Fleischfarb

[391] Fleischfarb. (Mahlerey)

Die Farbe des Nakenden am menschlichen Körper. Die natürliche Nachahmung dieser Farb in den Gemählden ist einer der wichtigsten Theile der Farbengebung, nicht nur, weil der Mensch der vornehmste und schönste Gegenstand der Mahlerey ist, sondern auch wegen der großen Schwierigkeit, die man dabey antrift. Die Farben aller andern Körper gehören ganz zu ihrem äussern und zufälligen; es scheinet aber, daß die Natur, wie die Form des Körpers, also auch seine Farbe mit dem Geist gleichsam verwebt habe. Schon die Farb allein drükt das Leben aus; folglich auch die verschiedenen Stufen und Kräfte des Lebens, mithin auch einen Theil des Charakters der Menschen. Der Bildhauer kann nie die ganze Seele sichtbar machen. Dieses beweißt die höchste Wichtigkeit dieses Theils der Kunst; die ungemeine Schwierigkeit aber lernt man begreifen, wenn man versucht, so wol die Hauptfarben, als die unnennbaren Mittelfarben, mit welchen die Natur den menschlichen Körper bemahlt, anzugeben und zu nennen. Was für ein feines Gesicht muß der Mensch haben, der nur etwas davon erkennen will. Was für scharfsinnige Beobachtungen mußte nicht Titian gemacht haben, ehe er auf die Grundsätze gekommen, die Mengs in seinen Fleischfarben entdekt hat. »Ein Fleisch, das viel Mittelteints hatte, machte er überhaupt im Mittelteint, dasjenige, so deren wenig hatte, machte er fast ohne Mittelteinten. So das Röthliche fast ohne andre Teints (dieses versteht sich allezeit nebst der Nachahmung der Wahrheit) und gleicher Weise in jeder übrigen Farbe.«1

Es ist also kein Theil der Farbengebung wichtiger und keiner schweerer, als dieser; denn wenn man alle andern vollkommen besäße, so müßte man diesen noch ganz besonders studiren, und zu dem End ein unabläßiges und scharfes Studium der Natur, mit tausend nachahmenden Versuchen verbinden. Man hat in jedem andern Theil der Kunst eine grössere Anzahl vollkommener Meister gehabt, als in dieser, wo man ausser Titian und van Dyk wenige zu nennen hätte.

Die Farben des Fleisches sind nicht nur von allen Farben die, die man am wenigsten bestimmen kann, sondern auch die, deren frisches und liebliches Wesen am zartesten ist. Folglich muß ihre Behandlung höchst leicht und frey seyn. Wer durch vieles Mischen, durch viel Verreiben, durch mancherley Wendung des Pinsels, sie zu erhalten sucht, findet sie gewiß nicht. Wer am Nakenden mahlt, und noch ungewiß ist, wie er es erreichen soll, wird es nicht erreichen. Durch eine genaue Beobachtung der Natur und ein scharfes Nachdenken, muß man sich Regeln machen, ihnen mit Sicherheit folgen, und [391] so lang man nicht den erwünschten Erfolg davon sieht, sie durch neue Beobachtungen zu verbessern suchen. Dieses ist vermuthlich der einzige Weg in diesem Theile der Kunst zur Vollkommenheit zu gelangen.

Laireße hat über die Fleischung, wie über verschiedene andre Zweige der Kunst, Regeln gegeben, die dem, dessen Genie sonst für diesen Theil der Kunst die gehörige Wendung hat, das Studium etwas erleichtern könnten. Aber alle Regeln, die man nicht selbst entdeket, oder deren Gründlichkeit man nicht durch eigenes Nachdenken einsieht, können hier nichts helfen.

1Mengs Gedanken über die Schönheit und den Geschmak in der Mahlerey, S. 59.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 391-392.
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