Giebel

[479] Giebel. (Baukunst)

Bedeutet ursprünglich das obere End einer Mauer, welches in ein Dreyek zugespitzt ist. Man stelle sich ein freystehendes Haus mit einem Satteldach vor1, das gegen die vodere und hintere Seite des Hauses herunterläuft; so macht dieses Dach über den Aussenseiten rechter und linker Hand des Hauses, ein gleichschenklichtes Dreyek aus, welches zugemauert wird, damit der Boden unter dem Dach auf den Seiten nicht offen bleibe. Diese dreyekigte Mauer ist das, was man eigentlich den Giebel nennt. Daher nennt man die Häuser Giebelhäuser, deren Dächer nicht gegen die Hauptseiten, sondern gegen die Nebenseiten ablaufen, weil alsdann die Hauptseiten bis an die Spitze des Daches zugemauert sind, und an der Faßade Giebel haben.

An Gebäuden, die ordentlich verziert werden, bekömmt der Giebel seine Einfaßung auf allen drey Seiten; das Hauptgesims macht die Grundlinie [479] des Dreyeks aus, und der Kranz die beyden andern Seiten, wie aus beystehender Zeichnung zu sehen ist.

Giebel

Die glatte Mauer des Giebels, wird das Giebelfeld genennt. Die Alten pflegten an den Tempeln die Giebelfelder mit Schnizwerk auszuzieren, welches insgemein Vorstellungen enthielt, die sich auf die Gottheit bezogen, der der Tempel gewiedmet war. Auf diese Weise haben sie den Giebel, der aus Nothwendigkeit entstanden, zugleich zur Pracht und Schönheit angewandt.

Man hat nachher, wie noch itzt geschieht, auch die Thüren und Fenster mit Giebeln verziert. Dieses aber geschah vermuthlich erst damals, als der reine Geschmak der Baukunst schon durch willkührliche Zierrathen verdunkelt worden. Der Pater Laugier will die Giebel schlechterdings nur auf die Dächer eingeschränkt wissen, und Vitruvius scheinet auch schon dieselbe Meinung zu äussern2. Man kann aber dagegen sagen, daß sie an Thüren und Fenstern, die mit weithervorstehenden Gesimsen, oder gar mit völligen Gebälken verziert werden, gar nicht unnatürlich stehen; weil in der That diese Gesimse zugleich zur Bedekung solcher Oeffnungen dienen, und folglich kleine Dächer sind.

Doch muß man gestehen, daß eine Faßade, wo die Fenster etwas enge an einander stehen, durch die Giebel derselben ein etwas verworrenes und unangenehmes Wesen bekommen, weil man überall spitzige Winkel sieht. Wo aber die Fenster weit aus einander stehen, da scheinen die Giebel über den Fenstern dem edlen Ansehen der Faßade keinen Schaden zu thun. Das Opernhaus in Berlin behält, dieser Giebelfenster ungeachtet, eine edle Einfalt. Nirgend stehen die Fenstergiebel schlechter, als da, wo die Geschoße durch Bänder oder Gesimse abgetheilt sind, da denn die Spitzen der Giebel nahe an diese Gesimse anstoßen. Dadurch geschieht es, daß man an einer ganzen Aussenseite nichts als Winkel zu sehen bekömmt.

Man macht auch Giebel, da der Kranz in einem Zirkelbogen über das Hauptgesims wegläuft; und man kann sie um so viel weniger verwerfen, da die Dächer selbst eine solche Rundung annehmen können.

In Ansehung des Verhältnisses der Höhe zu der Breite weichen die Baumeister von einander sehr ab. Vitruvius setzet die Höhe des Giebelfeldes a b auf den neunten Theil der ganzen Breite des Giebels. Rechnet man die Höhe des Kranzes b c noch dazu, so wird insgemein die ganze Höhe des Giebels a c, den fünften Theil seiner Breite genommen.

Der Kranz des Giebels hat eben die Glieder und die Verhältnisse, die man dem Kranz des Gebälkes giebt; nur die Sparrenköpfe müssen natürlicher Weise da wegbleiben, weil die Sparren selbst da nicht statt haben. Die Zahnschnitte können in dem Giebelkranz angebracht werden. Einigermaaßen sind sie da am natürlichsten, weil sie die hervorstehenden Lattenköpfe vorstellen können. Alsdann aber muß man sie nicht, wie einige Baumeister thun, Lothrecht, sondern nach dem rechten Winkel von der Richtung des Kranzes abschneiden.

Die neuern Baumeister begehen bisweilen in Ansehung der Giebel sehr ungereimte Fehler, indem sie entweder das Hauptgesims unterbrechen, oder gar den Kranz oben offen lassen. Diese Baumeister vergessen ganz den Ursprung und die Absicht der Giebel, und geben dadurch Kennern zu verstehen, daß sie nicht die geringste Ueberlegung haben.

1S. Dach.
2L. VII. c. 5.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 479-480.
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