angaben nicht zu beschaffen. Im Jahre 1907 wurden bei einer Bevölkerung von 7,217.939 Köpfen auf den örtlichen Schnellbahnen, Straßenbahnen und den Linien der großen Omnibusgesellschaften insgesamt 1.280,840.179, auf den Kopf 177∙5 Fahrten, ferner auf den von Fernbahngesellschaften betriebenen Schnellbahnen (Stadt- und Vorortbahnen) und auf Linien kleinerer Omnibusunternehmungen und in Droschken insgesamt 970,000.000, auf den Kopf 134∙4 Fahrten zurückgelegt. Dies ergibt alles in allem rund 21/4 Milliarden und auf den Bewohner rund 312 Fahrten. Inzwischen hat der Verkehr bei normaler Weiterentwicklung zwischen einzelnen Verkehrsmitteln gewaltige Verschiebungen erfahren, indem der Verkehr der Schnellbahnen zum Teil auf die elektrischen Straßenbahnen und Motoromnibusse abgewandert ist. Im Jahre 1913 beförderten die Omnibusse rd. 580 Mill., die Straßenbahnen des Grafschaftsrats 500 Mill., die der Vereinigten Straßenbahngesellschaft (London United Tramways) rd. 61 Mill. Personen.

Die Tafel VII zeigt die gewaltige Ausdehnung der Großbeförderungsmittel. Die Motoromnibuslinien und die Straßenbahnen sind darin schwarz punktiert und mit gezahntem Strich, die Schnellbahnen mit festem durchgehenden[224] gehenden Strich gezeichnet, u.zw. die Dampfschnellbahnen schwarz, die elektrischen rot.


B. Fernbahnsystem.


Die Stammbahnen endigen rings an den Grenzen der Geschäftsgegenden, der City und des Westends, die nördlichen mit je einem, die südlichen fast durchweg mit je zwei Einführungsbahnhöfen. Die letzteren führen so dicht wie möglich an die Geschäftsgebiete heran, in einzelnen Fällen sind sie auch etwas hineingeschoben.

Den Verkehr zum Festlande vermitteln die sog. Festlandlinien (Continental lines) im Süden und Südosten der Hauptstadt, nämlich die London Brighton- und Südküstebahn und die zu einer Betriebsgemeinschaft zusammengeschlossenen Südost- und Chathambahnen. Jede der beiden Bahngruppen hat einen Einführungsbahnhof an der Londonbrücke für die City und in Victoria für das Westend, die zweite Gruppe noch einen dritten am Holbornviadukt innerhalb der City.

Der Südwesten und Westen Englands werden durch die Südwest- und die Westbahn bedient. Waterloo, auf der Südseite der Themse, unweit des Westends, ist Endbahnhof der Südwestbahn, Paddington, am Westrande dieses Stadtteils, nördlich der Themse, Einführungsbahnhof der Westbahn. Die beiden Bahnen nehmen in ihrer Rangordnung etwa die Mitte ein zwischen den Festlandlinien und den vier hochentwickelten Bahngruppen der Zentral-, Nordwest-, Mittelland- und Nordbahn, die die Beziehungen Londons mit dem Norden vermitteln. Die Endbahnhöfe dieser 4 Gruppen, nämlich Marylebone, Euston, St. Pancras und Kings Cross, halten im Nordosten des Westends, unweit der City, enge Nachbarschaft.

Die beiden östlichen Linien, die Ostbahn und die London Tilbury- und Südendbahn nähern sich in ihrer Bedeutung wieder mehr der Festlandgruppe. Die Ostbahn schließt mit den Endbahnhöfen an der Liverpooler und Fenchurch-Straße an die City an; letzterer dient auch der Einführung der Tilburybahn, die übrigens neuerdings mit der Mittellandbahn verschmolzen worden ist.[225]

Die Stammlinien der Bahngruppen sind auf dem Lageplan durch starken Strich hervorgehoben.


