[71] Philadelphias Schnellbahnen. Philadelphia ist die drittgrößte Stadt der Vereinigten Staaten und zählt einschließlich der Ortschaften Chester, Norristown, Camden eine Bevölkerung von 2 Mill. (1912). Als bevorzugter Knotenpunkt der Eisenbahn- und Wasserwege, zu dem auf dem Delawarestrom die Ozeandampfer 155 km weit vordringen, hat Philadelphia sich zu einem der bedeutendsten Handels- und Fabrikzentren des Landes entwickelt. In dem flachen Gelände hat das Siedlungsgebiet westlich des Delaware bis weit über den Schuylkillfluß hinaus eine Ausdehnung gewonnen, welche die der anderen amerikanischen Großstädte im Verhältnis zur Bevölkerung übertrifft (Abb. 56); ist doch im Durchschnitt jede Wohnstelle bebautes Grundstück mit einem besonderen Straßeneingang mit nur 5,2 Personen belegt (1910); daher das Vorherrschen des Einfamilienhauses. In bezug auf die wirtschaftliche Gliederung ist bemerkenswert die gruppierte Verteilung der Fabrikbetriebe [72] mit ihrer Arbeiterschaft über das Stadtgebiet und die mäßige Ausdehnung des inneren Geschäftsbezirks, der mit seinen Groß- und Kleingeschäften, Bureaus, Gasthäusern, Bahnhöfen, Fährlandestellen, Erholungsstätten einen nur 3/4 km breiten, rechteckigen Kern bildet, der sich vom Delaware 21/2 km nach Westen erstreckt und die östliche Marktstraße zur Mittellinie hat.
Die bedeutende Flächenausdehnung der Stadt hat zu reicher und weit ausgreifender Entwicklung der Straßenbahnen geführt. Ihre Anlage ist erschwert durch die schachbrettartig angelegten, engen, aber verhältnismäßig weit auseinander liegenden inneren Straßenzüge, unter denen nur die Markt- und Breitestraße geräumiger angelegt sind, von denen die letztere aber mit Gleisen nicht belegt werden darf. Die übrigen Straßen bieten nur für ein einziges Straßenbahngleis Platz, so daß die Wagen für die Hin- und Rückfahrt verschiedene Wege benutzen müssen. Angemessene Straßenbreiten finden sich nur in den Außengebieten (Frankford- und Kensington-Avenuen im Nordosten, Ridge Avenue im Nordwesten, Passyunk Avenue im Süden und eine Anzahl mäßig breiter Schrägstraßen westlich des Schuylkill). Obwohl sich das innere Geschäftsgebiet nicht zu gleicher Bedeutung entwickelt hat, wie in anderen Großstädten, bildet es doch den allgemeinen Zielpunkt der Straßenbahnlinien, deren Verkehr in Zeiten gesteigerten Andrangs die inneren Straßenzüge oft bis zur Unerträglichkeit belastet. Aber auch in den übrigen Stadtteilen werden durch den Mangel an Straßenraum und die vielfachen Überkreuzungen des Verkehrs häufige Stauungen verursacht.
Mit dem Bau der Straßenbahnen wurde 1858 begonnen; 1865 belief sich die Gleisausdehnung[73] bereits auf 208 km. Die 18921895 durchgeführte Elektrisierung hat den Entwicklungsgang außerordentlich beschleunigt; Ende 1912 waren 910 km Gleise im Betrieb. Dabei hat sich der bebaute Stadtraum in einer Weise erweitert, daß die Benutzung der Straßenbahn auf die größeren Entfernungen zu zeitraubend geworden ist. Der Verkehr der weiteren Umgebung wird durch gut gelegene Vorortbahnen bedient (insbesondere die Pennsylvanische sowie die Philadelphia und Readingbahn), die ihrerseits wieder in einem ausgedehnten Netz elektrischer Schnellbahnen ihre Ergänzung finden werden, deren erstes Glied die im Betrieb befindliche Marktstraßen-Schnellbahn ist. Auch der Überlandverkehr hat sich durch den Bau zahlreicher elektrischer Eisenbahnen bereits stark entwickelt.
Das gesamte Straßenbahnwesen ist heute in den Händen der Schnellverkehrsgesellschaft (Philadelphia Rapid Transit Co.) vereinigt, die auch die Marktstraßen-Schnellbahn zur Durchführung gebracht hat. Bis 1912 hat die Gesellschaft einen Nutzen nicht zu erzielen vermocht; während der Verlust 1912 noch 2/3 Mill. M. betrug, schloß das Jahr 1913 zum ersten Mal mit einem Gewinn von rd. 2,2 Mill. M. ab. Im Jahre 1912 betrug ohne die Schnellbahn die Zahl der beförderten Personen 410 Mill.; die Einnahmen beliefen sich auf 80 Mill. M.
1. Die elektrischen Schnellbahnen.
a) Die Marktstraßen-Schnellbahn. Die Marktstraßen-Hochtiefbahn, die der Schnellverkehrsgesellschaft als reines Privatunternehmen angegliedert ist, wurde in den Jahren 1907 und 1908 in Betrieb genommen. Bei der 69. Straße beginnend (Abb. 56), durchzieht sie den westlichen Teil der Marktstraße bis über den Schuylkill als Hochbahn (Abb. 57); nach dessen Überschreitung (Abb. 58) setzt sie sich als Tiefbahn (Abb. 60) und nach beiderseitiger Umfahrung des Rathauses in der östlichen Marktstraße fort (Abb. 59); sie steigt am östlichen Ende dieser Straße innerhalb eines Häuserblocks wieder zur Hochbahn empor, die in südlicher Richtung in die Delaware Avenue einbiegt. Die Länge des Tunnelabschnitts beträgt 3,3 km, jene der westlichen und östlichen Hochbahnstrecken 5,9 und 1,3 km; die Gesamtlänge mit Rampen und Flachstrecken beläuft sich auf 12,1 km. Die Spurweite der Straßenbahn von 1,58 m ist auf die Schnellbahn übernommen.
Gleichzeitig mit der Schnellbahn ist auch eine von Westen kommende Straßenbahn mittels der »Rathausschleife« unterirdisch in das Geschäftsgebiet geführt. Der Straßen- und Schnellbahntunnel sind auf 2 km Länge zu einem einzigen Bauwerk vereinigt. Die Straßenbahnstationen sind für 3 hintereinander haltende Einzelwagen eingerichtet; doch selbst bei dieser geringen Wagenzahl ist eine ordnungsmäßige Abfertigung an den Bahnsteigen in Stunden starken Verkehrs nicht zu erreichen. In einigen Haltestellen kann zwischen den niedrigen Bahnsteigen der Straßenbahn und den hohen Schnellbahnsteigen umgestiegen werden. Die Weite des 2gleisigen Schnellbahntunnels beträgt[74] 8,06 m, die größte Höhe über den Schienen 4,27 m.
Auf der westlichen Hochbahnstrecke ruht der Oberbau auf Holzquerschwellen in Schotterbettung über einer von, durchgehender Fahrbahntafel getragenen Betondecke, im Tunnel auf Schwellklötzen (Abb. 60), die in glatter Betonsohle auf längslaufenden eisernen Zwillingsträgern verschraubt sind, eine Art Auflagerung, die sich in jeder Beziehung bewährt hat, auch die Riffelbildung vermindert und dadurch auch zur Verminderung des Fahrgeräusches beiträgt. Die Bahn wird mit Gleichstrom von 650 Volt betrieben, den die Wagen von der Unterseite einer dritten Schiene abnehmen, die im übrigen mit fester Holzverkleidung versehen ist. Die Stationslängen sind für Achtwagenzüge bemessen (107 m); zurzeit genügt in den verkehrsreichsten Stunden ein Betrieb mit Fünfwagenzügen in Abständen von 2 Min. Die Wagen sind sämtlich als Triebwagen gebaut und mit je zwei 125-PS.-Triebmaschinen ausgerüstet. Bei 15,1 m Länge und 2,76 m Breite bieten sie 52 Sitzplätze, davon 36 auf Längsbänken, 16 auf Querbänken in der Mitte des Wagens. An jeder Seite befinden sich 3 Eingänge mit Schiebetüren, die von Wagenbegleitern mittels Druckluft geöffnet und geschlossen werden. Die Wagenkasten bestehen aus Eisen; das Wagengewicht beträgt im Leerzustand 31,2 t.
