[1028] Weidmann. Moritz Georg Weidmann wurde am 13. 3. 1658 zu Speyer geboren. Seine buchhändlerische Ausbildung genoß er in Frankfurt a. M., von wo er dann nach Leipzig gekommen sein muß. Das Gründungsjahr der Weidmann'schen Buchhandlung läßt sich nicht mehr genau feststellen. Nach einer Nachricht soll Moritz Georg Weidmann als Leiter in eine Buchhandlung Ritter in Leipzig eingetreten sein, die Witwe des verstorbenen Besitzers geheiratet und danach die Firma auf seinen Namen geändert haben. Erwiesen ist, daß die Buchhandlung von M. G. Weidmann im Jahre 1680 zum ersten Male mit einer Anzeige im Meßkatalog erscheint. Seine Handlung wurde dort rasch eine der ersten und zählte mit zu denen, die durch die Bedeutung ihrer Unternehmungen das Uebergewicht des Leipziger Buchhandels besonders Frankfurt a. M. gegenüber begründeten.[1028] Das älteste in der Handlung erhaltene Verlagswerk ist eine zierliche Ausgabe der Werke Ovids in zwei Bänden aus dem Jahre 1685; die Weidmann'sche Buchhandlung hat also von allem Anfang an Werke der klassischen Philologie verlegt, eine Richtung, der sie bis auf den heutigen Tag treu geblieben ist.
Weidmann betrieb neben seinem Verlage auch ein umfangreiches Sortimentsgeschäft, in dem er die gegen seine eigenen Verlagsartikel eingetauschten Werke fremden Verlages absetzte. Selbst ausländische Literatur wurde auf diesem Wege erworben und in Deutschland verbreitet. Zu diesem Zweck errichtete Weidmann eigene Vertretungen in Warschau und Stockholm, und ebenso unterhielt er einen lebhaften Geschäftsverkehr mit Frankreich und Holland.
Weidmann starb bereits am 16.8.1693, erst 35 Jahre alt. Frau Weidmann fand einen Leiter für die verwaiste Handlung in ⇒ Johann Ludwig Gleditsch, dem sie im November 1694 die Hand zum neuen Ehebunde reichte. Von da an bis zu Gleditschs Austritt lautete die Firma »Johann Ludwig Gleditsch & Moritz Georg Weidmann«.
1714 übernahm sein Stiefsohn, Moritz Georg Weidmann der Jüngere, das Geschäft. Gleditsch zog sich völlig ins Privatleben zurück und lebte noch bis zum 20. Januar 1741.
Weidmann der Jüngere wurde am 23. Januar 1686 geboren. Die tüchtige Erziehung seines gewissenhaften Stiefvaters fand ihren Abschluß in einem längeren Aufenthalt in Holland, wo Weidmann auch Universitätsstudien und zwar vorzugsweise das der Jurisprudenz betrieb und sich zugleich im Buchhandel umsah, der damals in Holland in besonderer Blüte stand. So trat er 1714 wohl vorbereitet das von seinem Stiefvater treu verwaltete väterliche Erbe an, dem er sich bis zu seinem Tode am 3. Mai 1743 mit großer Tatkraft gewidmet hat.
Der Verlag wurde durch z.T. sehr umfangreiche Unternehmungen erweitert, und daneben wurden die Verbindungen mit dem Auslande, besonders mit Holland und durch die Filialen in Stockholm und Warschau mit Schweden und Polen gepflegt.
In Vertretung gemeinsamer Standesinteressen übernahm Weidmann in Leipzig meist die Führung.
Am kurfürstlichen Hofe in Dresden muß Weidmann aber wohlangesehen und von nicht unbedeutendem Einfluß gewesen sein. Nicht nur, daß ihn Kurfürst August der Starke mit Aemtern und Würden belehnte Weidmann war Kgl. Poln. und Churfürstl. Sächs. Hoff-Accis-Rat bei der Stadt Leipzig und wirkl. Geheimer Cämmerier, außerdem auch Fürstl. Sachsen-Goth. Agent in Leipzig [1029] er lieh ihm auch seine nachdrückliche Unterstützung, als Weidmann einen Sitz im Rate der Stadt Leipzig erstrebte.