C. Örtliche Bahnen.


1. Schnellbahnen (Stadt- und Vorortbahnen) älterer Entwicklung. Die älteren Schnellbahnen, ursprünglich durchweg Dampfbahnen, sind teils Zubehör der unter B bezeichneten Fernbahngruppen, teils selbständige örtliche Verkehrsunternehmungen.

Mit allen Fernbahngruppen sind mannigfach verzweigte Netze von Vorortlinien eng verflochten, die in wechselvollster Anordnung das Außengebiet als Gürtelbahnen, Zentralstrecken, Rückkehrschleifen durchziehen, auf denen unzählige, in der mannigfaltigsten Weise miteinander verkettete Zugverkehre eingerichtet sind. An fast allen Fernbahnhöfen befinden sich auch Einführungspunkte des Vorortverkehrs, sei es, daß Vorort- und Fernverkehr in einer einzigen Bahnhofsgruppe verschmolzen oder den Fernbahnhöfen gesonderte Vorortstationen angegliedert sind. Von den Fernverkehrsanlagen vollkommen losgelöste Einführungspunkte des Ortsverkehrs sind nur in geringer Zahl vorhanden; die wichtigsten sind der nahe beim Liverpoolstraßen-Bahnhof befindliche Endbahnhof Broadstreet, der von der Nordwestbahn und der jetzt mit ihr verschmolzenen Nordlondonbahn gemeinsam benutzt wird, und der Bahnhof Moorgatestreet der sog. erweiterten Linien.

Die aus der Zeit des Dampfbetriebs herrührenden selbständigen Ortsbahnen sind an den Grenzen von City und Westend unterirdisch entlang geführt. Ihren Kern bilden die Tunnellinien der eng zusammengehörigen beiden Gruppen der »inneren Ringbahn« (inner circle) und der »erweiterten Linien« (widened lines), vgl. den Lageplan, Abb. 276. Die innere Ringbahn, in die sich die Metropolitan-Distrikt- und die Metropolitan-Gesellschaft teilen, stellt sich dar als eine die großen Einführungsbahnhöfe der Fernbahngesellschaften berührende ununterbrochene unterirdische Verbindungsschleife, die in das Stadtinnere nicht tiefer eindringt. Bei den im Eigentum der Metropolitanbahn stehenden »erweiterten Linien« ist auf die Fernbahnhöfe in geringerem Maße Rücksicht genommen;[226] aber sie dringen weiter in das Stadtinnere ein als die Ringbahn. An die beiden Gruppen der inneren Ringbahn und der erweiterten Linien ist ein ähnlich verzweigtes und verkettetes Netz von Außenlinien angeschlossen, wie bei den Fernbahngruppen. Die Anschlußlinien der Ringbahn dringen in westlicher und östlicher Richtung in die Umgebungen vor.

Die älteste Untergrundbahn Londons ist der Ringabschnitt von Paddington (Bishops Road) bis Farringdon, der, schon 1854 genehmigt, am 10. Januar 1863 für die Brunelsche Weitspur von 7' = 2∙135 m eröffnet wurde. Es folgten die Ringerweiterungen bis Moorgatestreet Ende 1868, bis Westminster Ende 1871, bis Bishopsgate Mitte 1875, bis Aldgate Ende 1876, zum Tower Ende 1882; das Schlußstück des Ringes und die Whitechapel-Erweiterung wurden Ende 1884 dem Betrieb übergeben. Nicht lange nach Eröffnung des ersten Ringabschnitts wurde auch eine Teilstrecke der Ostlondonbahn eröffnet, in der sich der berühmte Brunelsche Themsetunnel befindet; sie wurde 1869 bis Wapping in Betrieb genommen, 1876 an die Ostlondonbahn angeschlossen. Die erweiterten Linien erschließen große Teile des nördlichen und südlichen London.

2. Die Schnellbahnen neuerer Entwicklung; Röhrenbahnen. Die in der inneren Ringbahn verkörperte Auffassung des Parlaments, das die Einführungspunkte des Fernverkehrs durch eine örtliche Schnellbahn der Reihe nach miteinander verbunden zu sehen wünschte, hat sich als verfehlt erwiesen; mit diesem Gedanken ist durch die neuen Schnellbahnen, die Röhrenbahnen (Abb. 277), gründlich aufgeräumt, bei denen im Gegensatz zur Ringbahn Gewicht darauf gelegt ist, von den Einführungspunkten auf radialem Wege nach dem Stadtinnern gelangen zu können. Auch die Röhrenbahnen suchen mit der zentripetalen Durchdringung des Stadtgebiets die zentrifugale zu verbinden. Aus den Erfahrungen ist weiterhin die Nutzanwendung gezogen, Linienverkettungen soweit wie möglich zu vermeiden, die Linien vielmehr möglichst selbständig zu machen. Daraus erklärt sich die ausgedehnte Entwicklung des Umsteigeverkehrs, die es neuerdings ermöglicht hat, von den Einführungsbahnhöfen wie auch von den wichtigen Stationen der Schnellbahnen älterer Entwicklung alle Teile des Stadtinnern bequem zu erreichen. Im Zusammenhang hiermit hat auch das Fahrkartenwesen für den durchgehenden Verkehr weitgehende Ausbildung erfahren.

Das Netz der elektrischen Röhrenbahnen zerfällt in 2 große Gruppen – gleichzeitig 2 Entwicklungsstufen entsprechend –, von denen die eine im Herzen der City am Mansion House, die andere im Verkehrsschwerpunkt des Westends, unweit Charing Cross, ihren Brennpunkt hat. Die Linien der letzteren Gruppe sind im Besitz der London Electric Railways Co. Die folgende Zusammenstellung gibt über Zugehörigkeit, Längen und erste Eröffnungen Aufschluß.


Londoner Schnellbahnen

Die älteste Röhrenbahn, die City- und Südlondonbahn, wurde bereits 1884 genehmigt. Die Genehmigung der sämtlichen übrigen fällt in die Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts.


D. Schnellbahnen mit elektrischem Betrieb.


Bei den elektrischen Schnellbahnen handelt es sich zum überwiegenden Teil um elektrisierte Dampfbahnen; die Röhrenbahnen wurden von vornherein für den elektrischen Betrieb eingerichtet. Die Einführung des elektrischen Betriebs auf den Dampfbahnen schreitet unaufhaltsam fort.

1. Die elektrisierten Dampfbahnen. Die Distrikt- und Metropolitanbahn mit den von ihnen betriebenen Anschlußlinien, soweit sie sich auf die innere Ringbahn stützen, sind vollständig elektrisiert, während die Gruppe der erweiterten Linien mit Rücksicht auf die anschließenden fremden Verwaltungen noch mit Dampf betrieben werden. Von den Vorortbahnen sind die der London Brighton- und Südküstegesellschaft schon zum großen Teil elektrisiert, während die der Südwestbahn und Nordwestbahn in der Umwandlung begriffen sind. Einzelne Bahnabschnitte der Südwest-, Nordwest- und Westbahnen, der Tilburybahn, der Ostlondonbahn, über die die Distrikt- und Metropolitanbahn[227] das Mitbetriebsrecht ausüben, sind bei Einführung des elektrischen Betriebs auf den letzteren mit umgewandelt worden.

a) Netz der inneren Ringbahn. Abb. 277 zeigt, daß der innere Ring 2 westöstlich gerichtete Stammlinien zusammenfaßt, deren südliche von der Distriktbahngesellschaft, die nördliche von der Metropolitangesellschaft betrieben wird. Die Distriktbahnzüge dringen von Mansion House westwärts über Earls Court nach Putney und Wimbledon, Richmond, Hounslow, South Acton, Ealing und Uxbridge, östlich über die Whitechapel-Erweiterung und die Tilburybahn bis Barking vor; die Züge der Metropolitanbahn sind westwärts nach Hammersmith und Addison Road, ostwärts über die Whitechapel-Erweiterung und die Ostlondonbahn nach New Cross geführt. In Bakerstreet sind Züge nordwestwärts nach Uxbridge abgezweigt. Der Betrieb des inneren Ringbahnnetzes erfolgt mittels Gleichstrom, der durch 2 besondere Schienen zu- und abgeleitet wird, so daß die Fahrschienen triebstromfrei sind (Abb. 278).

Das Netz wird vom Zugbetrieb der Distrikt- und Metropolitanbahnen, in die eine große Zahl von Außenstrecken fremder Gesellschaften einbezogen sind, in dem Sinne völlig beherrscht, daß im wesentlichen von einem einheitlich durchgeführten Betriebsplan gesprochen werden kann. Der Betrieb wird, wenn auch in getrennten Händen, doch nach wesentlich übereinstimmenden, den amerikanischen Erfahrungen entnommenen Grundsätzen gehandhabt, deren Durchführung durch die Unterschiede in der Ausrüstung der einzelnen Bahnen und der Wagenformen – von denen Abb. 279 die bei der Distriktbahn angewendete Art zeigt – nicht beeinträchtigt wird. Die Betriebsformen sind dank dem genialen Vorgehen Sir Albert Stanleys zur höchsten Vollendung entwickelt. Trotz der aus der Zeit des Dampfbetriebs noch überkommenen Linienverkettungen, wie in Earls Court und Aldgate, an deren Vereinfachung unablässig gearbeitet wird, ist es durch Einführung eines mit Gleisströmen arbeitenden selbsttätigen Signalsystems amerikanischer Art möglich geworden, die Zugabstände auf der Stammstrecke von Mansion House westwärts während der Hauptverkehrsstunden auf l1/2 Minuten, entsprechend 44 Zügen stündlich auf einem Gleis, zu verringern. Abb. 280 zeigt die Anordnung der Signale auf einem mit dieser Zugzahl befahrenen Stammstreckenabschnitte. Um die Bahnanlagen in weitestem Umfange auszunutzen, sind ausgedehnte Bahnhofsumbauten durchgeführt, zahlreiche Überschneidungen der Gleise durch Überwerfungen ersetzt, Bereitschafts-, Überholungs-, Umkehrgleise angelegt worden u.s.w. Die Eigenart des selbsttätigen Signalsystems hat dabei Vereinfachungen in den Gleisanlagen ermöglicht, die beim handbedienten System nicht für zulässig erachtet werden würden. So konnte die Zahl der Sicherheitsweichen in den Bahnhöfen vermindert, die Kreuzung von Zügen vor der Einfahrt in die Bahnhöfe zugelassen werden u.a.m. Eine der weiteren von Stanley eingeführten Neuerungen ist der Betrieb der sog. Non-stop-Züge, bei denen die Züge abwechselnd einzelne Stationen oder ganze Stationsgruppen nach bestimmtem Turnus ohne Aufenthalt durchfahren.

Auch die neuerdings mit größtem Erfolge durchgeführten Interessengemeinschaften im Londoner Verkehrswesen sind vornehmlich auf Stanleys Vorgehen zurückzuführen. Die wichtigste umfaßt die Distriktbahn, die sämtlichen Röhrenbahnen bis auf die beiden, die von Waterloo und von der Nordbahn zur City führen, ferner das gesamte Omnibuswesen und einen großen Teil der Straßenbahnen. Die wohltätigen Folgen dieser zusammenfassenden Organisation treten in wesentlichen Verbesserungen und Vereinheitlichungen[228] des Betriebs, des Fahrplan- und Tarifwesens deutlich zu tage und ermöglichen gleichzeitig eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aller an den Organisationen beteiligten Unternehmungen.

Die Betriebsergebnisse der Distrikt- und Metropolitanbahnen für das Jahr 1913 sind in der folgenden Zusammenstellung angegeben, zu der zu bemerken ist, daß die Einnahmen aus dem Personenverkehr den Zeitkarten- und Arbeiterverkehr ein schließen, während die Verkehrsziffer ihn ausschließt. Der Einnahmeanteil aus Zeit- und Arbeiterkarten machte bei der Distriktbahn 26, bei der Metropolitanbahn 30% der Gesamteinnahme aus.


Londoner Schnellbahnen

b) Netz der London-Brighton- und Südküstebahn. Die Gesellschaft wurde durch Gesetz von 1903 ermächtigt, die in Abb. 281 bezeichneten Vorortlinien zu elektrisieren. Die Südlondonbahn, das ist die Schleife von Victoria über Peckham Rye nach London Bridge, 13∙7 km, wurde am 1. Dezember 1909 eröffnet; ihr folgten am 1. Mai 1911 die Teilstrecke vom Battersea Park zum Krystallpalast der 16 km langen Strecke bis Norwood, ferner 1912 die Verbindung mit der Südlondonbahn zu Peckham. Die in der Abb. 281 besonders bezeichneten weiteren Linien befinden sich in der Umwandlung.

Zum Betrieb wird Einwellenstrom von 6700 Volt und 25 Pulsen verwendet, der durch Bügel von einer Oberleitung (Abb. 282 u. 283) abgenommen wird. Die Züge bestehen aus Trieb- und Beiwagen mit Quersitzen der bei den Berliner Stadt- und Vorortbahnen angewendeten Art; sie werden von den Enden gesteuert. Die Triebwagen (Abb. 284) sind mit 4 Winter-Eichbergschen Antrieben von 115 PS. auf der Südlondonlinie, von 150 PS. auf der Krystallpalastlinie ausgerüstet; die Hochspannungsapparate sind in feuersicheren stählernen Abteilungen untergebracht, die nur nach Abschaltung des Stromes geöffnet werden können. Die Beiwagen haben Triebabteile. Auf der Südlondonlinie führen die Triebwagen 66, auf den[229] übrigen Linien 70 Sitzplätze III. Klasse, die Beiwagen auf der Südlondonlinie 60 Sitzplätze III. und 16 Sitze I. Klasse, auf den übrigen Linien 50 Sitze III. und 24 Sitze I. Klasse.

Die Elektrisierung der Vorortlinien hatte eine lebhafte Verkehrsentwicklung zur Folge, die der Gesellschaft den ihr durch Motoromnibusse und Straßenbahnen entzogenen Verkehr wieder eingebracht hat.

c) Netz der Nordwestbahn. Die Gesellschaft wurde durch Gesetz von 1907 zum Bau von etwa 32 km neuen Bahnen und Erweiterungen zwischen London und Watford ermächtigt, auf denen im Zusammenhang mit den Strecken der von der Nordwestbahn erworbenen Nordlondonbahn elektrischer Betrieb eingerichtet wird. 1912 erhielt die Gesellschaft die gesetzliche Genehmigung, zur Einbeziehung einiger fremder Außenstrecken in den Elektrisierungsplan Verträge abzuschließen.[230] Die zu elektrisierenden Linien sind aus Abb. 285 ersichtlich. Der Ausbau ist auf der Watfordlinie schon weit vorgeschritten. Es wird beabsichtigt, die Bakerlooröhrenbahn bis zur Watfordlinie weiterzuführen und Röhrenbahnzüge bis Watford durchlaufen zu lassen. Zum Betrieb der Linien wird Gleichstrom verwendet.

d) Netz der Südwestbahn. Auch die Südwestbahn führt auf dem Netz ihrer Vorortlinien (Abb. 286) elektrischen Betrieb ein. Zunächst wird die Wimbledonschleife (95 km) elektrisiert; weitere 139 km folgen später. Als Betriebsstrom wird Gleichstrom verwendet.