Die Bahn ist mit selbsttätigen Signalen ausgerüstet, die auch bei der größten Zugstärke von 8 Wagen noch eine Zugfolge von 11/2 Min. gewährleisten. Für den Signalbetrieb ist Wechselstrom verwendet.
Die Kosten der Marktstraßen-Schnellbahn betragen mit der gesamten Ausrüstung und einschließlich der am westlichen Endpunkt angelegten umfangreichen Betriebsstätten rd. 70 Mill. M. Der Verkehr belief sich im Jahre 1912 auf rd. 35 Mill. Personen, die Einnahme auf rd. 7 Mill. M. bei einer Leistung von 9,9 Mill. Wagenkm. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß sich das Kapital, wenn überhaupt, nur sehr ungenügend verzinst.
b) Erweiterungsnetz. Die weitere Entwicklung des Schnellbahnwesens wurde von der Stadt selbst in die Hand genommen. Die Grundlage bildet eine vom Vorsteher des städtischen Verkehrsamtes, Merritt Taylor im Jahre 1913 erstattete umfangreiche Denkschrift, die die Schnellbahnfragen vom bautechnischen, vom verkehrs- und wirtschaftspolitischen wie vom finanztechnischen Gesichtspunkt aufs eingehendste behandelt; die Durchführung wurde erst durch die von den städtischen Wählern am 29. April 1915 genehmigte erste Schnellbahnanleihe von 25 Mill. M. eingeleitet, die zu vorbereitenden Arbeiten für eine nordsüdliche städtische Schnellbahn in der Breitestraße bestimmt ist.
Der Plan unterscheidet Linien eines ersten und zweiten Ausbaues. Die Tunnelbahn der Breitestraße, neben der Marktstraßen-Schnellbahn das Rückgrat des ersten Ausbaues, entwickelt sich aus einer um das Rathaus geführten Verteilungsschleife zwischen der 8. und 15. Straße (s. auch Abb. 61), von der ein Doppelgleispaar für Eil- und Lokalverkehr durch die nördliche und ein einfaches Gleispaar durch die südliche Breitestraße abzweigen. Der Nordzweig gabelt sich an der Pikestraße in 2 doppelgleisige Hochbahnen zur Rising Sun Avenue und zur Olney Avenue (Abb. 56). Der südliche Zweig geht an der Biglerstraße in eine Einschnittbahn über. Wie Abb. 62 zeigt, sollen die Züge in nordsüdlicher Richtung teils über den westlichen, teils über den östlichen Schleifenarm durchgeführt, z.T. auch, ähnlich wie in Chicago (vgl. Bd. III, S. 174), über die Schleife zurückgeleitet werden, eine Betriebsweise, die auch bei sorgfältiger durchgearbeitetem Gleisplan (vgl. Taylors Studien, Abb. 63 u. 64) mindestens hinsichtlich der Leistungsfähigkeit große Bedenken hat.
Der erste Ausbau umfaßt ferner eine Erweiterung der Marktstraßen-Schnellbahn durch Zweighochbahnen nach Darby und Frankford, die im Zusammenhang betrieben werden sollen, u.zw. zunächst über die Marktstraßenbahn, bei späterer Überlastung derselben über eine südlich davon zu erbauende Entlastungslinie. Die letztere soll dann mit einem Röhrentunnel unter dem Delaware hindurch nach Camden fortgesetzt werden.
Die Linien des zweiten Ausbaues (vgl. Abb. 56) stützen sich ebenfalls auf Schleifen, die das Rathaus in verschiedenen Straßenzügen umfahren (Abb. 61). Schließlich ist in Aussicht genommen, auch einzelne vorhandene Dampfbahnstrecken mit elektrischen Schnellbahngleisen zu belegen, so die Strecke der Pennsylvanischen Bahn von der Allegheny Avenue nach Chestnut Hill und eine an die Darbylinie anschließende Strecke nach Paoli. Die Gesamtausdehnung des Netzes würde sich einschließlich der Marktstraßenbahn auf rd. 200 km belaufen.
Aus wirtschaftlichen Gründen ist in den Außengebieten in bezug auf Verzweigungen möglichst Maß gehalten worden. Hier soll das Aderwerk der Straßenbahnen die Rolle der Zubringer übernehmen und dementsprechend ausgebildet werden. Wo irgend angängig, sollen auch statt kostspieliger Tunnelbauten Hochbahnen oder offene Strecken zur Ausführung[75] gelangen, umsomehr, als die Reisenden der Marktstraßen-Schnellbahn erfahrungsgemäß die Fahrt auf freier Hochbahnstrecke der Tunnelfahrt vorziehen. Die Hochbahnen sollen stellenweise von vornherein für 3 Gleisbreiten gebaut werden, um zu gelegener Zeit ein mittleres Schnellzuggleis aufnehmen zu können.
Die von Taylor vorgeschlagene Linienführung hat, insbesondern durch seinen Amtsnachfolger Twining, im inneren Stadtgebiet erhebliche Verbesserungen und Vereinfachungen erfahren. Die das Rathaus umziehenden Umkehrschleifen wurden beseitigt, indem die Außenstrecken zu Durchmesserlinien verbunden wurden. Von der Mitbenutzung der Marktstraßenschnellbahn für die Darby-Frankford-Linie ist Abstand genommen. Auch Twinings Vorschläge sind noch nicht als endgültige anzusehen.
Die Durchführung der Schnellbahnen soll im wesentlichen nach dem Bostoner und New Yorker Vorbild auf gemischtwirtschaftlicher Grundlage erfolgen; auch die ungünstigen wirtschaftlichen Aussichten weisen diesen Weg. Das Programm lautet daher: Herstellung des Rohbaues, u.zw. auch der Hochbahnstrecken auf Kosten der Stadtgemeinde, Verpachtung des Betriebs an einen Unternehmer, der auch die gesamte Ausrüstung Streckenausrüstung, Unterstationen, Betriebsmittel u.s.w. aus eigenen[76] Mitteln zu erstellen und letztere derart zu tilgen hat, daß die Ausrüstung nach Ablauf einer bestimmten Pachtzeit unentgeltlich in den Besitz der Stadt übergeht. Nach einer im Jahre 1915 herausgegebenen weiteren Denkschrift Taylors ist mit der Schnellverkehrsgesellschaft ein Betriebsvertrag geschlossen, auf Grund dessen sie das gesamte Netz einschließlich der Marktstraßen-Schnellbahn auf die Dauer von 50 Jahren als einheitliches Ganzes betreiben wird. Die für die neuen Linien stadtseitig aufzuwendenden Rohbaukosten belaufen sich einschließlich des Grunderwerbs auf 182 Mill. M., die dem Betriebführenden obliegenden Ausrüstungskosten unter Voraussetzung des Strombezugs von dritter Seite auf 48 Mill. M.; in beiden Fällen ist der Kapitaldienst für die Dauer der Bauzeit und während des ersten Betriebsjahres eingerechnet. Für den Delawaretunnel, der von der Gesellschaft für Rechnung der daran Beteiligten zur Ausführung gebracht wird, würden weitere 24 Mill. M. aufzuwenden sein.
Nach dem zwischen der Stadt und der Gesellschaft getroffenen Betriebsabkommen das den Delawaretunnel ausschließt werden der Gesellschaft die Einnahmen aus den städtischen Linien dergestalt ergänzt, daß die Gesellschaft nach Deckung der gesamten Betriebsaufwendungen einschließlich der ordnungsmäßigen Rücklagen zum Erneuerungs- und Reservefonds in der Lage ist, das für die Ausrüstungen verwendete Kapital mit 6% zu verzinsen und vom 10. Betriebsjahr ab jährlich mit 1% zu tilgen. Ein etwa darüber hinaus erzielter Reingewinn wird zur Hälfte an die Stadt abgeführt, jedoch erst nach Deckung der Verluste vorangegangener Jahre. Für die Mitbenutzung des Marktstraßenabschnitts im Betrieb der Darby-Frankford-Linie, wird der Gesellschaft ein Teil der Kosten nach dem Verhältnis der auf dem Gemeinschaftsabschnittgefahrenen Wagen-km vergütet.
