Außenseite

[115] Außenseite. (Baukunst)

Eine der Hauptseiten eines Gebäudes, die man von außen übersieht. Ein vierekigtes ganz freystehendes Gebäude hat also vier Außenseiten. Die [115] vornehmste ist die, welche gegen den besten Plaz von außen gestellt ist, und an der der Haupteingang zum Gebäude ist. Eine gute Außenseite trägt das meiste zu dem Ansehen eines Gebäudes bey. Die Maße desselben ist auch in den größten und prächtigsten Gebäuden etwas so einfaches, daß das Auge bald davon abgelenkt, und auf die besondre Betrachtung der Außenseite gerichtet wird.

Dem Gebäude von außen ein gutes Ansehen zu geben, ist ein wichtiger Theil der Kunst. Die Aussenseiten müssen gleich den Charakter des Gebäudes an sich tragen, und außer der allgemeinen Empfindung des Wolgefallens, welches aus der Regelmäßigkeit, Ordnung, Uebereinstimmung der Theile entsteht, die besondern Empfindungen der Größe oder Pracht, des Reichthums, der Anmuthigkeit erweken. Der Geschmak, der in den Außenseiten herrscht, muß den Stand dessen, der das Haus bewohnt, oder die Bestimmung des Gebäudes anzeigen. Ein Tempel muß sich an seinen Außenseiten anders zeigen, als ein Zeughaus; dieses anders als ein Vorrathshaus, oder als ein Pallast, oder als das Haus eines Privatmannes.

Die meisten Regeln der Baukunst gehen auf die Schönheit der Außenseiten, weil sie vorzüglich in die Augen fallen. Folgende Anmerkungen können als die ersten Grundsätze angesehen werden, die man bey der Anordnung und Verzierung der Außenseiten zum beständigen Leitfaden brauchen muß.

Von einer ihr angemessenen Entfernung, die dem Auge noch verstattet, auch die kleinern Theile zu unterscheiden, muß sie auf einmal, als ein festes, regelmäßiges und wolgeordnetes Ganzes, in die Augen fallen. Diesem Grundsaz zufolge, muß sie einen der Höhe angemeßenen Fuß, und ein solches Gebälke haben. (S. Ganz.) Ferner muß alles seine angemessene Größe und Stärke haben; das Gebäude muß weder zu viel noch zu wenig mit Fenstern durchgebrochen seyn, weil im ersten Fall das Ansehen der Festigkeit geschwächt wird; im andern aber das Ganze zu plump scheinet. Diesem zufolge müssen auch die Säulen, wenn man sie anbringt, weder zu enge, noch zu weit auseinander stehen. (S. Säulenweite.)

Alle herunter laufende Linien, müssen genau senkrecht, und alle queer überlaufende genau waagerecht gehen. Jede dieser Linien muß ihren bestimmten Anfang und ihr bestimmtes Ende haben, so daß keine sich mitten an der Außenseite verliehret. Alle Achsen der Säulen und Pfeiler, die über einander stehen, müssen eine einzige Linie ausmachen, so wie die Mittellinien aller waagerecht laufenden Glieder von einer Höhe.

Ist die Außenseite von einer beträchtlichen Größe, so muß sie in mehrere Haupttheile oder Parthien eingetheilt seyn. Von diesen muß eine gerade in der Mitte, als die Hauptparthie seyn, welche durch ihre vorzügliche Schönheit das Auge gleich an sich zieht. Auf diese Weise entsteht recht in der Mitte der Außenseite eine Mittellinie, von welcher das Auge die übrigen Theile durchschauet, und die Uebereinstimmung, Symmetrie und Eurythmie abmißt. Diese Haupttheile müssen ein gutes Verhältniß gegen einander haben, welches schweerlich das Verhältniß von 1 zu 2 überschreiten kann. Sind die Theile neben der Mitte zu groß, so muß man sie wieder in kleinere abtheilen.

Die Außenseiten leiden keine kleinen Zierrathen, zumal, wenn sie nicht als Theile andrer Theile, als der Säulen oder Pfeiler, betrachtet werden. Denn zu geschweigen, daß sie in der Entfernung, aus welcher das Gebäude muß angesehen werden, verschwinden, so thun sie noch die schädliche Würkung, daß sie das Aug zerstreuen, vom Ganzen abführen, und auf einzele Theile richten, mit denen man das Ganze nicht mehr vergleichen kann. Es ist überhaupt ein höchstwichtiger Grundsatz, daß kein kleiner Theil, keine einzele Säule, kein Fenster, kein angehängtes Schnitzwerk, so hervor stehe, daß man verführt werden könnte, die Betrachtung des Ganzen fahren zu lassen, um seine Aufmerksamkeit auf das einzele zu richten. Wenn an einer Außenseite die Haupttheile sich die Waage so halten, daß keiner davon das Auge auf sich zieht, bis es den Eindruk des Ganzen genossen hat; wenn denn auch die kleinen Theile das Auge an sich loken, bis die Haupttheile gefaßt sind, so ist sie in ihrer Art vollkommen.

Daß die Außenseite die Art und den Geschmak, auch die besondre Bestimmung des ganzen Gebäudes anzeigen müsse, ist schon erinnert worden. Die Ueberlegung dieses Punkts ist den Baumeistern um so mehr zu empfehlen, als die Fehler, die man gegen diesen Grundsatz des guten Geschmaks begeht, gar nicht selten sind. Ueberhaupt aber ist zu wünschen, daß[116] man von den heutigen allzu sehr mit Zierrathen überhäuften Außenseiten wieder auf die Einfalt der Griechen zurük kehre, die mehr auf das Große, auf das blos regelmäßige und ordentliche, als auf den aus der Menge der Theile entstehenden Reichthum gesehen haben. Man muß immer bedenken, daß die Außenseiten mehr dienen, von weitem einen guten Begriff vom Ganzen zu erweken, als den Zuschauer davor stille stehen zu machen, um jede Säule oder jedes Fenster, oder wol gar noch kleinere Theile, Stunden lang anzusehen.

So wie die innere Anordnung uns mißfallen würde, wenn sie winklicht, und wenn zwischen den großen Zimmern viel kleinere unregelmäßige Verschläge wären, so muß auch einem von gutem Geschmake geleiteten Auge die Anordnung einer Aussenseite mißfallen, auf deren Fläche viel kleines und winklichtes zu sehen ist. S. Anordnung.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 115-117.
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