Am 3. Mai 1743 endete der Tod dies vielbewegte Leben, und da Weidmann keinen Sohn hinterließ, so ging die Handlung auf seine Witwe und seine einzige Tochter über. Diese wurde nach dem Tode der Mutter Alleinbesitzerin. Bei dem Fehlen einer tüchtigen Geschäftsleitung ging es mit der Handlung stark zurück. bis es im Jahre 1746 gelang, in ⇒ Philipp Erasmus Reich einen Buchhändler von ungewöhnlicher Begabung an ihre Spitze zu stellen, der sie weit über ihre bisherige Bedeutung hinaushob und sie zu der hervorragendsten in Leipzig machte, die durch die Zahl und den Wert ihrer Unternehmungen den meisten deutschen Buchhandlungen voranging. Während die Buchhandlung von dem Tode des letzten Besitzers bis zu Reichs Eintritt fast gar keine Neuigkeiten mehr gebracht hatte, weist der Meßkatalog von 1747 bereits wieder 12 auf; 1781 wird die höchste Ziffer mit 71 erreicht, und in Reichs Todesjahr 1787 waren es 64.
Gleich im Anfang seiner Tätigkeit hatte Reich einen außerordentlichen Erfolg mit Pepliers französischer Grammatik, die in immer neuen Auflagen erschien und dadurch die Mittel bot, das stark verschuldete Geschäft von drückenden Verpflichtungen zu befreien. Im Jahre 1759 erwarb er von der Großeschen Buchhandlung in Leipzig den seit 1594 erscheinenden Leipziger Meßkatalog, der als hauptsächlichstes der damals bestehenden Bücherverzeichnisse bei Buchhändlern und Privaten bedeutenden Absatz fand. Der Meßkatalog ist bis 1850 im Weidmann'schen Verlage erschienen und dann an Georg Wigand in Leipzig übergegangen. Seine frühere Bedeutung hatte er inzwischen längst verloren, und an seine Stelle waren die Hinrichs'schen Bücherverzeichnisse getreten.
Als Reich seine Tätigkeit begann, hatte Klopstock eben die ersten Gesänge der Messiade veröffentlicht und Lessing sein erstes Schauspiel geschrieben. Kurz darauf wurde Goethe geboren und zehn Jahre später Schiller; Wieland, Herder, Kant und Winckelmann standen bald in voller Wirksamkeit, und um diese Größten im Reiche der Geister wuchsen in Literatur und Wissenschaft alle die Mitstrebenden heran, die neben jenen und mit ihnen die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu der bewegtesten Zeit im literarischen Leben Deutschlands gemacht haben. Ein Mann von Reichs umfassender Bildung, von seiner Tatkraft und geschäftlichen Erfahrung konnte da nicht abseits stehen; mit frischem Mut und fester Hand suchte er aus dem Strome geistigen Lebens, der sich über Deutschland ergoß, auch für sich einen Anteil zu gewinnen, und es gelang ihm, dem Weidmann'schen[1030] Verlage unter den Dichtern und Gelehrten jener Zeit eine ganze Reihe der besten zuzuführen. Am nachhaltigsten war die Verbindung mit Wieland, dessen Schriften meist von Reich verlegt wurden, und mit dem ihn trotz vorübergehender Trübungen des Verhältnisses bis an sein Lebensende treue Freundschaft verband. Gellerts Werke verlegte Reich zwar unter der Weidmann'schen Firma, der Verlag war aber tatsächlich sein privates Eigentum, das erst nach seinem Tode für den Preis von 10000 Talern an die Weidmann'sche Buchhandlung überging. Auch Lessing war im Verlage vertreten, und daneben Ernesti, Heyne, Lavater, Joh. Müller, A. H. Niemeyer, Ramler, Sulzer, v. Thümmel, Zimmermann, Zollikofer und viele andere bedeutende Schriftsteller und Gelehrte.
Reich stand zu den Autoren des Weidmann'schen Verlages meist in den freundschaftlichsten Beziehungen, die durch einen lebhaften Briefwechsel und durch persönliche Besuche auf seinen häufigen weiten Reisen lebendig erhalten wurden. Sein Haus in Leipzig bildete den Mittelpunkt eines angeregten geistigen Verkehrs, an dem auch Fremde gern teilnahmen, die die lebhafte Stadt auf Reisen berührten. Auch Goethe, der als Mitarbeiter an Lavaters »Physiognomischen Fragmenten« wenigstens indirekt zu den Autoren des Verlages gehöret, war Gast in Reichs Hause, als er 1776 zur Zeit der Messe in Leipzig anwesend war.
Im Jahre 1762 nahm Demoiselle Weidmann Reich als Teilhaber in die Handlung auf, deren Firma von da bis zu Reichs Tode Weidmanns Erben & Reich lautete. Der Mitbesitz festigte seine Stellung und gab ihm die Möglichkeit, noch unbeschränkter wie bisher seine Pläne zu verwirklichen. Diese richteten sich neben der unermüdlichen Pflege des Verlages wie bei seinen Vorgängern auch auf eine Ausdehnung des Sortimentsbetriebes, der sehr bedeutend gewesen sein muß; es lassen sich heute noch Verbindungen mit Kopenhagen, Stockholm, Mailand, Lissabon und Lyon nachweisen. Ebenso wurde der Verkehr mit dem ausländischen Buchhandel gepflegt, und auch hier stoßen wir auf weit verzweigte Beziehungen, die bis Rußland, Skandinavien und England, Holland, Frankreich, Italien und Spanien reichen.
Diese umfassende geschäftliche Wirksamkeit ließ Reich aber noch Zeit gewinnen, sein lebhaftes Interesse für die allgemeinen buchhändlerischen Angelegenheiten zu betätigen, worüber in dem angeführten Artikel »Reich« Näheres gesagt ist.
Ein arbeitsvolles aber auch mit Erfolgen reich gesegnetes Leben lag hinter ihm, als Reich im Alter von 70 Jahren am 3. Dezember 1787 starb. Die von ihm zu höchstem Ansehen gebrachte[1031] Buchhandlung ging wieder in den Alleinbesitz des alten Fräulein Weidmann über, und hiermit beginnt eine fast vierzigjährige Periode stillen Weiterbestehens für das Geschäft, das in dieser Zeit durch Erbgang wiederholt den Besitzer wechselte. Aber so nachhaltig war der Einfluß von Reichs Tätigkeit, durch die der Verlag mit einer solchen Summe produktiver, noch auf die Dauer fortwirkender Kräfte erfüllt worden war, daß dieser selbst die schweren Zeiten der Napoleonischen Kriege überstand und danach immer noch als ein wertvoller und begehrenswerter Besitz erschien. Freilich hatte das Aufhören von Reichs fesselnden persönlichen Einfluß manche alte werte Verbindung gelöst, aber es blieb immer noch genug übrig, um daraus neue Lebenskraft zu schöpfen. Am schnellsten wurde Wieland dem Verlage untreu. Als er erfahren hatte, daß die Handlung nicht an Reichs Witwe sondern an Fräulein Weidmann zurückgefallen war, ist es bei ihm mit jeder freundlichen und billigen Rücksicht vorbei; er hebt bestehende Verträge einseitig auf, erhöht seine Honoraransprüche trotz früherer Abmachungen und bringt es endlich dadurch zum völligen Bruch, daß er im Verlage des jungen G. J. Göschen eine Gesamtausgabe seiner Werke herausgibt, in die auch alle im Weidmann'schen Verlage erschienenen einzelnen Werke aufgenommen wurden. Hierüber kam es schließlich zu einem Rechtsstreit zwischen Weidmann und Göschen, in dem die Weidmann'sche Buchhandlung trotz ihrer unzweifelhaften Ansprüche unterlag.
Nach Reichs Tode übernahm die Leitung des Geschäfts Reichs langjähriger, bewährter Faktor Reim, und nach dessen bereits 1789 erfolgten Tode E. M. Gräff. Im Anfang der 90er Jahre muß Fräulein Weidmann sein; am 1. November 1793 zeigt Johann Friedrich Junius an, daß er die Weidmann'sche Buchhandlung in Erbschaft erhalten und, da er seines Alters wegen nicht im Stande sei, die Geschäfte selbst zu besorgen, den bisherigen Vorsteher der Handlung, Ernst Martin Gräff, zum Handlungs-Gesellschafter aufgenommen habe. In diese Zeit fällt der Erwerb der Logarithmentafeln von Vega, die heute noch nach mehr als hundert Jahren in acht verschiedenen Sprachen erscheinen. Der alte Junius hat bald darauf das Zeitliche gesegnet, und 1802 war auch E. M. Gräff, der als ein sehr tüchtiger Buchhändler geschätzt wurde, bereits verstorben. In einem Rundschreiben vom 1. August 1802 stellten sich Christiana Eleonora Junius und Christiana Henriette verw. Junius als Besitzerinnen vor und zeigten an, daß sie an Stelle des verstorbenen Gräff den Buchhändler Carl Christian Hahn als Handlungs-Gesellschafter aufgenommen hätten.[1032]
Inzwischen war es in der Weidmann'schen Buchhandlung recht still geworden. Die Meßkataloge von 1790 bis 1822, wo die Handlung an Georg Andreas Reimer überging, weisen die höchsten Zahlen neu erschienener Werke für 1795 mit 32 und 1803 mit 31 auf; 1799, 1805 und 1806 kamen gar keine Neuigkeiten, und sonst bewegt sich deren Anzahl für die übrigen Jahre zwischen 3 und 18.
Da unter den Besitzern kein Buchhändler war, so ist es begreiflich, daß bald der Wunsch entstand, die Handlung zu verkaufen, weil man einsah, daß ihr Wert bei einer dauernden Verwaltung durch Fremde von Jahr zu Jahr sinken werde. Von dieser Absicht hatte auch Georg Andreas Reimer in Berlin erfahren, und da ihm die Weidmann'sche Buchhandlung eine wertvolle Erweiterung seines eigenen Verlages bot, so trat er selber als Käufer auf.
Georg Andreas Reimer ist hauptsächlich als Begründer der heute noch in hohem Ansehen stehenden Verlagsbuchhandlung ⇒ Georg Reimer in Berlin bekannt.
Die Kaufverhandlungen begannen im Jahre 1819 und führten erst 1822 zu einem Abschluß. Die Besitzer hatten es nicht zu eilig damit, und es gelang ihnen, Reimer von einem ursprünglichen Gebot von 40000 Talern zu einer endgültigen Kaufsumme von 60000 Talern hinaufzutreiben, obgleich man ihm meldete, daß für 10000 Taler Makulatur vorhanden wäre, woraus man schließen müsse, daß seit Ph. E. Reichs Tode viele Werke in Verlag genommen seien, welche keinen Debit gefunden hätten. Außerdem übernahm Reimer noch die Verpflichtung, den Vorbesitzern fünf Jahre lang eine Rente von je 3000 Talern, und endlich dem Geschäftsführer Hahn für die nächsten 10 Jahre eine jährliche Abfindung von 300 Talern zu zahlen.
Georg Reimer behielt seinen Wohnsitz in Berlin und ließ die Leipziger Handlung zunächst durch einen Geschäftsführer verwalten. Auf seinen Wunsch entschloß sich dann sein ältester Sohn Karl Reimer, der sich bereits dem Studium des Baufaches gewidmet hatte, Buchhändler zu werden und 1824 in die Weidmann'sche Buchhandlung einzutreten, deren Mitbesitzer er am 1. Januar 1830 wurde. Ihm zur Seite trat gleichzeitig als dritter Inhaber der Firma Georg Reimers Schwiegersohn ⇒ Salomon Hirzel.
Karl Reimer wurde am 26. Oktober 1801 geboren. Er wuchs in den glücklichen, geistig reich bewegten Verhältnissen seines Elternhauses unter der Obhut seines ausgezeichneten Vaters und einer zarten hochverehrten Mutter in einem großen Geschwisterkreise auf, und die in solcher Umgebung empfangenen Eindrücke haben ihren nachhaltigen Einfluß auf seine Herzens- und Charakterbildung nicht[1033] verfehlt. Reimer war eine ernst angelegte Natur, und an alles, was er unternahm, setzte er sein ganzes Können, und bei allem war er mit seinem ganzen Herzen. Nachdem er nicht ohne innere Kämpfe, dem Drängen des Vaters nachgebend, den aus Neigung erwählten Beruf des Architekten aufgegeben hatte, widmete er sich mit vollem Ernst dem Buchhandel, in dem er Großes geleistet und zu dessen besten Vertretern er gehört hat. Dem äußeren Schein war Reimer durchaus abhold, und sein ganzes Wesen und Leben war nach außen schlicht und einfach; aber von innen heraus wirkte die Gediegenheit seines Geistes und die freundliche Wärme seines Herzens fördernd, anregend und anziehend auf jeden, der in nähere Beziehungen zu ihm trat. »Er gehörte«, wie es in einem, in den »Grenzboten« veröffentlichten Nachrufe heißt, »in die erste Reihe jener Männer, bei deren Anschauen einem wohl wird, und die in jedem Herzen, das etwas auf sich hält, das Selbstgefühl hervorrufen: auch ich bin ein Deutscher!«
Mit aller Hingabe wirkte Karl Reimer in seinem Geschäft und darüber hinaus auch in den weiteren Kreisen seines Berufs.
Viele Autoren des Verlages sind Reimer und seinem Hause dauernde treue Freunde geworden. Zu diesen zählten besonders die Philologen Moriz Haupt, der von 1837-1850 an der Leipziger Universität wirkte, Hermann Sauppe, der in Leipzig studierte, und, ehe er nach Göttingen ging, Gymnasialdirektor in Weimar war, Otto Jahn, der 1847 als Professor nach Leipzig kam, aber schon 1851, ebenso wie im Jahre vorher Haupt und Mommsen, wegen seiner Beteiligung an der politischen Bewegung der Jahre 1848 und 1849 seines Amtes entsetzt wurde, der 1837 als einer der »Sieben« aus Göttingen vertriebene Historiker Friedrich Dahlmann, der von dort nach Leipzig kam und monatelang im Reimer'schen Hause als willkommener Gast lebte u.v.a. Der größte aber von allen, die in dieser Zeit dem Verlage und der Familie nahetraten, ist Theodor Mommsen. Er war 1848 als außerordentlicher Professor nach Leipzig gekommen und hatte hier bald Beziehungen zu der Weidmann'schen Buchhandlung gefunden. 1850 erschienen zwei seiner Werke: »Ueber den Chronographen vom Jahre 354« und »Ueber das römische Münzwesen« in ihrem Verlage, und am 1. Oktober desselben Jahres wurde der Verlagsvertrag über die »Römische Geschichte« geschlossen, deren erster Band 1854 erschien. Erwähnt muß hier auch Gottfried Hermann werden, dessen große Aeschylos- und Euripides-Ausgaben neben anderen kleineren Werken bei Weidmann erschienen sind.[1034]
Der Verlag war inzwischen so umfangreich geworden, daß den beiden Schwägern Reimer und Hirzel der Gedanke an eine Teilung kommen konnte. Diese erfolgte am 1. Januar 1853, und am 1. Oktober des nächsten Jahres siedelte Karl Reimer nach Berlin über, wo er bald in gleichem Ansehen wie in Leipzig stand.
Als 1837 unter den vertriebenen sieben Professoren auch Jacob und Wilhelm Grimm Göttingen verlassen hatten und nun ohne Amt und feste Tätigkeit in Kassel lebten, faßte Karl Reimer den Plan, den beiden großen Germanisten in einem umfassenden deutschen Wörterbuche eine ihrer würdige Aufgabe zu stellen. Sein Teilhaber Hirzel stimmte dem freudig zu, und Reimer reiste in Begleitung von Moriz Haupt nach Kassel, um Jacob Grimm zur Uebernahme des Wörterbuches zu bewegen. Dies gelang, und so wurde das große nationale Werk ins Leben gerufen, dessen erste Lieferung zwar erst 1852 erschien, und von dem zu Lebzeiten Jacob Grimms nur drei Bände vollendet worden sind, das nach seinem Tode aber von würdigen Nachfolgern fortgeführt wurde, und dessen Abschluß jetzt in nicht zu ferner Zeit zu erwarten ist. Wie das große Wörterbuch, so ist auch Jacob Grimms »Geschichte der deutschen Sprache« zuerst im Weidmann'schen Verlage erschienen.