2. Röhrenbahnen. Die Bahnen bestehen aus 20–30 m unter der Erdoberfläche geführten eisernen Röhren – eine für jedes Gleis – denen sich die Wagenform anpaßt. Stationsanlagen sind durch Erweiterung der Röhren gebildet (Abb. 287). Die Rohrweite ist mit der Zeit von dem völlig unzulänglichen Maß 3∙10 m bei der ältesten, der City- und Südlondonbahn, allmählich bis auf 3∙56 m gestiegen. Die City- und Südlondonbahn, deren Erweiterung beabsichtigt ist, wird noch mit elektrischen Lokomotiven betrieben; auf allen übrigen verkehren aus Trieb- und Beiwagen zusammengesetzte Züge, deren Ausrüstung und Zusammensetzung nur bei den 3 Röhrenbahnen der London Electric Railways übereinstimmt; Abb. 288 zeigt die allgemeine Anordnung eines Triebwagens dieser Bahnen. Sämtliche Röhrenbahnen werden mit Gleichstrom betrieben, der bei den neuen Bahnen gemäß Abb. 289 durch eine dritte und vierte Schiene zu- und abgeleitet wird, so daß die Fahrschienen, wie auf dem Netz der inneren Ringbahn, triebstromfrei sind. Die übrigen Röhrenbahnen verwenden bei verschiedener Anordnung der Stromzuführungsschienen die Fahrschienen zur Rückleitung.

Die Röhrenbahnen müssen bei der großen Tiefenlage der Bahnen künstlich belüftet werden. Die Stationen werden durch Aufzüge bedient, an deren Stelle neuerdings Fahrtreppen Otisscher Bauart treten, die sich hervorragend bewähren. Auf die Ausbildung des Umsteigeverkehrs zwischen den einzelnen Röhrenbahnen und den übrigen Schnellbahnen sowie den Einführungsbahnhöfen des Fernverkehrs ist besonderer Wert gelegt.

Die wirtschaftlichen Ergebnisse der Röhrenbahnen sind für das Jahr 1913 – für die Große Nord- und Citybahn für das am 1. Juli 1911 beginnende Berichtsjahr – in folgender Zusammenstellung angegeben:[231]


Londoner Schnellbahnen

Kemmann.

Abb. 276. Stammstrecken der Ortsbahngruppen des Innenrings und der erweiterten Linien.
Abb. 276. Stammstrecken der Ortsbahngruppen des Innenrings und der erweiterten Linien.
Abb. 277. Elektrisierte Ortsbahngruppe des Innenrings und der Röhrenbahnen.
Abb. 277. Elektrisierte Ortsbahngruppe des Innenrings und der Röhrenbahnen.
Abb. 278. Oberbau der Distriktbahn.
Abb. 278. Oberbau der Distriktbahn.
Abb. 279. Trieb- und Beiwagen der Distriktbahn (1/200 nat. Gr.).
Abb. 279. Trieb- und Beiwagen der Distriktbahn (1/200 nat. Gr.).
Abb. 280. Selbsttätige Signale auf der Distriktbahn. (Schraffierter Streckenabschnitt der Abb. 277.)
Abb. 280. Selbsttätige Signale auf der Distriktbahn. (Schraffierter Streckenabschnitt der Abb. 277.)
Abb. 281. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der London Brighton- und Südküstebahn.
Abb. 281. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der London Brighton- und Südküstebahn.
Abb. 282 u. 283. Oberleitungsanlage der London Brighton- und Südküstebahn.
Abb. 282 u. 283. Oberleitungsanlage der London Brighton- und Südküstebahn.
Abb. 284. Triebwagen der London Brighton- und Südküstebahn (1/200 nat. Gr.).
Abb. 284. Triebwagen der London Brighton- und Südküstebahn (1/200 nat. Gr.).
Abb. 285. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der Nordwestbahn.
Abb. 285. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der Nordwestbahn.
Abb. 286. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der Südwestbahn.
Abb. 286. In der Elektrisierung begriffenes Ortsbahnnetz der Südwestbahn.
Abb. 287. Querschnitt einer Station der neuen Röhrenbahnen.
Abb. 287. Querschnitt einer Station der neuen Röhrenbahnen.
Abb. 288. Triebwagen der neuen Röhrenbahnen (1/200 nat. Gr.).
Abb. 288. Triebwagen der neuen Röhrenbahnen (1/200 nat. Gr.).
Abb. 289. Oberbau der neuen Röhrenbahnen.
Abb. 289. Oberbau der neuen Röhrenbahnen.
Tafel VII.
Tafel VII.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 224-232.
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