Aufzug (Schauspiel)

[91] Aufzug. (Schauspiel)

Ein Haupttheil der dramatischen Handlung, nach welchem die Bühne von den Schauspielern leer wird. Es liegt eben nicht nothwendig in der Natur einer solchen Handlung, daß sie unterbrochen, und daß der Ort, wo sie vorgeht, von Personen leer werde. Man kann also weder die Aufzüge an sich selbst, noch ihre Anzahl, in einem Drama aus der Natur der Handlung bestimmen. Wahrscheinlich ist es, daß die Aufzüge zufälliger Weise entstanden sind. Wenn es wahr ist, daß die dramatischen Schauspiele ursprünglich nur aus Chören bestanden, und daß nachher eine Handlung zwischen die Chöre ist eingeführt worden, wie Aristoteles und fast alle Alten versichern; so hat man die Chöre, als das wesentliche, die Handlung, als das zufällige bey diesen Spielen angesehen, und deswegen alles, was zwischen den Chören gesprochen wird, Episodia genennt. Darin muß also der Ursprung, das Drama in verschiedene Aufzüge abzutheilen, gesucht werden. Wiewol nun dieser Umstand nur vom Trauerspiele, ausdrüklich berichtet wird, so ist er doch vermuthlich auch vom Lustspiel wahr, in welchem ursprünglich auch Chöre gewesen, die nachher abgeschafft worden sind, weil man bemerkt hat, daß die Zuschauer, denen die unterbrechung zu lange währte, währendem Chor davon gegangen. Nach Abschaffung der Chöre wurde eine bloße Zwischenzeit zwischen den Aufzügen gelassen, welche aber endlich auch abgeschafft worden, so daß[91] in den lateinischen Lustspielen, die Aufzüge ganz an einander hangen, und ofte sehr schweer von einander zu unterscheiden sind.

Diesem nach wäre es vergeblich, in der Natur der Sache einen Grund für die Regel des Horaz zu suchen:


Neve minor, neu sit quinto productior actu

Fabula, quae posci vult, et spectata reponi.1


Man kann bey mehrern Gelegenheiten merken, daß die Alten dasjenige, was die ersten Erfinder blos zufälliger Weise für gut gefunden, zu einer nothwendigen Regel gemacht haben. Alle dramatischen Stüke der Alten sind offenbar in fünf Aufzügen. Im Trauerspiel ist allemal eine Zwischenzeit von einem zum andern; nur im lateinischen Lustspiel fehlt sie bisweilen. Diese Zwischenzeit wurde durch den Gesang des Chors angefüllt; im Lustspiel wurde anfänglich darin getanzt, welches doch nicht allezeit geschehen ist. Darin aber unterscheidet sich der Gebrauch der Alten von dem heutigen, daß jene die Handlung in dem Zwischen-Raum nicht so weit fortrüken ließen, als die Neuern zu thun gewohnt sind. Denn gemeiniglich wird im alten Drama, bey jedem neuen Aufzug, die Handlung da fortgesetzt, wo sie am Ende des vorigen gelassen worden. Es giebt Trauerspiele, die offenbar nur aus einem Aufzug bestehen würden, wenn man die Chöre daraus weg ließe. Die Neuern lassen vieles in dieser Zeit hinter der Bühne geschehen.

Doch findet man auch Beyspiele bey den Alten, daß die Handlung zwischen zwey Aufzügen hinter der Bühne fortgeht. In den um Schutz flehenden des Euripides versammlet Theseus zwischen dem 2. und 3. Aufzug das atheniensische Volk, und dieses faßt den Schluß die Thebaner zu bekriegen, falls sie die Leichname der erschlagenen Argiver nicht wollten zum Begräbniß verabfolgen lassen.

Die Gewohnheit, das Drama in fünf oder in drey Aufzüge einzutheilen, beyseits gesetzet, so läßt sich noch verschiedenes über die Nothwendigkeit oder den Nutzen der Aufzüge anführen. Erstlich ist zu überlegen, ob es nicht für den Zuschauer etwas ermüdend seyn würde, eine so lange Vorstellung ununterbrochen anzusehen. Da es höchst wichtig ist, daß die Aufmerksamkeit des Zuschauers keinen Augenblik schlaff werde, so muß man auch äußerliche Mittel anwenden, sie in der Lebhaftigkeit zu unterhalten. Dieses scheinet eine kleine Unterbrechung zu thun. Dazu kömmt noch, daß jeder Zwischenraum, insonderheit, wenn der Aufzug in einer Verwiklung zu Ende geht, eine Aufhaltung macht, und also die Aufmerksamkeit reizet.

Hiernächst ist es dem Zwek des Schauspiels gemäß, daß der Zuschauer bisweilen Zeit habe, so wol das vorhergehende in eine Hauptvorstellung zusammen zu fassen, als über einzele Theile derselben nachzudenken, wozu ihm die Zwischenzeit Gelegenheit giebt. In der griechischen Tragedie war ihm der Chor zu beyden Absichten behülflich, und es ist offenbar, daß die meisten griechischen Chöre aus diesem Gesichtspunkt verfertiget worden. Sie sind Ruhepunkte, wo die gemachten Eindrüke sich etwas setzen und befestigen können. Es ist deswegen sehr übel gethan, wenn die Zwischenzeit mit solchen Vorstellungen des Tanzes oder der Musik besetzt wird, die diese hindern. S. Zwischenzeit.

Ein solcher Abschnitt kann auch in gewissen Fällen für die Handlung nothwendig werden. Es trifft sich oft, daß der Dichter nur eine Person muß auftreten lassen, die nicht anders, als allein erscheinen kann. Diesem Umstand zu gefallen muß bisweilen eine Unterbrechung veranstaltet werden, oder eine Person, die allein auf der Schaubühne geblieben ist, muß nothwendig, ehe die Handlung weiter kann fortgesetzt werden, weggehen, z. E. einige Erkundigung einzuziehen: alsdenn entsteht nothwendig ein Zwischenraum. Bisweilen beruhet der Fortgang der Handlung auf Sachen, die auf der Bühne gar nicht können vorgestellt werden: alsdenn ist die Abbrechung gänzlich nothwendig. Z. E. der Ausgang des Trauerspiels, die sieben Helden von Theben, beruhet auf dem Streit der beyden Brüder. Nachdem alles dazu fertig ist, muß die Handlung nothwendig still stehen, bis dieser Streit vorbey ist. Wenn der Dichter diesen Raum, wie in einigen neuen Schauspielen geschieht, blos mit Reden über allgemeine Moralen, oder locos communes anfüllen wollte, so würde er langweilig werden.2

Aus diesen Betrachtungen muß der Dichter seine Eintheilung der Aufzüge herleiten. Die Handlung muß allemal so abgebrochen werden, daß die Aufhaltung einen der erwähnten Umstände zum Grunde habe. Von der willkührlichen Regel und Gewohnheit einiger Neuern, daß alle Aufzüge ohngefähr gleich lang seyn sollen, weiß die Natur nichts, und die Alten haben nicht daran gedacht. [92] Sie haben sehr kurze und sehr lange Aufzüge in einem Gedichte.

Wiewol die Anzahl der fünf Aufzüge bey den Alten beständig angetroffen wird, so ist doch eine geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegründete Regel.

1De Art. 189. 190.
2S. Practique du théatre par l'abbé d' Aubignac L. III. ch. 6.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 91-93.
Lizenz:
Faksimiles:
91 | 92 | 93
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon