[628] Künstler.
Die Schilderung eines vollkommenen Künstlers ist ein so schweeres Werk, daß dieser Artikel einen bloßen Versuch enthält, die Umrisse zu diesem Gemählde zu entwerfen, dessen völlige Ausführung nur von einer Meisterhand zu erwarten ist.
Das Wichtigste, was zu Bildung eines vollkommenen Künstlers gehört, muß die Natur geben, sein eigener Fleiß aber muß die Gaben der Natur entwikeln, und dann müssen noch von außen zufällige Veranlassungen dazu kommen, um ihn vollends auszubilden.
Da die schönen Künste für das Gefühl arbeiten, und eine lebhafte Rührung der Gemüther durch Sinnlichkeit der Gegenstände zu ihrem Augenmerk haben; so scheinet eine vorzüglich starke Empfindsamkeit der Seele, die erste Anlage zu dem Genie des Künstlers zu seyn. Wer nicht selbst lebhaft fühlet, wird schweerlich in andern ein vorzügliches Gefühl erweken können. Ein Werk der schönen Kunst ist im Grunde nichts anders, als die äussere Darstellung eines Gegenstandes, der den Künstler sehr lebhaft gerühret hat. Nur das, was wir selbst mit voller Kraft in uns fühlen, sind wir im Stande durch die Rede, oder durch andre Wege auszudrüken, und andern fühlbar zu machen. Die Maxime, die Horaz dem Dichter empfiehlt, daß er selbst erst weinen soll, wenn er unsre Thränen will fließen [628] sehen, läßt sich auf jedes Werk der Kunst anwenden. Alles, was wir durch die Kunst empfinden sollen, muß vorher von dem Künstler empfunden werden.
Darum kann er als ein Mensch angesehen werden, der vorzüglich lebhaft empfindet, und gelernt hat, seine Empfindung, nach Maßgebung der Kunst, auf die er sich gelegt hat, an den Tag zu legen; Redner und Dichter durch die Rede, der Tonsetzer durch unartikulirte Töne. Die Menschen also, die stärker, als andre, von ästhetischen Gegenständen gerührt werden, besitzen die erste Anlage zur Kunst.
Wir würden zu weit von dem Weg, der hier zu betreten ist, abgeführt werden, wenn wir uns in eine genaue psychologische Betrachtung dieser lebhaften Empfindsamkeit einlassen wollten. Wir müssen uns auf das einschränken, was unmittelbar zum gegenwärtigen Vorhaben gehört.
Sie setzet scharfe und feine Sinnen voraus. Wer schwach höret, wird weniger von leidenschaftlichen Tönen gerühret, als der, der ein feines Ohr hat, und so ist es auch mit andern Sinnen. Darum liegt etwas von der Anlage zum Künstler, schon in dem Bau der Gliedmassen des Körpers. Dazu muß eine sehr lebhafte Einbildungskraft kommen. Durch diese bekommen die sinnlichen Eindrüke, wenn der Gegenstand, von dem sie abhängen auch nicht vorhanden ist, eine Lebhaftigkeit, als ob sie durch ein körperliches Gefühl wären erwekt worden. Der Mahler sieht seinen abwesenden Gegenstand, als ob er würklich mit allen Farben der Natur vor ihm läge, und wird dadurch in Stand gesetzt, ihn zu mahlen.1
Ferner wird diese Empfindsamkeit des Künstlers durch eine lebhafte Dichtungskraft unterstützt. Menschen deren Genie auf die deutliche Entwiklung der Vorstellungen geht, abstrakte Köpfe, die den Gegenständen der Erkenntnis alles Körperliche benehmen, um blos mit dem Auge des Verstandes, das Einfache darin zu fassen, sind zu strengen Wissenschaften aufgelegt: zu den schönen Künsten wird nothwendig ein Hang zur Sinnlichkeit erfodert. Dieser macht, daß wir uns das Abstrakte in körperlichen Formen vorstellen, daß wir sichtbare Gestalten bilden, in denen wir das Abstrakte sehen. Je mehr Fertigkeit ein Mensch in dieser Kraft zu dichten hat, je lebhafter würken die von Sinnlichkeit entfernten Vorstellungen auf ihn. Darum ist jeder Künstler ein Dichter; die vornehmste Kraft seines Genies wird angewendet, die Vorstellungen des Geistes in körperliche Formen zu bilden. Dieser Hang zeiget sich nirgend deutlicher, als bey den Künstlern, die vorzüglich den Namen der Dichter bekommen haben, die mehr, als andre, abstrakte Vorstellungen mit Sinnlichkeit bekleiden; weil sie mehr, als andre Künstler mit solchen Vorstellungen zu thun haben. Daher kommt die poetische Sprache, die voll Metaphern, voll Bilder, voll erdichteter Wesen ist, und die selbst dem bloßen Klang ein innerliches Leben einzuhauchen im Stand ist.
Es ist ebenfalls eine Würkung dieser Dichtungskraft, und dieses Hanges zur Sinnlichkeit, daß man das Unmaterielle und Geistliche, in der Materie entdeket, welches eine vorzügliche Gabe des Künstlers ist; daß man in bloßer Mischung todter Farben, Sanftmuth oder Strengigkeit fühlet. Daß man in blos körperlichen Formen, in der schlanken Gestalt eines Menschen, in der Bildung einer Blume, selbst in der Anordnung der leblosesten Dinge, der Hügel und Ebenen, der Berge und Thäler, etwas geistliches, oder sittliches oder leidenschaftliches entdeket, ist eine Würkung dieser Sinnlichkeit; wie wenn Hagedorn zu einer Schönen sagt:
Erkenne dich im Bilde,
Von dieser Flur.
Sey stets wie dies Gefilde
Erwünschter, als der Morgen,
Hold wie sein Strahl,
So frey von Stolz und Sorgen,
Wie dieses Thal.
In dieser Empfindsamkeit, die wir, für die Grundlage des Künstlergenies halten, liegt unmittelbar der Grund der jedem Künstler so nothwendigen Begeisterung. Diese bringet die schönsten Früchte hervor, und trägt, wie schon anderswo bemerkt worden ist2 das meiste zur Erfindung und lebhaften Darstellung der Sachen bey, indem die Seele des Künstlers, durch die Stärke der Empfindsamkeit in einen hohen Grad der Würksamkeit gesetzt wird.
Aber mit dieser Anlage zum Kunstgenie muß ein reiner Geschmak an dem Schönen verbunden seyn, der die Sinnlichkeit des Künstlers vor Ausschweifungen bewahre. Denn nichts ist ausschweifender und zügelloser, als eine sich selbst überlassene lebhafte Einbildungskraft. Der Künstler ist einigermaaßen [629] als ein Mensch anzusehen, der wachend träumet, und der mit Vernunft raset; wenn ihn diese verläßt geräth er in abentheuerliche Ausschweiffungen.
Wie ein Mensch der es in der schönen Tanzkunst zu einer gewissen Fertigkeit gebracht hat, auch da, wo er auf seine Bewegungen nicht acht hat und selbst in dem größten Feuer der Thätigkeit, da er sich selbst vergißt, noch immer angenehmere und besser gezeichnete Stellungen und Bewegungen annimmt, als ein anderer, so wird auch ein Künstler, dessen Geschmak am Schönen einmal festgesetzt ist, in dem größten Feuer der Begeisterung, sich nie so weit vergessen, daß er sich gänzlich vom Schönen entfernt. Dieser Geschmak muß die Phantasie überhaupt immer begleiten, damit die Vorstellungen des Künstlers allemal den Grad des Schönen erhalten, der sie angenehm, eindringend und auch der äusserlichen Form nach interessant macht3. Diese schätzbare Gabe ist nicht allemal mit der lebhaften Empfindsamkeit verbunden, sie muß als eine besondere, für sich selbst bestehende Eigenschaft angesehen werden.
Diese beyden Eigenschaften verbunden können schon einen feinen Künstler bilden; aber der große Künstler, dessen Werke von Wichtigkeit seyn sollen, muß noch andere Gaben besitzen. Der beste Blumen-Mahler, ist darum noch nicht ein großer Mahler, und der in der Dichtkunst die artigsten Kleinigkeiten an den Tag bringt, kann sich darum nicht auf die Banke setzen, wo Homer, Sophokles oder Horaz sitzen4. Liebe zu dem Vollkommenen und Guten und gründliche Kenntnis desselben muß zu jenen Gaben nothwendig hinzukommen5. Nur der starke Denker, der zugleich überall das Gute sucht, für den das Vollkommene und das Gute das höchste Intresse haben, bildet und bearbeitet in seinem Geiste Gegenstände, die den schönen Künsten ihren größten Werth geben. Horaz sagt, der sey der vollkommene Künstler, der das Nützliche in das Angenehme mische; aber es ist dem höchsten Zwek der Künste gemäßer, diesen Satz umzukehren, und den für den wahren Künstler zu halten, der das Angenehme in das Nützliche mischt. Soll aber das Nützliche die Grundlage der besten Werke der Kunst seyn, so muß der Künstler einen vorzüglichen Geschmak an dem Vollkommenen und Guten haben. Es ist nicht die Sinnlichkeit mit dem Geschmak am Schönen verbunden, wodurch Homer und Sophocles und Phidias und Raphael in der Reyhe der Künstler den ersten Rang behaupten; diesen erwarben sie sich dadurch, daß sie mit jenen Gaben, die Liebe zur Vollkommenheit verbunden haben. Wer an Geist und Gemüth ein großer Mann ist, wer eine starke Vernunft mit einem großen Herzen verbindet, und bey dieser Größe, noch jene sinnliche Empfindsamkeit und den Geschmak am Schönen hat, der ist auch der große Künstler.
Also müssen fast alle großen Gaben des Geistes und Herzens zusammenkommen um das große Kunstgenie zu bilden. Deswegen darf man sich nicht wundern, daß die Künstler vom ersten Range in so kleiner Anzahl sind und nur von Zeit zu Zeit erscheinen.
Und doch ist es mit diesen Talenten noch nicht ausgerichtet; sie machen den Künstler fähig den Stoff zu seinem Werk in seiner eigenen Vorstellungskraft zu bilden, wenn die Materialien dazu vorhanden sind. Diese bekommt er blos aus Erfahrung, Kenntnis der Welt und der menschlichen Angelegenheiten. Das gröste Kunstgenie wird kein beträchtliches Werk bilden, so lange es ihm an dieser Erfahrung und Kenntnis der Welt fehlet. Zur Beredsamkeit ist es nicht genug, das Genie des Demosthenes, oder des Cicero zu haben; man muß auch die Gelegenheit gehabt haben, dieses Genie an wichtigen Gegenständen zu versuchen.
Die Talente sind also einigermaaßen todte Kräffte, so lange der Kopf des Künstlers leer an Vorstellungen ist, die sein Genie bearbeiten kann. Also muß, auch die Erziehung, Lebensart und Erfahrung zu dem Genie hinzukommen. Daß die griechischen Künstler alle andern übertroffen haben, kommt nicht von ihrem grössern Genie her, sondern von diesem Zufälligen; weil sie mehr Gelegenheit, als andre gehabt haben, große Dinge zu sehen.6 Ein Jüngling, von dem besten poetischen Genie, der in der Unwissenheit über Menschen und menschliche Angelegenheiten aufgewachsen ist, findet in der ganzen Masse seiner Vorstellungen nichts, das ihn intereßirt, bis das Gefühl der Freundschaft oder der Liebe, in ihm rege wird; und er den Genuß des Lebens empfinden lernt. Sein großes Genie wird also auch nichts wichtigeres, als eine verliebte Elegie, Aeusserung der Freundschaft; ein Trinklied, oder etwas von dieser Art hervorbringen können. Wie mancher Mahler mag mit dem größten Genie zur Kunst, ein Blumen- oder Landschaftsmahler geblieben seyn, [630] weil es ihm an Kenntnis und Erfahrung gefehlt hat, grössere Gegenstände zu bearbeiten? Wenn also die Natur einem Menschen alles gegeben hat, was zum Genie eines großen Künstlers gehöret, so muß auch das Glük ihn durch Wege geführt haben, wo er die Natur und die Menschen von mehreren interessanten Seiten hat sehen können. Erst alsdann besitzt er alles was nöthig ist, ein wichtiges Werk der Kunst in seinem Kopfe zu entwerfen.
Die psychologische Kenntnis des Menschen, der fast unerforschlichen Wege und Tiefen der Einbildungskraft und des Herzens, muß das Studium der Kunst vollenden. Es ist unendlich leichter den Weg der Vernunft, der ganz gerad ist, als die krumme Bahn der Sinnlichkeit zu erforschen. Es giebt nur eine Art die Vernunft zu überzeugen; aber auf unzählige Arten, kann die Sinnlichkeit angegriffen werden. Die muß der vollkommene Künstler alle kennen; damit er immer diejenige wähle, die ihn zum Zwek führet.
Aristoteles hat für die Redner eine Theorie der Leidenschaften geschrieben, daraus sie lernen sollten, wie jeder beyzukommen sey. Dies ist noch der leichteste Theil der psychologischen Kenntnisse des großen Künstlers. Die Einbildungskraft thut bey dem Leidenschaften das meiste. Wer ihre wundervolle Würkungen kennte, müßte diese völlig in seiner Gewalt haben. Aber in keinem Theil ist die Psychologie unvollkommener, als in diesem. Hier ist den Philosophen ein weites und wenig anbebautes Feld, zu ruhmvollen Arbeiten offen. Leibnitz und Wolff haben den Eingang zu diesen Feldern eröfnet. Deutschlands Philosophen! euch kommt es zu, hineinzugehen, und es zu bearbeiten; dem Menschen überhaupt die wichtigste Eigenschaft seiner Seele und dem Künstler das fürnehmste Werkzeug, die Gemüther zu lenken, näher bekannt zu machen!
Sowol die Erfindung des Stoffs, als die Bearbeitung desselben erfodern eine gute Erfindungskraft; ein Genie zu Erreichung jeder Absicht die eigentlichsten Mittel zu erfinden. Der Künstler ist ein Mann der die Mittel das menschliche Gemüth zu lenken, in seiner Gewalt haben muß. Dazu ist es noch nicht hinlänglich, daß er den Menschen kennt; er muß das glükliche G nie besitzen, den zur Führung der Menschen nöthigen Darstellungen hinlängliche Kraft zu geben. Von den mannigfaltigen Gestalten, die die Gedanken der Menschen annehmen können, muß er für jeden Fall die kräftigste zu finden, und auszudrüken im Stande seyn. Was Virgil von einem großen Redner sagt: regit dictis animos et pectora mulcet,7 das muß jeder Künstler in seiner Art zu thun im Stande seyn. Dazu wird aber unstreitig ein Genie von der ersten Größe erfodert. Darum verkennen die, welche dem Künstler seinen Rang neben dem Handwerksmann anweisen, die Natur und den Zwek der Künste gänzlich. Nur wahrhaftig große Geister können große Künstler seyn.
Zu diesen Gaben, Fähigkeiten und Kenntnissen, muß nun noch das eigentliche Studium der Kunst, und die Fertigkeit der Ausübung hinzukommen. Die Erlernung der Kunst trägt vielleicht zu Stärkung des Genies wenig bey, aber die Ausübung macht doch alle Fähigkeiten zu Fertigkeiten; deswegen ist eine beständige und tägliche Uebung dem Künstler höchst nöthig. Darum ist die Maxime, die man dem Apelles zuschreibt, keinen Tag ohne einige Striche zu machen, vorbey gehen zu lassen, sehr gut. Man wird in der Geschichte der Künstler fast durchgehends finden, daß vorzüglich große Künstler auch die größte Arbeitsamkeit gehabt haben. Mit dieser Arbeitsamkeit und täglichen Uebung in dem Mechanischen der Kunst, muß auch ein anhaltendes Studium der besten Kunstwerke verbunden werden. Dieses hilft dem Genie am meisten zu seiner völligen Entwiklung, weil es eigentlich nichts anders, als eine beständige Uebung desselben ist.8
Dem Künstler ist zu rathen, daß er seinen Ruhm nicht auf seine Talente, sondern auf den edlen und großen Gebrauch derselben stütze. Er kann, wie wir anderswo9 deutlich gezeiget haben, seiner Nation die wichtigsten Dienste leisten, die von menschlichen Gaben zu erwarten sind. Er kann sich so viel Ehr erwerben, als der Feldherr, oder, als der Verwalter der Gerechtigkeit, oder als der die Menschen erleuchtende Philosoph. Weh ihm, wenn er sich selbst durch unbedeutende, oder gar niedrige Werke, dieser Ehre beraubet!
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»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
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