Die Straßenbahn wird auf eine angemessene Reihe von Jahren gegen Einnahmeausfälle gedeckt, die ihr durch den Wettbewerb der städtischen Schnellbahnen erwachsen. Auf die zu gewährende Entschädigung kommen jedoch in Anrechnung die Reineinnahmen aus der Erweiterung nach Camden, etwaige Zinsersparnisse am Ausrüstungskapital und endlich die Pacht für den im Zuge der Darby-Frankford-Linie befindlichen Abschnitt der Marktstraßenbahn.
Im Gesamtnetz der Schnell- und Straßenbahnen wird der 5 Cent-Einheitsfahrpreis durchgeführt, derart, daß für diesen Fahrpreis auf den Straßenbahnen oder den Schnellbahnen oder im Übergang zwischen beiden eine zusammenhängende Fahrt mit einmaligem Umsteigen zurückgelegt werden darf. Die bisherigen 8 Cent-Umsteigfahrscheine werden abgeschafft1, doch wird für den Camdentunnel im Zusammenhang mit der Marktstraßenbahn ein Zuschlag von 3 Cent erhoben.[77] Straßenbahnlinien dürfen so umgelegt werden, daß Umwegfahrten möglichst vermieden werden. Als Gegenleistung für diese Tarifzugeständnisse willigt die Stadt in eine Verlängerung der im Straßenbahnvertrag von 1907 festgesetzten Genehmigungsdauer um 7 Jahre (von 1957 bis 1964) unter gleichzeitiger Verlegung des Anfangstermins für die Tilgung des Straßenbahnkapitals vom 1. Juli 1914 auf den 1. Juli 1924, so daß die inzwischen aufgesammelten Tilgungsrücklagen frei werden. Sodann wird der Gesellschaft die Steuer auf den Ertrag der Tochtergesellschaften jährlich etwa 465.000 M. auf die Dauer von 6 Jahren nachgelassen. Endlich wird die Gesellschaft bis Ende 1914 von der im Straßenbahnvertrag festgesetzten rückwirkenden Verpflichtung entbunden, die über 6% hinausgehende Straßenbahndividende mit der Stadt hälftig zu teilen.
Bei dem weitgehenden städtischen Verkehrsinteresse hat sich die Gemeinde der Gesellschaft gegenüber naturgemäß auch ein weitergehendes Überwachungsrecht, sowohl über die Schnellbahnen, als auch über die Straßenbahnen, gesichert; u.a. hat sie sich die Mitbestimmung über Erweiterungen des Straßenbahnnetzes vorbehalten, die das Allgemeininteresse berühren. Daß sie sich die Einsicht in die Akten und Bücher sowie die Prüfung der Rechnungen vorbehalten hat, entspricht der gemischtwirtschaftlichen Natur der Unternehmungen.
