Florentinische Schule

[392] Florentinische Schule.

Die Stadt Florenz ist schon seit vielen Jahrhunderten ein vorzüglicher Sitz der zeichnenden Künste; sie hat in allen Zweigen der Kunst eine so beträchtliche Anzahl großer Männer besessen, Bildhauer, Stein- und Stempelschneider und Mahler, daß keine andre Stadt ihr in diesem Stük den Vorzug streitig machen kann.

Man muß die ganz alte florentinische Schule von der neuen unterscheiden. Schon im dreyzehnten Jahrhundert haben die Künste in dieser Stadt geblüht. Der Rath ließ verschiedene Künstler aus Griechenland kommen, welche sich in Florenz niedergelassen und daselbst Schüler gezogen haben, durch [392] welche der Geschmak an zeichnenden Künsten sich in Italien festgesetzt hat.

Die alte florentinische Schule fängt sich bey diesen Griechen, und dem Cimabue ihrem Schüler an, und endiget sich bey Leonhard da Vinci. Die Werke der Künstler, die vor Leonhardo gelebt haben, sind nur in Vergleichung derer, die in den noch ältern Zeiten der Barbarey gemacht worden sind, schätzbar; aber er, der letzte und größte Mahler und Zeichner dieser Schule, näherte sich der Vollkommenheit, und kann zugleich als der erste Künstler der neuen Schule angesehen werden. Man kann bey Sandrat und bey Florent le Comte die Nachrichten von der ältern florentinischen Schule antreffen.

Die neue Schule fängt sich bey da Vinci und Michael Angelo an, und besteht aus einer zahlreichen Folge berühmter und zum Theil großer Künstler, besonders Bildhauer. Die Verfasser der unlängst herausgekommenen mahlerischen Reise durch Italien, fällen von dieser Schule überhaupt folgendes gründliches Urtheil: »Die ältere florentinische Schule hat eine Menge Mahler gehabt, die nicht zu verachten sind, wiewol wenige davon einen großen Grad des Ruhms erhalten haben. Die Kirchen von Florenz sind voll ihrer Arbeiten, die alle von einer Hand gemacht scheinen. – Die Farbe ist grau und schwach; die Zeichnung hat etwas Großes, ist aber mit einer Manier verbunden, in dem Geschmak des M. Angelo. – Die Figuren haben in ihren Wendungen etwas so gedrehtes, daß man sie für unmöglich halten möchte. Große übertriebene Umriße, welche von verrenkten und verdrehten Gliedern herzukommen scheinen; ein übertriebener Reitz, darin in der That etwas Grosses, aber aus einer erdichteten Natur ist. Gute Coloristen findet man da nicht, die Schule hat ihren meisten Ruhm von den Bildhauern bekommen. Man hat sich darin fast einzig um die Zeichnung bekümmert, und um eine gewisse Größe der Formen, die aber leicht in eine Manier ausartet.« Von den florentinischen Künstlern kann man also einen der wichtigsten Theile der Kunst lernen; das Große in den Formen und in der Zusammensetzung, wodurch die Werke der Kunst den wichtigsten Theil der Kraft bekommen. Junge Künstler, die Gelegenheit haben, diese Schule zu studiren, thun wol, sich dabey so lang aufzuhalten, bis ihr Auge sich so an das Große und Starke gewöhnt hat, daß es dasselbe überall, als einen wesentlichen Theil sucht. Erst alsdenn, wenn dieses Gefühl unauslöschlich bey ihnen festgesetzt ist, können sie auf die höchste Richtigkeit im Zeichnen arbeiten. Denn ohne Größe kann kein Werk der Kunst in die erste Classe gesetzt werden.

Lepicie giebt in der Beschreibung der Gemählde des Königs von Frankreich kurze Lebensbeschreibungen der vornehmsten Mahler dieser Schule. Diese sind: da Vinci, Bruder Bartolom. von St. Marcus, Michel Angelo, Baccio Bandinelli, Andr. del Sarte, Jacob Pantorma, Balth. Pruzzi, Franz Salviati und Math. Roselli.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 392-393.
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