In Gemeinschaft mit den befreundeten Moritz Haupt und Hermann Sauppe wurde die Haupt- und Sauppe'sche Sammlung griechischer und lateinischer Schriftsteller mit deutschen Anmerkungen« ins Leben gerufen, die als etwas völlig Neues in die Erscheinung trat und zu einem die Wissenschaft und den Unterricht fördernden und auch geschäftlich erfolgreichen Unternehmen des Verlages geworden ist. Als Sauppe in Zürich Professor war, besuchte ihn Reimer 1845; dort wurde der Gedanke der Sammlung besprochen und der Plan festgestellt, dessen Ausführung dann 1847 durch einen Vertrag zwischen beiden Herausgebern und dem Verlage vereinbart wurde. Sauppe war 1845 als Gymnasialdirektor nach Weimar gekommen; als nun die Sammlung ins Leben trat, fuhr er jahrelang alle vierzehn Tage Sonnabend mittag nach Leipzig, um mit Haupt und den befreundeten Verlegern in gemeinsamen Beratungen festzustellen, was im Interesse des Unternehmens zu geschehen habe. In der Nacht zum Montag kehrte er dann nach Weimar zurück. Gleichzeitig etwa wurde die große Sammlung von Handbüchern für die klassische Altertumswissenschaft geplant, in der außer Curtius' griechischer und Mommsens römischer Geschichte eine Reihe wertvoller Werke z.T. in zahlreichen Auflagen erschienen sind.
Vorher war bereits 1841 die »Zeitschrift für deutsches Altertum« unter der Leitung von Moriz Haupt gegründet worden,[1035] die seitdem in ununterbrochener Folge unter den Redaktionen von Müllenhoff, Steinmeyer, G. Roethe und Edward Schröder erschienen ist.
Zu einem für die Verleger ebenso sorgenvollen wie opferreichen Unternehmen wurde die von ihnen in den Jahren 1848 bis 1850 in Frankfurt a. M. herausgegebene »Deutsche Zeitung«. Als in der Paulskirche zu Frankfurt das erste deutsche Parlament tagte, wurde von der Partei, die sich später die »Gothaer« nannte, und zu der auch Dahlmann gehörte, das Fehlen einer großen politischen Zeitung auf das schmerzlichste empfunden. Sie sollte die Interessen dieser Partei vertreten, »welche die Einigung Deutschlands auf der Grundlage freier Staatseinrichtungen und eines gesicherten Rechtszustandes erstrebt; welche durch einheitliche Leitung mit Nationalvertretung eine deutsche Politik und die Führung der gemeinsamen inneren Angelegenheiten im nationalen Interesse herbeiführen will«. Bei dem außerordentlichen Interesse, mit dem besonders Reimer die nationale Bewegung verfolgte, ließ er sich mit Hirzels Zustimmung bereitfinden, eine solche Zeitung ins Leben zu rufen, und als Grundlage erwarb die Weidmann'sche Buchhandlung für 12000 Gulden die unter der Leitung von Gervinus in Heidelberg erscheinende »Deutsche Zeitung«. Am 1. Oktober 1848 wurde sie nach Frankfurt verlegt, und damit begann für Karl Reimer, der dieses Unternehmen, wie es scheint, fast ganz in seine Obhut genommen hat, eine Zeit außerordentlich gesteigerter Arbeit und vieler Sorgen. Wiederholt mußte er längeren Aufenthalt in Frankfurt nehmen, und wenn er in Leipzig war, ging die ganze umfangreiche Korrespondenz mit dem für die Zeitung bestellten Ausschluß, mit der Redaktion und Expedition durch seine Hände. Am schwersten wurden aber bald die durch die Zeitung bereiteten finanziellen Sorgen. Am 1. Juli 1850 übernahm den Verlag der Zeitung die ⇒ Brönnersche Buchhandlung in Frankfurt, welcher der Ausschuß Zuschüsse in Aussicht gestellt hatte, um sie wenigstens vor baren Verlusten zu schützen. Nach dem Scheitern des Erfurter Parlaments hörte die Möglichkeit des Fortbestehens für die »Deutsche Zeitung« auf; sie ging am Ende des Jahres 1850 ein, nachdem auch die Brönnersche Buchhandlung ihr noch 5000 Gulden geopfert hatte.
Schon im Jahre 1847 hatten die Besitzer der Weidmannschen Buchhandlung, um eine größere Einheitlichkeit zu erzielen, einen großen Teil des ganz alten Verlages an M. L. St. Goar in Frankfurt a. M. zu antiquarischer Verwertung verkauft. Als dann am 1. Januar 1853 Hirzel austrat und bei der dabei vorgenommenen Teilung wiederum mehrere Wissensgebiete abgetrennt wurden, hatte[1036] der Weidmannsche Verlag sich zu derjenigen Richtung ausgestaltet, der er als seinem Hauptgebiet bis heute treu geblieben ist: der klassischen Philologie. Daneben sind zwar immer auch Werke aus andern Wissenschaften verlegt worden; so war 1847-55 Beselers »System des deutschen Privatrechts«, 1854-57 Häußers »deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Gründung des deutschen Bundes« und von 1857 an das große »Handbuch der Erdkunde von Klöden« erschienen. Auch die deutschen Dichter waren neben Gellert und Wieland mit E. M. Arndt, Chamisso, Anastasius Grün, August Kopisch und A. W. v. Schlegel vertreten, und ebenso hat die Weidmannsche Buchhandlung, dem Zuge der Zeit folgend, von 1830-1839 einen von A. Wendt, Chamisso, G. Schwab und Freih. v. Gaudy herausgegebenen »Deutschen Musenalmanach« verlegt; aber die Haupttätigkeit des Verlages hat doch, besonders nachdem er nach Berlin verlegt worden war, der Altertumswissenschaft im weitesten Sinne gegolten.
In Berlin entwickelte Reimer eine außerordentlich umfangreiche Wirksamkeit; allein von der Haupt- u. Sauppeschen Sammlung erschienen von 1854-1859 65 Bände und daneben viele andere bedeutende Werke, und zu vielem Neuen waren die Keime gelegt, als der Tod diesem gesegneten Wirken am 29. Juli 1858 ein Ziel setzte. Sein Nachfolger war Hans Reimer.
Hans Reimer wurde am 27. Juni 1839 in Leipzig geboren, wo er auch den ersten Schulunterricht in der dortigen Nicolai- und Thomasschule genoß. Als sein Vater nach Berlin übersiedelte, kam er zu dem befreundeten Direktor Sintenis auf die Klosterschule in Zerbst und von hier zu seiner buchhändlerischen Ausbildung 1857 in die Bessersche Buchhandlung (W. Hertz) nach Berlin. Nach Beendigung der Lehrzeit arbeitete Hans Reimer mehrere Jahre als Gehülfe bei K. Groos in Heidelberg und bei Williams & Norgate in London, bis er am 1. Oktober 1864, nachdem er zuvor seiner Militärpflicht genügt hatte, in die väterliche Handlung eintrat. Noch ehe er Zeit gehabt hatte, seine Kräfte zu entfalten, rief ihn 1866 der Dienst des Vaterlandes wieder unter die Waffen, und auch den Krieg von 1870/71 hat er als Landwehrmann mitgemacht.
Durch diese ernsten Lebenserfahrungen gereift, widmete sich Hans Reimer mit voller Hingabe der Pflege seines Geschäftes, dessen Ansehen er durch große wissenschaftliche Unternehmungen erhöhte, und dem er in einem umfangreichen Schulbücher-Verlage einen neuen ergiebigen Zweig hinzufügte. Der Wissenschaft hat er in hervorragendem Maße gedient. Für ein tüchtiges wissenschaftliches Werk war er immer bereit einzutreten, mochte die Aussicht auf Absatz auch[1037] noch so gering sein, und die Opfer, die er hierbei gebracht hat, sind nicht niedrig anzuschlagen. 1866 begründete Reimer die Zeitschrift für klassische Philologie »Hermes«, die unter den philologischen Zeitschriften eine ähnlich hervorragende Stellung einnimmt wie die »Zeitschrift für deutsches Altertum« unter den germanistischen. 1869 erwarb er aus dem Verlage von Th. Chr. Fr. Enslin die »Zeitschrift für das Gymnasialwesen«, die sich stets als eine wertvolle Verbindung zwischen dem Verlage und den höheren Unterrichtsanstalten erwiesen hat. 1873 begann die »Zeitschrift für Numismatik« zu erscheinen, 1875 das »Archiv für slavische Philologie« und 1880 das »Jahrbuch der Königl. preußischen Kunstsammlungen«. In demselben Jahre trat die von Max Roediger herausgegebene »Deutsche Literaturzeitung« ins Leben, die ein kritisches Organ ersten Ranges wurde, und ihr folgte 1885 das »Archiv für Literatur und Kirchengeschichte des Mittelalters«. Daneben entfaltete sich der wissenschaftliche Bücherverlag in immer umfangreicherer Weise. Es sei nur an die großen kritischen Ausgaben der römischen Rechtsbücher und an die Corpus Juris-Ausgabe von Krüger, Mommsen und Schöll, an Müllenhoffs »deutsche Altertumskunde« und an die große Herder-Ausgabe von Suphan erinnert; ferner an die im Auftrage des preußischen Kultusministeriums veröffentlichten »Verhandlungen der Direktoren-Versammlungen in den Provinzen des Königreichs Preußen«, die bis jetzt in 65 Bänden erschienen sind, und an die »Monumenta Germaniae historica«, von denen seit 1876 mehrere Abteilungen im Weidmannschen Verlage erscheinen.
Die Mittel für diese umfangreiche Betätigung im wissenschaftlichen Verlage bot Hans Reimer hauptsächlich der unter seiner Leitung entstandene und aufs glücklichste entwickelte Schulbücher-Verlag. Als einzige Grundlage hierfür fand er die in den Jahren 1838-1864 in sechs Auflagen erschienene »Lateinische Grammatik von Ellendt-Seyffert« vor. Es gelang ihm, dies Buch nach und nach zu der verbreitetsten lateinischen Grammatik zu machen, die noch jetzt alljährlich in neuen Auflagen erscheint. Mit großem Glück gewann Reimer nach und nach gute Lehrbücher aus allen Gebieten des Schulunterrichts, von denen hier als die erfolgreichsten die letzten seiner Unternehmungen genannt werden mögen: die griechischen Lehrbücher von Ad. Kägi und die naturwissenschaftlichen Leitfäden von Wossidlo, die durch die unübertroffene Schönheit der von Reimer unter Aufwendung bedeutender Mittel hierfür beschafften Abbildungen noch lange vorbildlich für ähnliche Werke sein werden. Hierher gehört auch die seit dem Jahre 1876 erscheinende »Sammlung französischer und englischer Schriftsteller mit deutschen Anmerkungen«, die[1038] den Schulen zum ersten Male neusprachliche Lektüre in nach wissenschaftlichen Grundsätzen bearbeiteten Ausgaben bot. Erschienen sind hiervon über 200 Bändchen. Neben all diesen großen Unternehmungen wurden einzelne bedeutende Werke auf anderen Gebieten des Wissens veröffentlicht, so aus der Rechtswissenschaft, der Hans Reimer ein lebhaftes Interesse zuwandte. Als besondere Zierden des Verlages mögen hier die »Geschichte der deutschen Literatur von Scherer« sowie die Werke von U. von Wilamowitz-Möllendorff und Erich Schmidt genannt werden.
Neben dieser geschäftlichen Tätigkeit wandte Reimer auch den öffentlichen Angelegenheiten sein Interesse zu, und besonders um den Berliner Buchhandel hat er sich, zuletzt als Vorsteher des Hauptausschusses der »Korporation der Berliner Buchhändler«, verdient gemacht.
Am 21. September 1887 starb Karl Reimer, das Geschäft seiner Witwe überlassend. In seinem Testament hatte er für den Fall seines Todes den ihm nahe befreundeten Dr. Parey, Besitzer der großen landwirtschaftlichen Verlagshandlung Paul Parey gebeten, die Leitung des Geschäfts zu übernehmen, bis einer seiner Söhne an die Stelle des Vaters werde treten können. In opferfreudiger Hingabe hat Dr. Parey die durch die damals obwaltenden Verhältnisse besonders verantwortungsvolle und schwierige Aufgabe in Erfüllung einer Freundespflicht übernommen. Ihm an die Seite trat am 1. Januar 1888 als Prokurist und vom 1. Januar 1891 an als Mitinhaber der Firma Dr. Ernst Vollert, der im Dezember 1903 zum Ehrendoktor der Philosophie ernannt wurde »wegen seiner Verdienste um die Herausgabe pädagogischer Werke«.
Unter Vollerts Leitung hat die altehrwürdige Verlagshandlung einen neuen Aufschwung genommen.
Quellen: Verlagskatalog 1900.
Brockhaus-1809: Die Familie der Polignac's
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