Zur Durchführung des Schnellverkehrsplans ist die Gemeinde von Seite der Staatsverwaltung mit weitgehenden Machtvollkommenheiten versehen. Durch Staatsgesetz vom 17. Juni 1913 ist sie ermächtigt, Verkehrsanlagen in beliebiger Weise selbst durchzuführen oder durchführen zu lassen, auch mit bestehenden Bahnen Anschluß- und Mitbenutzungsverträge zu schließen; die Befugnis erstreckt sich auch auf die benachbarten Gemeindegebiete. Das Geldbeschaffungsrecht der Stadt ist wesentlich erweitert. Für werbende Anlagen ist die Stadt zwar auch über die Verschuldungsgrenze hinaus zur Aufnahme von Anleihen berechtigt. Da die neuen Schnellbahnen jedoch einen Ertrag auf Jahre hinaus nicht erwarten lassen, war für die zu ihrer Durchführung erforderlichen Verkehrsanleihen anderweitige Zinsdeckung zu beschaffen. Zu diesem Zweck ist seitens des Staates zu gunsten der Städte wie auch der Grafschaften grundsätzlich auf den ihm zustehenden Viertelanteil an der sog. 1‰-Vermögenssteuer verzichtet (Ges. vom 17. Juni 1913), aus der der Gemeinde eine Mehreinnahme von 22/3 Mill. M. zufließen wird. In gleichem Sinn hat die Verfassung einen Zusatz erfahren, der die Stadt zur Erhöhung des für die Schuldaufnahme maßgebenden Anteils des steuerfähigen Grundbesitzes von 7 auf 10% ermächtigt. Die erweiterten Kredite dürfen ausdrücklich nur für Schnellverkehrszwecke Verwendung finden. Eine zukünftige Einnahmequelle erwächst der Stadt aus dem zu erwartenden Wertzuwachs in den durch Schnellbahnen erschlossenen Gebieten, die sich in höheren Steuereingängen ausdrückt.
Die Laufzeit der Verkehrsanleihen ist auf 50 Jahre festgesetzt, so daß die jährliche Tilgungsrücklage nicht über 1% bemessen zu werden braucht; steigende Tilgung ist zulässig. Wie schon erwähnt, ist ferner zugelassen, die Zinsen und Tilgungsbeträge während der Bauzeit und für das erste Betriebsjahr dem Anlagekapital zu belasten. Auch für wirksamere Rechtshilfe ist gesorgt. Die Verfassung weist die Gerichte an, Anträge in Verkehrssachen sofort zur Erledigung zu bringen.
Angesichts des erweiterten staatlichen Aufgabenkreises ist durch Zusatzbestimmung zum Ges. vom 1. Juni 1885 bei der Regierung auch eine neue Dienststelle für »Verkehrsfragen erstklassiger Städte« ins Leben gerufen worden.
Bei Aufstellung der technischen Normen für das städtische Schnellbahnnetz sind die Einrichtungen der Marktstraßen-Schnellbahn zum Muster genommen. Als Spurweite findet die Regelspur Anwendung, auf die die Marktstraßen-Schnellbahn mit ihren Betriebsmitteln abgeändert werden muß. Die Krümmungshalbmesser der Gleise dürfen nicht unter 50 m, die Steigungen nicht über 1 : 20 hinausgehen. Die größte Tunnelhöhe über den Schienen ist auf 3,65 m festgesetzt; ebenso groß ist der Abstand der Gleismitten. Seitenwände und Decke der Tunnel werden aus Stahlrahmen mit Wölbkappen aus Beton hergestellt, die auch dem Streckenpersonal als Unterstände dienen, so daß von einer Profilerweiterung für Begehungszwecke abgesehen ist. Die Viadukte werden stellenweise mit Einzelstützen gebaut (Abb. 65). Die Fahrbahntafel der Viadukte und der Oberbau werden in[78] gleicher Weise ausgeführt wie bei der Marktstraßenbahn. Die Herstellung der Tunnel soll möglichst im Tagebau in abzudeckender Baugrube, nur ausnahmsweise bergmännisch erfolgen. Zur Abführung der durch die Bahnmotoren erwärmten Tunnelluft werden mit Rosten abgedeckte Luftschächte hergestellt, die in der Straßenfläche, besser jedoch in Hausgrundstücken, ausmünden und im letzteren Fall mit Lufträdern versehen werden. Eine Zerlegung mehrgleisiger Tunnel in Einzeltunnel durch Längsscheidewände, wie in Neuyork, um für den Zweck der Tunnellüftung eine Kolbenwirkung der Züge zu erreichen, ist nicht beabsichtigt, da der Erfolg von Taylor angezweifelt wird.
Die Stationsanlagen werden für Zugstärken von 10 Wagen mit 154 m Bahnsteiglänge, die Sicherheitsanlagen für eine Zugfolge von 11/2 Min. eingerichtet, die im praktischen Betrieb auch unter Berücksichtigung einmündender Seitenlinien, vorkommender Kreuzungen, stärkerer Steigungen und von Zugaufenthalten bis zu 40 Min. für sicher erreichbar angesehen wird2.
Eilzugstationen in 4gleisigen Strecken werden so angelegt, daß die Eilzuggleise zwischen 2 Inselsteigen durchgehen, an deren Außenseite die Ortsgleise liegen; stellenweise werden zwischen die Eilgleise noch schmale Abgangsbahnsteige eingelegt3.
Die Betriebsmittel werden ähnlich wie die der Marktstraßenbahn durchweg als Triebwagen mit 2 Triebmaschinen von je 125 PS. gebaut und mit Vielfachsteuerung ausgerüstet. Das Leergewicht der Wagen beträgt 40 t. Nach Abb. 68 erhalten sie 54 Sitzplätze auf Längsbänken und 69 Stehplätze. Öffnen und Schluß der Türen erfolgt wieder mittels einer Drucklufteinrichtung durch Wagenbegleiter.
Als Betriebsstrom kommt gleichfalls Gleichstrom von 650 Volt zur Verwendung; auch die Stromschienenform bleibt ungeändert.
2. Elektrische Vorort- und Überlandbahnen.
Aus dem Straßenbahnnetz hat sich eine erhebliche Zahl von Vorortlinien entwickelt, die mit leistungsfähigeren Betriebsmitteln in die Umgebung vordringen. Die bekannteste ist die Bahn nach dem im Norden von Philadelphia gelegenen Vergnügungspark Willow Grove. Die außergewöhnlich starken Verkehrswellen machten hier eine weitgehende Vorordnung der nach Philadelphia zurückströmenden Ausflügler nötig, die in einer Stationsanlage der in Abb. 69 veranschaulichten Art erfolgt. Die von der Stadt kommenden Wagen werden an 2 tief im Hintergrund ersichtlichen Bahnsteiggruppen abgefertigt, von denen Rampen nach einem Zu- und Abgangstunnel führen. Von besonderem Interesse ist die Einrichtung der von dem Tunnel zugänglichen Abfahrtssteige, die der Länge nach mittels einer Holzschranke in einen Vorraum und einen Verteilungsraum zerlegt sind. Letzterer ist in Buchten abgeteilt, an denen die Wagen der verschiedenen Linien vorfahren, deren Richtungen über den Toren durch auswechselbare Inschriften bezeichnet sind; ihr Fassungsraum entspricht der Besetzung eines Wagens. Mit dem Bahnhof sind ausgedehnte Aufstellgleise verbunden, in denen die angekommenen entleerten Wagen bis zur Abfahrt abgestellt werden.
Im Überlandverkehr haben sich besondere Formen elektrischer Bahnen entwickelt, die in größerer Zahl zur Ausführung gekommen sind. An die Markstraßenhochbahn ist an der 69. Straße die Philadelphia- und Westchester-Bahn angeschlossen, die nach dem rd. 22 km entfernten Norristown führt. Außer den Überlandbahnen sind eine Anzahl elektrisierter Dampfbahnstrecken zu nennen, die teils dem Vorortverkehr, teils dem Überlandverkehr dienen. Unter den letzteren ist die älteste die zum Netz der Pennsylvanischen Bahn gehörende West Jersey- und Südküstenbahn, die 1906 vom Dampfbetrieb zum elektrischen Betrieb überging. Sie führt in 2gleisigem Ausbau von Camden über Newfield nach Atlantic City (105 km); in Newfield zweigt eine eingleisige Seitenlinie nach Melville ab (16 km). Als Betriebsstrom ist Gleichstrom von 650 Volt verwendet, der fast durchweg von dritter [80] Schiene, nur in den Straßen von Atlantic City (71/4 km) und auf der Seitenlinie nach Melville von einer Oberleitung abgenommen wird. Bis Atlantic City verkehren in dichter Aufeinanderfolge längere Schnellzüge mit 96 km Grundgeschwindigkeit und kürzere Ortszüge, die außer reinen Personenwagen (58 Sitzplätze) noch vereinigte Post- und Gepäckwagen mitführen. Zwischen Camden und Woodbury wird ein Vorortverkehr unterhalten. Die Züge bestehen durchweg aus Triebwagen mit je 2 200-PS.-Antrieben.
