Aufschrift

[90] Aufschrift. (Beredsamkeit)

Eine kurze Rede, wodurch eine merkwürdige Sache auf einem Denkmal ausgedrukt wird. (S. Denkmal.) Man kann die Aufschrift, ob sie gleich nicht nothwendig in Versen gemacht wird, als eine besondre Art des Sinngedichtes ansehen, und sie ein Sinngedicht zu einem Denkmal nennen. Die Aufschrift soll, ihrer Absicht gemäß, etwas ganz merkwürdiges, auf die kürzeste und nachdrüklichste Weise sagen. Sie gehört deswegen unter die Werke, deren Wichtigkeit man nicht nach ihrer Größe schätzen soll; dann es ist ofte schweerer eine vollkommene Aufschrift, als eine große Rede zu machen. Eine weitläuftige Sache durch wenige Meisterzüge bezeichnen, durch wenig Worte viel sagen, ist in redenden Künsten gerade das schweereste. Da man weder Beschreibungen, noch ausgeführte Bilder brauchen kann, die Einbildungskraft stark zu rühren, so müssen die wenigen Ausdrüke, von der größten Fruchtbarkeit, Stärke und Einfalt seyn. Es kann nur einem recht guten Genie gelingen, eine vollkommene Aufschrift zu machen, und noch gehört ein glüklicher Augenblik dazu. Wie viel man auch in der kürzesten Aufschrift sagen könne, siehet man aus der, welche Poußin auf das Grabmal einer Schäferin in einem berühmten Gemählde gesezt hat: Auch ich war in Arcadien. Man lese nach, was der Abt dü Bos1 hierüber angemerkt hat.

Die Alten waren oft sehr glüklich in Aufschriften, und denen, welche in dieser Art zu arbeiten haben, ist zu rathen, daß sie die Aufschriften, welche Pausanias in seiner Beschreibung Griechenlands aufbehalten hat, die welche man in den griechischen Antologien findet, auch die besten von denen, die man aus alten Denkmälern gesammlet hat, fleißig studiren.

Außer der sinnreichen Erfindung wird auch ein vollkommener Ausdruk zu der Aufschrift erfodert. Er muß Einfalt, Stärke, Kürze verbinden, und von sehr gutem Wolklang seyn, damit er desto gewisser im Gedächtniß bleibe. Wo es angeht, sollte die Aufschrift in Versen seyn, in halben Versen, in ganzen einzeln, in zweyen oder vieren, die man Hemistichia, Distichia, Tetrasticha, nennt. (S. Vers.) Weil man aber in einer so sehr kurzen Rede wenig Freyheit hat, so geht dieses nicht allemal an. Anstatt der Verse muß man die Rede in kurze, wol ins Gehör fallende, Sätze eintheilen. Es ist daher eine besondre Schreibart für die Aufschriften entstanden, welche man den Stylum lapidarem nennt. Als ein Muster einer guten Aufschrift, kann die angeführt werden, welche auf der bey Murten in der Schweiz stehenden Capelle, darin die Gebeine der dort in der bekannten Schlacht gebliebenen Burgunder zusammen gelegt sind, zu lesen ist.

DEO. OPT. MAX.

CAROLI INCYTI FORTISSIMI DUCIS BURGUNDIAE

EXERCITUSMURATUM

OBSIDENS AB HEL VETIIS CAESUS

HOC SUI MONUMENTUM RELIQUIT.

Wegen der edlen Einfalt verdienet auch die Aufschrift an dem Invalidenhaus bey Berlin angeführt zu werden: LAESO ET INVICTO MILITT. Hingegen ist auf einem der größten öffentlichen Gebäude dieser Stadt eine deutsche Aufschrift, die einem Handwerksmanne zur Schande gereichen würde.

Man hat bisweilen die Frage aufgeworfen, ob es nicht wolgethan wäre, wenn die Mahler ihre Werke, nach Art der Denkmäler, durch Aufschriften erläuterten. Es läßt sich leicht sehen, daß ein Gemählde dadurch sehr viel gewinnen kann.2 Aber es ist schweer sie so schiklich anzubringen, als Poußin in dem angeführten Fall es gethan hat. Doch sind sehr viel Wege dazu. Sie können auf Gebäude, auf Denkmäler, auf Gefäße, und andre Nebensachen des Gemähldes angebracht werden. Wem ein Kupferstich von Fueßli, der 1768. in London heraus gekommen ist, darauf Dion wie er in Sirakusa ein Gespenst sieht, vorgestellt wird, zu Gesichte kommt, der kann darauf vielerley gute Wege, Aufschriften anzubringen, auf einmal sehen. Die Sache ist wichtig, und verdienet eine genaue Ueberlegung.

1Reflexions sur la posie et la peinture T. I. Sect. VI.
2S. du Bos Reflex. etc. T. I. sect. 13.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 90.
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