Mont Cenis-Tunnel

[301] Mont Cenis-Tunnel, auch Col-de-Fréjus-Tunnel genannt, verbindet Frankreich (französische Mittelmeerbahn) mit Italien (italienische Staatsbahn). Er liegt auf der Bahnstrecke Chambéry-Modane (Nordeingang des Tunnels)-Bardonecchia (Südeingang)-Turin.

Der in der Zeit von 14 Jahren, vom September 1857 bis September 1871 erbaute Tunnel ist 2gleisig und bis auf die beiden Ausgänge, die teilweise in den Krümmungen von 350 und 500 m Halbmesser liegen, gerade.

Die Tunnellänge in der Geraden samt den beiden aus Vermessungsrücksichten ausgeführten geraden Verlängerungen (Richtungstunnel) betrug 12.220 m; dagegen ist die eigentliche Tunnellänge mit den gekrümmten Ausgängen und nach der genauen Schlußmessung mit 12.819∙6 m ermittelt.

In den Jahren 1880–1881 wurde der Nordausgang verlegt und der Tunnel verlängert, so daß die Gesamtlänge nun rd. 13.637 m beträgt. Die ursprünglichen Neigungsverhältnisse mit 22∙2 vom Nordeingang bis zur Tunnelmitte und von hier mit 0∙5 zum Südausgang abfallend, wurden nach Verlegung des Tunnelausgangs verändert; die Höhen-, Richtungs- und Neigungsverhältnisse zeigen Abb. 314 a u. b. Die starken Steigungen sind für den Eisenbahnbetrieb im Tunnel sehr ungünstig.

Der Tunnel durchfährt zunächst etwas Rutschboden, dann auf etwa 2000 m Tonschiefer, quarzigen Sandstein und Kalkschiefer, auf 400 m Quarzite, auf 300 m Anhydrit, auf 50 m Talkschiefer und auf 9000 m Kalk- und Talkschiefer. Die größte Überlagerung in der Tunnelmitte beträgt 1620 m.

Der Wasserzufluß war gering; er betrug auf jeder Seite nur etwa 2 m3/Std.; die größte Wärme wurde mit 29∙6° C ermittelt.

Der Bau ist mit einem Sohlstollen von 5–10 m2 Querschnitt begonnen worden. Beim Stollendurchschlag zeigte sich eine Abweichung in der Richtung von 0∙3 m.

Von Hand wurden 1640 m mit Bohrmaschinen (Preßluftstoßbohrmaschinen, Bauart Sommeiller, 6–8 auf einem Bohrwagen) 10.580 m Stollen hergestellt.[301]

Die mittleren Tagesfortschritte betrugen 1∙5 m und 1∙7 m, die größten Monatsfortschritte 92 m auf der Nordseite im Mai 1865 und 91 m auf der Südseite im Mai 1867.

Im festen Gebirge wurde vom Sohlstollen nach oben geschlitzt, worauf die obere Tunnelhälfte, dann die Strossenteile rechts und links des Stollens ausgebrochen und mit der Mauerung der Widerlager begonnen worden ist; im weniger festen Gebirge wurde vor Ausbruch der Strossenteile das Gewölbe gemauert, das nach Beseitigung der Strossen durch die Widerlager unterfangen wurde (belgische Bauweise). Die Tunnelförderung erfolgte fast nur durch Pferde; gegen Ende des Baues wurde auf der Südseite auch eine Lokomotive verwendet.

Holzzimmerungen waren nur in geringem Maße erforderlich.

Die Ausmauerung erfolgte in Ziegeln und in Hausteinen zumeist mit Gewölbestärken von 0∙5–0∙8 m. Im Abstand von 50 m sind gegeneinander versetzt Nischen und im Abstand von 1000 m große Tunnelkammern angeordnet.

Die für den mechanischen Bohrbetrieb (Kompressoren Sommeiller) und die Tunnellüftungsanlagen erforderlichen Wasserkräfte wurden den Flüssen Charmaix und Arc auf der Nordseite, sowie Melezet auf der Südseite entnommen.

Der Eisenbahnbetrieb durch den Tunnel ist am 17. September 1871 eröffnet worden.

Die Tunnelbaukosten stellen sich nach Abzug des durch die Verwertung der Installationen erzielten Ertrags auf 5400 Fr/m = 4320 M/m.

Frankreich leistete zu den Tunnelbaukosten einen Betrag von 26∙1 Mill. Fr. = rd. 21 Mill. M.

Die in den Jahren 1880–1881 ausgeführte Abänderung des nördlichen Tunneleingangs, die Verlängerung des Tunnels und die erforderlichen Anschlüsse an den bestehenden Tunnel mit zusammen 1575 m Länge kosteten außerdem noch 4∙4 Mill. Fr. = 3∙5 Mill. M.

Die Lüftungseinrichtungen während des Eisenbahnbetriebs bestanden zunächst in Zuführung von Preßluft (4–5 Atm.) von der Südseite her durch eine 15 cm weite Rohrleitung auf die volle Tunnellänge, der an verschiedenen Stellen namentlich an den Tunnelkammern und Nischen Frischluft entnommen werden kann. Diese Einrichtung hat hauptsächlich den Zweck, den Tunnelwärtern und Bahnarbeitern während des Aufenthalts und ihrer Beschäftigung im Tunnel frische Luft zu liefern.

Da starke, dem Betrieb so ungünstige Steigungen auf der Nordhälfte des Tunnels vorhanden sind, hat man am Südmund (Bardonecchia) 2 Ventilatoren (Bauart Saccardo, 360 PS.) aufgestellt, die aber bei ungünstigen Wind- und Witterungsverhältnissen noch keine ausreichende Wirkung äußern. Mit Einführung des elektrischen Betriebs wurden die Übelstände verbessert.

Die Bahnaufsicht im Tunnel besorgen je 6 Bahnwärter auf der Nord- und Südseite, die die Strecke bis zur Tunnelmitte einmal im Tag zu begehen haben. Außerdem sind Wachen an den beiden Tunnelmünden angestellt.

Die 19 km lange Strecke Modane-Bardonecchia, in der der 13∙6 km lange Tunnel liegt, wird in 40 Minuten durchfahren.[302]

Literatur: Sommeiller, Traforo delli alpi fra Bardonecchia e Modane. Turin 1863. – Biadego, I grandi trafori alpini. Mailand 1906. – Giornale del genio civile 1863–1871. – Electric Traction on the Mount Cenis Line. Engineer 1913.

Dolezalek.

Abb. 314 a u. b.
Abb. 314 a u. b.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 301-303.
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