[367] Falten. (Zeichnende Künste)
So zufällig die Kleider selbst und Falten derselben, besonders für den Menschen sind, so wesentlich sind die Falten der Gewänder in den Gemählden, zur Annehmlichkeit, Schönheit und zur Harmonie des Ganzen. Die Kunst, die Gewänder, womit Personen, oder Zimmer und Geräthe bekleidet werden, in gute Falten zu legen, ist würklich ein richtiger, zugleich aber schweerer Theil der zeichnenden Künste, fürnehmlich aber der Mahlerey. Diese Kunst hat ungemein viel schlaue Veranstaltungen nöthig, um das Auge zu täuschen, und ihm zu schmeicheln, so daß so wol in der Zeichnung der Formen, als in der Farbengebung, und besonders in dem Theil, der das Helle und Dunkle, und die Wiederscheine betrift, fast nichts für unwichtig zu halten ist. Jederman fühlet, daß in einem Gewand die Falten so widersinnig, so seltsam und verworren seyn können, daß das Auge dadurch verwirrt und von wichtigen Gegenständen abgezogen wird. Dazu kann denn noch eine eben so seltsame Verwirrung des Hellen und Dunkeln und der Farben kommen, indem das hervorstehende in den Falten hell, das eingebogene dunkel wird; jeder Theil des Gewandes aber, nachdem er mehr oder weniger aus- oder eingebogen ist, eine andre Farbe bekommet.
Hieraus läßt sich begreifen, wie durch ungeschikte Falten alle Ruh und Befriedigung des Auges kann zernichtet, wie dadurch die Haltung und Harmonie des Gemähldes kann zerstöhrt werden, und wie dieser üblen Folgen halber, ein so unbeträchtlich scheinender Theil der Kunst ganz wichtig wird. Wir wollen das Wesentlichste, worauf der Zeichner und Mahler zu sehen haben, anführen, um die jungen Künstler, die dieses etwa lesen möchten, zu genauem Nachdenken über diesen Theil der Kunst zu vermögen.
In Ansehung der Form, sind drey Dinge sorgfältig zu vermeiden. 1) Falten die verworren durch einander laufen, und durch ihre Höhen und Tiefen unangenehme Figuren, mit ganz spitzigen Winkeln verursachen. Das Aug liebet überall die Rundungen, über deren Umrisse es sanft hinglitschen kann; hingegen ist ihm das ekigte und besonders das spitzige, wo es den Sachen nicht schlechterdings wesentlich ist, höchst unangenehm. Die Falten müssen sanfte und allmählige Erhöhungen und Vertiefungen machen, wie die Hügel und Thäler in einer Landschaft, nicht Eken und Hölen, wie ein Haufen großer über einander geworffener Klumpen von Felsen. 2) Vermeide der Zeichner unnatürliche Falten; er hüte sich Vertiefungen zu zeichnen, wo das Gewand nothwendig hervorstehen muß, und umgekehrt. Die Lehrer der Mahler geben überhaupt dieses Punkts halber die Regel, daß die Falten genau mit der Stellung des Körpers übereinkommen, so daß man der Bekleidung ungeachtet, die Lage und Beugungen der bedekten Gliedmaaßen, mehr merken, als deutlich sehen könne. Denn so genau anklebend an den Gliedern müssen die Gewänder auch nicht seyn, wie die naße Leinwand. 3) Auch ist [367] das häufige allzukleine in den Falten zu vermeiden; sie müssen wie die Gruppen der Figuren und des Lichts, wenig und große Massen ausmachen, so daß jede kleine nicht für sich allein steht, sondern als ein kleiner Theil einer Hauptgruppe untergeordnet ist.
In Rüksicht auf die Haltung und Harmonie der Farben scheinet dieses die wichtigste Regel zu seyn, die schon da Vinci gegeben hat;1 Falten, in deren Tiefe sehr dunkle Schatten seyn müßten, sollen nicht an den Stellen des Gewandes kommen, auf welche das stärkste Licht fällt; und im Gegentheil, sollen an den dunkeln Stellen keine Falten so herausstehen, daß ein starkes Licht auf sie fallen müßte. Hernach aber muß auch besonders in Absicht auf die Theile, auf denen die Hauptmasse des Lichts fällt, alles das beobachtet werden, was vorher über die Form der Falten angemerkt worden, weil es sonst nicht möglich ist, der Hauptmasse des Lichts die wahre Haltung zu geben. Mahler die sich einbilden, es sey schon genug, daß sie die Falten nicht aus dem Kopf, sondern nach der Natur, wie sie etwa an einem bekleideten Gliedermann liegen, nachmachen, betrügen sich. Denn schon in der Natur können sie schlecht und dem Gemählde verderblich seyn. Ein feiner Kenner sagt, er habe in der französischen Academie in Rom den Direktor und zwölf Academisten beysammen gesehen, welche ihr lebendiges Model zu bekleiden und die Falten in gehörige Ordnung zu legen, einen ganzen Nachmittag zugebracht haben, ehe ihrem Geschmak Genüge geschehen.2
Dieser Theil der Kunst erfodert einen großen Geschmak, so gut als irgend ein anderer. Darum übertrift Raphael auch hierin alle Mahler, so wie er sie in Zeichnung und Ausdruk übertrift. Diesen großen Mann müssen angehende Künstler zum Muster nehmen. Uebrigens verdienet vorzüglich über diese Sache da Vinci, und der eben angezogene Kenner, nachgelesen zu werden.3