Herder, Familie

[420] Herder. Nicht nur hervorragendste Vertreterin des katholischen Verlagsbuchhandels in Deutschland, sondern auch eines der größten Verlagsgeschäfte Deutschlands ist die Herdersche Verlagshandlung in Freiburg i. B. mit Zweigniederlassungen in Straßburg. München, St. Louis und Wien.

Der Begründer der Weltfirma ist Bartholomäus Herder, geb. am 22. 8. 1774 als Sohn des Senators Herder zu Rottweil am Neckar. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und studierte unter dem berühmten Fürstab Gerbert auf der Klosterschule zu St. Blasien; später bezog er die Hochschule Dillingen »in der Absicht gelehrter Buchhändler zu werden«. 24 Jahre alt, kehrte Herder nach der Heimat zurück und überreichte dem Fürstbischof[420] Dalberg eine Abhandlung, »wie durch den Buchhandel am einflußreichsten auf die Bildung der Geistlichen und das Schulwesen eingewirkt werden könne«, worauf Dalberg unterm 27. Nov. 1801 aus Mörspurg antwortete: »Von Gottes Gnaden, Wir Karl Theodor Bischof zu Constanz, des heil. Römischen Reiches Fürst etc.... erteilen dem Bartholomä Herder anmit die landesherrliche Bewilligung, dahier eine Buchdruckerei anzulegen und den Bücherhandel zu betreiben«. Herder eröffnete also sein Geschäft in Meersburg, gründete das bald zu großem Einfluß gelangende Blatt »Archiv für pastorale Konferenzen« (1802-27), zog aber nach der Säkularisation nach Freiburg i. B. 1815 wurde Herder zum K. K. Feldbuchdrucker bestellt und hatte als solcher »dem Fürsten Metternich mit der Feldbuchdruckerei überall hin zu folgen«, er kam bis nach Paris und kehrte über Dijon und Vesoul nach Freiburg zurück. Die Verlagsartikel des ehemals fürstlichen Stifts St. Blasien, darunter Werke von Gerbert, Herrgott und Neugart kaufte Herder an. 1816 ließ er ein Etablissement für Zeichner und Kupferstecher erstehen, dem sich 1821 eine lithograph. Anstalt anschloß; besonders wurde in Aquatinta-Manier gearbeitet. Der erste Freiburger Verlagskatalog der Herderschen Universitätsbuchhandlung (vom Jahre 1816) verzeichnet u. a. K. v. Rottecks Allgem. Geschichte; Hugs Mythos der berühmtern Völker der alten Welt; Uebersetzungen aus Chateaubriand. 1827 wurde die Bildergallerie zum Conversationslexikon in 226 Tafeln begonnen und mit einem Kostenaufwand von 36000 fl. ausgeführt. Das Herdersche Institut hat übrigens die türkischen Kartenaufnahmen des damaligen Genie-Hauptmanns, späteren Feldmarschalls Moltke ausgeführt. 1831 begann Herder das große Werk eines im Maßstab von 1: 500000 ausgeführten Atlasses von Europa, mit dessen Vorarbeiten er 36 Künstler beschäftigte, von dem aber leider doch nur 60 Blatt (unter dem Namen eines Atlasses von Centraleuropa) erschienen sind.

Seit Januar 1809 war J. A. Schlosser aus Augsburg Direktor der Herderschen Buchhandlung in Constanz und wurde später Teilhaber.

1817 übernahm B. Herder die Karlsruher Hofbuchdruckerei mit Requisiten nebst dem Verlag des Regierungsblattes für 11250 fl., für das eine eigene Offizin ins Leben gerufen und bis 1844 beibehalten wurde.

Mit seinem Schwiegersohn Heck rief Herder unter der Firma Herder und Comp., eine Niederlassung in Paris ins Leben, die[421] aber 1840, wahrscheinlich infolge zu großer Kostspieligkeit wieder aufgehoben wurde.

B. Herder starb am 11. 3. 1839, das Geschäft seinen beiden Söhnen Karl Raphael und Benjamin Herder überlassend.

Benjamin Ignaz Herder wurde am 31. Juli 1818 zu Freiburg geboren; er erlernte nach den üblichen Gymnasialstudien den Buchhandel bei Gauthier de Laguionie in Paris, kehrte dann nach Hause zurück und studierte auf der Freiburger Universität. Mit 21 Jahren übernahm er gemeinschaftlich mit seinem Bruder Karl des Vaters Geschäft und setzte es vorläufig in der betretenen Bahn fort. Von den hervorragendsten Veröffentlichungen diese Zeit sind zu nennen: Die Handbücher der Chirurgie von Walther (6 Bde. 2. Aufl. 1843-52) und von Stromeyer (2 Bde. 1844-68); die Anatomie von Arnold (2 Bde. 1845-46), daneben Werke aus allen sonstigen Wissenschaften.

Eins der hervorragendsten Unternehmungen Herders war »Wetzer und Weltes Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften«. Die erste Auflage erschien 1847-60 in 12 Bänden mit Generalregister, die zweite Auflage, begonnen von Joseph Cardinal Hergenröther, fortgesetzt von Dr. Franz Kaulen, 12 Bände und ein Registerband, 1880-1903. Eine Ergänzung dazu bildet die »Real-Encyklopädie der christlichen Altertümer« von Dr. F. X Kraus (2 Bde. 1879-86) und das »Staatslexikon«, herausgegeben im Auftrage der Görresgesellschaft durch Dr. A. Bruder, 1. Aufl., 5 Bände, 1887-97, 2. Aufl. hrsg. von Dr. Julius Bachem, 1890-93. Mit dem Jahre 1857 begann Herder die Herausgabe des »Conversationslexikon« in 5 Bänden. (2. Aufl. 1875-79 in 4 Bänden. Die ganz neubearbeitete 3. Aufl. wird 8 Bände umfassen. Band I/II sind 1902-3 erschienen.)

Von periodischen Erscheinungen seien hier genannt: »Stimmen aus Maria Laach«, beginnend mit dem Jahre 1865 bezw. 1870, dazu erschienen ab 1876 in durchschnittlicher Stärke von 10 Bogen die Ergänzungshefte (bis jetzt 86 Hefte); »Die katholischen Missionen«, beginnend mit dem Jahre 1873; »Litterarische Rundschau für das katholische Deutschland »seit 1875, die Herder 1880 aus dem Verlage von R. Barth in Aachen übernahm.

Die Elite der katholischen Gelehrten und Schriftsteller versammelte Herder um sich. Da sind vor allem zu nennen, Alban Stolz (gesammelte Werke, 19 Bände mit Registerband) und Dr. Joh. Janssen (Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgange des Mittelalters,[422] ergänzt und fortges. von Ludwig Pastor, 1876 begonnen, bis heute sind 8 Bände, davon einzelne bereits in 16. Auflage erschienen; daneben schrieb Janssen eine Reihe geschichtlicher Einzelschriften); ferner von berühmten Theologen F. A. Staudenmaier (christl. Dogmatik 1844-52), C. von Schäzler, Hefele (Conciliengeschichte, 11 Bände), F. Hettinger (Apologie des Christentums 5 Bde. 8. Aufl. 1899-1900.), Jos. Hergenröther, Franz Kaulen, J. Scheeben, F. J. Knecht, O. Bardenhewer, Simar, V. Thalhofer, Gihr, Jos. Jungmann, Tilmann Pesch und Christian Pesch, Alb. Maria Weiß; von Philosophen namentlich Hagemann, Lehmen, Willmann, Greith und Ulber; aus dem Gebiete der Naturwissenschaften Altum, Berthold, Landois, Lorscheid, Wildermann und vorzugsweise ist hier das »Jahrbuch der Naturwissenschaften« herausgegeben von Wildermann, seit 1886 erscheinend, zu nennen; für die Länder- und Völkerkunde sind zu nennen die »Illustrierte Bibliothek der Länder und Völkerkunde« mit Autoren wie J. Bleibtreu, E. v. Hesse-Wartegg, Dr. F. Kaulen, Dr. F. Kayser, Jos. Kolberg, von Schweiger-Lerchenfeld, M. Geistbeck etc. und die Kirchenatlanten von O. Werner.

Ungemein reichhaltig sind die Schulbücher vertreten, von denen hier nur das »Lesebuch für Volksschulen von Bumüller und Schuster« genannt sei, von dem jetzt über 70 Auflagen vorliegen.

Die Musikwissenschaft vertreten in der Tonwelt wohlbekannte Namen wie Meister, Bäumker, Braun, Diebold, Dreves, Dübbers, F. und L. Lumpp, Singenberger etc.

Die Litteraturgeschichte ist namentlich vertreten durch Gietmann, Brugier, Lindemann, Reuter und Baumgartner (Geschichte der Weltlitteratur bis jetzt 4 Bände 1897 uff.).

Der Herdersche Verlagskatalog vom Jahre 1895 umfaßt 255 Groß-Oktavseiten, er giebt ein anschauliches Bild von einer Verlagsthätigkeit, wie sie intensiver kaum gefunden werden kann. Dr. Gothein schreibt 1887 in der »Karlsruher Zeitung« gelegentlich eines Ausstellungsartikels sehr treffend: »Der Herdersche Verlag ist eine merkwürdige Erscheinung unseres Kulturlebens. Erst hier – er meint also die Ausstellung – wo alle Artikel derselben säuberlich nebeneinander zu sehen sind, erkennt man, wie geschickt, planmäßig, großartig der katholische Freiburger Verleger alle Werke der nicht spezifisch katholischen Wissenschaft, Konversationslexikon und Schulbuch ebenso wie die gelehrte Darstellung der Geschichte und Naturwissenschaft, durch entsprechende Surrogate zu verdrängen weiß.«[423]

Herder selbst hat seine Grundsätze niedergelegt in einer ausführlichen Aussprache über katholische Litteratur, die verdient, hier einen Platz zu finden.

»Unser katholisches Publikum zeichnet sich nicht durch seine Bereitwilligkeit aus, allgemeine Litteratur, die von Katholiken ausgeht, zu ermutigen. Nein erbauliche und ascetische Werke finden wohl starken Absatz, und dies spricht für die Frömmigkeit unseres Volkes; aber von Katholiken herrührende Werke der allgemeinen Litteratur, die katholischen Geist atmen, werden zur Entmutigung katholischer Schriftsteller und Verleger mit großer Gleichgültigkeit aufgenommen, und es ist Thatsache, daß unser katholisches Publikum nicht, wie es sollte, seine Verpflichtung fühlt, katholische Gelehrte und Schriftsteller zu der Schöpfung einer eigenen Litteratur, die unser und unseres Vaterlandes würdig wäre, aufzumuntern.

»Wir fürchten, die Katholiken sehen und schätzen den Wert einer katholischen Litteratur nicht gebührend, wenn wir darunter eine allgemeine Litteratur verstehen, die sich nach Ton und Geist in Uebereinstimmung mit der katholischen Lehre und Sitte befindet. Der einzige Weg, auf welchem der Klerus oder sonst jemand auf die Masse der Indifferenten und Akatholiken einwirken kann, ist jener der Presse, und wir können eben durch die Presse nur dann einwirken, wenn unsere Veröffentlichungen von einem so hohen geistigen, wissenschaftlichen, litterarischen und sittlichen Werte sind, daß die Akatholiken sie entweder lesen oder hinter der fortgeschrittensten Bildung der Zeit zurückbleiben müssen.

»Wir sollten uns als ein Volk fühlen, als eine katholische Nation, und wir müssen arbeiten, um eine eigentliche Nationallitteratur zu schaffen, eine Litteratur, die fortleben und mit irgend einer großen Nationallitteratur der alten oder neuen Zeit in die Schranken treten kann. Nicht als ob die Litteratur unser einziges Bedürfnis oder auch nur unser dringenstes Bedürfnis wäre; aber sie ist eines unserer Bedürfnisse und heutzutage ein viel dringenderes als ehedem, da die Masse des Volkes auf mündlichen Unterricht und nicht auf das Lesen angewiesen war.

»Die Nachfrage erzeugt auch in der Litteratur das Angebot, und jeder Katholik sollte es sich, wie uns scheint, zur Aufgabe machen, ein Exemplar eines jeden Werkes, das einen Katholiken zum Verfasser hat, seiner Bibliothek einzuverleiben, sobald es den geringsten litterarischen Wert hat und dem Glauben und der Sitte nicht widerstreitet. Geschähe dies, so würden wir finden, daß es uns nicht an geistiger Geschicklichkeit, litterarischem Genie oder wahre Gelehrsamkeit fehlt.[424]

»Jetzt wird wenig hervorgebracht, weil die Nachfrage gering ist und litterarische Arbeit dem Schriftsteller wenig oder keinen Vorteil bringt. Manches Buch von ungemeiner Nützlichkeit würde geschrieben werden, könnte es, wenn geschrieben, einen Verleger, oder wenn gedruckt, Käufer finden. Jedermann muß von seinem Amte oder Geschäfte leben, und kann er dies nicht, so muß er es aufgeben. Leichte, armselige Werke, welche die Stelle gediegener und verdienstlicher Arbeiten einnehmen, werden gekauft; aber die soliden und wertvollen Werke bleiben, wenn geschrieben und gedruckt, größtenteils auf den Lagern der Verleger. Begreiflich darum, daß die verderbliche volkstümliche akatholische Litteratur des Tages bis zu einem gewissen Grade den Markt besetzt, welcher dem katholischen Schriftsteller offen sein sollte; denn die Sorglosigkeit und Gleichgiltigkeit unseres katholischen großen Publikums ist das Hindernis eines großartigen Aufschwunges der katholischen Litteratur.«

Karl Raphael Herder (geb. 1816, gest. 10. 6. 1865,) schied 1856 aus dem Geschäfte aus, infolgedessen mußte Benjamin auch des Bruders Anteil am Geschäft übernehmen. 1868 nahm er seinen Schüler Franz Joseph Hutter (gest. 1895) als Teilhaber in seine Verlagshandlung auf. 1867 erwarb er durch Kauf die bis dahin mit seinem Schwager Andreas Huggle gemeinschaftlich geführte Litterarische Anstalt in Freiburg(gegr. 1849) und eröffnete 1880 eine Agentur derselben in Karlsruhe. Nachdem bereits 1866 eine Zweigniederlassung in Straßburg errichtet war, folgten 1873 die beiden zu St. Louis (Mo.) und München, 1886 die zu Wien.

B. Herder starb am 10. 11. 1888. Das umfangreiche Geschäft ging nun an seinen einzigen Sohn Hermann Herder, geb. 14. 11. 1864 über, der 1892 Adolf Streber als Teilhaber aufnahm.

Quellen: [Hutter, F. J.]. Barthol., H. und seine Buchhandlung, Freiburg 1880; Alb. M. Weiß, Benj., H., 2. Aufl., Freiburg 1890; Verlagskatalog 1895 (und früher).

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 3. Berlin/Eberswalde 1905, S. 420-425.
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