Auch die von der Pennsylvanischen Bahn betriebene, 32 km lange Strecke nach dem westlichen Vorort Paoli wird auf 4 Gleisen neuerdings elektrisch betrieben, u.zw. mit Einwellen-Wechselstrom von 11.000 Volt und 25 Pulsen. Die Strecke wird mit Triebwagenzügen von 36 Wagen zu je 68 Sitzplätzen befahren. Jeder Wagen führt 2 Triebmaschinen von je 225 PS., mit denen eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 33∙6 km/Std. erzielt wird. Die Zugfolge ist durch ein selbsttätiges Signalsystem geregelt, bei dem die Signale im Tag- wie Nachtbetrieb durch eine Gruppe einfarbiger Lichter gegeben werden, aus denen sich die Signalbilder durch verschiedene Zusammenstellung oder Lage der Lichterreihen unter Mitwirkung des Zuges selbsttätig zusammensetzen. Beispielsweise bedeuten 2 wagrechte Reihen von je 4 Lichtern übereinander »Halt«. Die Lichter sind auf etwa 3600 m Entfernung sichtbar. Der Wegfall aller beweglichen Teile am Signal ist als besonderer Vorteil des Systems zu bezeichnen.
Die derselben Bahngesellschaft gehörige, zurzeit mit Dampf betriebene Vorortstrecke nach Chestnut Hill wird in absehbarer Zeit ebenfalls elektrischen Betrieb erhalten, der auch für die Vorortstrecke der Philadelphia Baltimore und Washington-Bahn bis zur Weichbildgrenze erwogen wird.
Kemmann.
1 | Die Abschaffung der Umsteigkarten erfolgt in der von der Archstreet und Walnutstreet begrenzten Zone zwischen den Flüssen erst Anfang 1920, um eine Überlastung der hindurchgeführten westöstlichen Straßenbahnen vor dem Ausbau der Breitestraße-Schnellbahn zu vermeiden. Während der Übergangszeit haben die Fahrgäste die Wahl freien Umsteigens von den außerhalb der Zone geführten Ostwestlinien auf die sie querenden Nordsüdlinien. |
2 | Der erste Netzausbau würde danach ermöglichen, dem Geschäftsbezirk stündlich 800 Wagen von der Nord-Breitestraße und je 400 Wagen von der Süd-Breitestraße, von der Ost- und der West-Marktstraße zuzuführen. Dies ergibt, auf den Wagen 86 Fahrgäste gerechnet, eine stündliche Beförderungsmöglichkeit in der Richtung zur Innenstadt von 172000 Personen, die durch die Entlastungslinie der Marktstraßenbahn späterhin auf 206000 gebracht wird. |
3 | Durch die in den Abb. 66 u. 67 veranschaulichten Studien will Taylor zeigen, wie es durch Verschlingung der Gleise möglich wäre, die Leistungsfähigkeit der Durchgangsstationen von der Aufenthaltsdauer der Züge unabhängig zu machen. Bei 2gleisiger Bahn würden die Züge ohne Gefahr des Zusammenstoßens abwechselnd die eine und die andere Seite der Station benutzen. Wo noch Schnellzuggleise vorhanden sind, müßten diese unter der Ortsstation durchgeführt werden (Abb. 67). Bahnhofsformen der vorliegenden Art, mit denen die Leistung um 50 bis 75% gesteigert werden kann, sind zwar vereinzelt zur Ausführung gekommen (Brooklynbrücke, Station Nordphiladelphia der Pennsylvanischen Bahn); sie erfordern indessen eine so erhebliche Breitenausdehnung, daß Taylor von ihrer Anwendung auf den Schnellbahnen in Philadelphia absieht. |
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro