[637] Kupferstecherkunst.
Ob man gleich unter diesem Namen auch die Radierkunst und die sogenannte schwarze Kunst begreift, so wird er hier in der Einschränkung genommen, daß nur das eigentliche Kupferstechen mit dem Grabstichel darunter verstanden wird; weil von den beyden andern Zweygen der Kupferstecherkunst unter ihren besondern Namen gesprochen wird.
Es ist unnöthig das allgemeine Verfahren dieser Kunst hier weitläuftig zu beschreiben; denn es ist bekannt genug, daß der Kupferstecher auf eine unter ihrem Artikel bereits beschriebene Kupferplatte vermittelst der, mehr oder wenigen stumpflaufenden, aber sehr schneidenden Spitze eines gehärteten Sahls, dem man den Namen Grabstichel gegeben, die Striche eingräbt, die zur Zeichnung und Schattirung sichtbarer Gegenstände nöthig sind, und daß dieses in der Absicht geschehe, die auf die Platte gestochene Zeichnung, so ofte man will, auf Papier abzudruken. Ohne uns bey dem mechanischen der Kunst aufzuhalten, wollen wir ihre Kraft, ihren Nuzen, und die Hauptpunkte ihrer Geschichte betrachten.
Seitdem diese Kunst zu der Höhe gekommen ist, die ihrer gänzlichen Vollkommenheit nahe liegt, kann man sagen, daß sie eine Art Mahlerey sey, wodurch alle Gattungen sichtbarer Gegenstände in ihren eigentlichen Formen, und nach ihren Charakteren so genau, als in der Natur selbst, wenn man die Farben ausnihmt, dem Auge dargestellt werden. Das Helle und Dunkele der Farben, die Harmonie in Licht und Schatten, woraus die Haltung entsteht, so gar das Duftige, oder Härtere in dem Ton der Luft, und einigermaaßen die Wärme des Lebens, [637] kann sie so gut, als die Mahlerey selbst ausdruken. Was wir also zum Lobe dieser Kunst gesagt haben,1 kann größtentheils auch auf die Kunst des Kupferstechens angewendet werden. Die Vortheile, welche die Farben dem Mahler geben, werden bey dem Kupferstecher durch einen andern Vortheil, den er über den Mahler hat, wo nicht überwogen, doch gewiß ersetzet. Denn er kann sein Werk mit großer Leichtigkeit viel hundertmale vermehren, und ohne große Müh überall ausbreiten.
Aber ohne uns länger bey der Vergleichung der beyden verwandelten Künste zu verweilen, wollen wir anmerken, daß das Kupferstechen sowol von Seite der dazu nöthigen Talente, als von der Seite des Nutzens und der Annehmlichkeiten betrachtet, eine wichtige Kunst ist, durch deren Erfindung die neuere Welt einen großen Vorzug über die Alten hat.
Von einigen dem Kupferstecher nöthigen Talenten ist im vorhergehenden Artikel gesprochen worden. Hier wollen wir nur noch dieses anmerken, daß die Kupferstecherkunst in ihrer eigenen Art zu zeichnen, Licht und Schatten, Haltung, Harmonie und den natürlichen Charakter der Dinge herauszubringen, vielleicht mehr Genie und Kunst erfodert hat, als das Mahlen. Man kann nicht ohne Bewunderung sehen, daß durch schwarze Striche auf einem hellen Grund so mannigfaltige Gestallten der Dinge können dargestellt werden. Die glänzende Politur des Metalles, die Durchsichtigkeit und den Schimmer des Glases, das Glatte und dabey doch weiche Wesen des Nakenden am menschlichen Körper; die Mannigfaltigkeit der verschiedenen seidenen und wollenen Gewänder; Luft, Wolken, Gewässer, Erde; alle Gattungen der Thiere und Bäume, jedes in seinem wahren Charakter, und doch ohne Farbe! Wer dieses bedenket, und sich die Mühe geben will, aus den Werken älterer und neuerer Meister die Kunstgriffe herauszusuchen, wodurch so gar vielerley Würkungen erreicht werden, dem wird es nicht fremde vorkommen, daß die Kupferstecherkunst, ob sie gleich mit der neuen Mahlerey ohngefehr ein Alter hat, späther, als diese, zur Vollkommenheit gekommen ist. Man kann den Anfang der wahren Mahlerey unter den Neuern nicht weit über den Leonhardo da Vinci hinaussezen; und beynahe eben so alt ist das Kupferstechen. Aber schon lange hatte die Mahlerey einen Titian gehabt, ehe die Kupferstecherkunst ihre Höhe erreichte, auf die sie im vorigen Jahrhundert gekommen ist.
Wir müssen aber auch ihren Nuzen betrachten. Die Vortheile, welche die Wissenschaften, besonders die Naturgeschicht und die Mechanik aus dem Kupferstechen ziehen, müssen wir hier übergehen, ob sie gleich allein hinlänglich wären, es schäzbar zu machen. Wir wollen blos von den Werken des Geschmaks reden, die daher rühren. Alles was die zeichnenden Künste hervorbringen, kann die Kupferstecherkunst im Kleinen nachahmen, und ohne großen Aufwand jedem Liebhaber der schönen Künste zum Genuß überlassen. Die Werke der Baukunst, der Bildhauerey, des Steinschneiders und des Mahlers, die das größte Aufsehen in der Welt machen, können wir durch Hülfe der Kupferstecherkunst in unsere Cabinette sammlen. Freylich geht vielen dieser Werke dadurch, daß sie ins Kleine gezogen worden, etwas von ihrer Kraft ab. Wenn man aber dagegen bedenket, mit was für Gemächlichkeit, und mit wie wenig Kosten man die herrlichsten Werke der Kunst durch die Wohlthat des Kupferstechens haben könne, so erkennet man den vorzüglichen Werth dieser Kunst. Nur durch sie kommen die beträchtlichsten Werke der großen Mahler, deren Originale in den Pallästen der Großen verschlossen sind, in die Wohnungen der Bürger. Also erleichtert die Kupferstecherkunst ihren verwandten Künsten, die Nuzbarkeit, die von ihnen zu erwarten steht.
Hiernächst wird dem zeichnenden Künstler selbst das Studium der Kunst durch die Kupferstiche ungemein erleichtert. Der Baumeister hat nicht nöthig in der Welt herumzureisen, um die besten Werke der alten und neuen Baukunst zu sehen. Der Kupferstecher liefert sie ihm in sein Cabinet, wo er mit der größten Gemächlichkeit alles betrachten, ausmessen und übersehen kann. Eben diesen Vortheil kann auch der Mahler in Absicht auf den größten Theil seiner Kunst, aus den Kupferstichen ziehen.
Die Erfindung dieser schäzbaren Kunst ist nicht gar alt, und doch mit Dunkelheit umgeben. Die Italiäner, die, wie ehemals die Griechen, sich gern alle neuen Erfindungen in den schönen Künsten zueigneten, geben einen florentinischen Goldschmidt Maso Finiguerra für den Erfinder derselben aus, und sezen die Epoche der Erfindung um das Jahr 1460. Aber mit weit mehr Wahrscheinlichkeit eignen [638] sich die Deutschen diesen Ruhm zu, ob sie gleich den Erfinder nicht mit gänzlicher Gewißheit nennen können. Sie führen gegen das Vorgeben der Italiäner die römische Ausgabe der Erdbeschreibung, des Claudius Ptolomäus vom Jahr 1478 an. Dieses Werk ist von einem Deutschen, der sich Magistrum a Sweynheim nennte, veranstaltet worden, und ist mit Kupferplatten geziehret. In der Zueignungsschrift an dem Papst Sixtus V, sagt Magister Sweynheim, er habe die römischen Künstler gelehrt kupferne Platten zu druken.2 Sehr wahrscheinlich ist Sandrats Vermuthung, daß Israel von Mecheln, eben der, der bisweilen unter dem Namen Bocholt angeführt wird, weil er zu Bocholt im Münsterschen gewohnt, und diesen Namen auf einige seiner Blätter gestochen hat,3 der Erfinder dieser Kunst sey. Der Verfasser des eben angeführten Werks führt einen Kupferstich, worauf die Jahrzahl 1466 und der Buchstaben G und eine Chiffre gestochen sind, als das älteste ihm bekannte Blatt an. Sandrat aber gedenket eines in kupfergestochenen Blatts von 1455, worauf ein Monogram gestochen, das dem von Hans Schüffelein ähnlich ist. Diesemnach fiele die Erfindung des Kupferstechens gerad in die Mitte des XV Jahrhunderts, wenige Jahre nach der Epoche der Erfindung der Buchdrukerey.
Zwar ist das Stechen auf metallene Platten viel älter. Man findet, daß schon Kayser Carl der Große Landcharten gehabt, die in silberne Platten gestochen gewesen4. Aber an das Abdruken solcher Platten scheinet man damals noch nicht gedacht zu haben. Es wird also wahrscheinlich, daß die Erfindung der Buchdrukerey, besonders der dazu nöthigen Farbe, auch das Abdruken der Kupferplatten in Gang gebracht habe. Daher der vorher erwähnte Mag. von Sweynheim, an dem angeführten Orte auch nur vom Abdruken und nicht vom Stechen spricht. Erwähnter Knorr gedenket einer Sammlung von beynahe 4000 Stüken, die alle zwischen 1450 und 1461 gemacht worden. In dieser Sammlung befinden sich verschiedene von den Jahren 1461, 66, und 67. mit C. S. bezeichnet, die mit ziemlichem Fleiß sollen gestochen seyn. Eines davon hat die Aufschrift: dis ist die Engelweyh unser L. Frau bey den Einsideln; woraus abzunehmen ist, daß dieser C. S. ein Schweizer oder ein Schwabe gewesen sey. Vielleicht eben der Mag. von Sweynheim, von dem oben gesprochen worden, der mit einem gewissen Conrad Shveinheim, den der Prof. Schwarz in Altorf unter die Erfinder der Kupferstecherkunst sezet5, dieselbe Person seyn mag.
Der erste Kupferstecher, der sich einen gewissen Namen gemacht, und von dem man noch viel Blätter hat, ist Martin Schön, der in französischen Kunstbüchern lächerlicher Weise, gar ofte le beau Martin genennt wird. Er wohnte in Colmar, und stund in dem Ruf eines guten Mahlers und Zeichners. Der berühmte Albrecht Dürer sollte eben dem Martin in die Lehre übergeben werden, als dieser im J. 1486 starb. Dieses sey von Erfindung der Kunst gesagt.
Es wäre ein schönes Unternehmen, wenn ein Kenner uns die Geschichte der Kunst, von ihrem Ursprunge bis auf diese Zeit gäbe, und jede darin gemachte neue Erfindung ihrem Urheber beylegte. Der Unterschied zwischen den besten Kupferstichen des XV und XVIII Jahrhunderts ist erstaunlich groß: aber man ist nicht plözlich von der schwachen und armen Manier der ersten Kupferstecher zu der Vollkommenheit gekommen, in der wir die Kunst izt, da sie beynahe mit der Mahlerey um den Vorzug streitet, sehen. Von den vielen Männern von Genie, die diese Kunst allmählig in die Höhe gebracht haben, hat der eine dieses, der andre etwas anders darin erfunden und eingeführet. Man trift hier und da so große Kupfersammlungen mit den Namen der Meister an, daß es nicht schweer seyn würde, jeden Schritt den die Kunst gegen ihre Vollkommenheit gethan hat, zu bestimmen. Ein Vortheil den sonst keine der schönen Künste hat. So könnte z.B. Albrecht Dürer als der erste angeführt werden, der einen äuserst feinen und glänzenden [639] Stich eingeführt; Golzius und seine Schüler Jobann und Herrmann Müller könnten als die Urheber des kühnen und kräftigen Stichs; Cornelius de Vischer als der erste Verbesserer der Schraffirungen; und andre als Erfinder andrer Theile angegeben werden. Aus solchen Bemerkungen würde die wahre Geschichte der Kunst entstehen, und sie würde ein Werk von sehr großem Nuzen seyn.
Vielleicht hat diese Kunst die höchste Stufe ihrer Vollkommenheit bereits erreicht; so daß künftigen Kupferstechern nichts zu ihrer Erhöhung zu thun übrig bleibet. Doch wollen wir dem Genie der Künstler keine Schranken setzen. Auf einem sehr hohen Grad der Vollkommenheit war sie bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts: und man kann nicht in Abrede seyn, daß die französischen Künstler ein Großes zu ihrer Vollkommenheit beygetragen haben. Edelink, Masson, Audran, Nanteüil, die unter Ludwig dem XIV die wichtigsten Werke des Grabstichels ans Licht gebracht haben, werden immer unter den ersten Meistern stehen, was für Zusätze die Kunst auch immer noch bekommen mag. Das beträchtlichste, was in unsern Tagen zu dieser Kunst hinzugekommen, ist die Methode, Kupferstiche mit mehrern Farben abzudruken; die Art des Stichs, welche die mit Rothstein gemachten Zeichnungen auf das natürlichste darstellt; und der Stich wodurch die getuschten Zeichnungen nachgeahmet werden.
Es würde für dieses Werk zu weitläuftig seyn, wenn wir auch nur die bloßen Namen der größten Meister der Kunst anführen wollten. Denn wär es auch überflüßig, da die Bücher, die Verzeichnisse der berühmtesten Kupferstecher enthalten, in aller Liebhaber Händen sind. Der stärkste Sammler von Nachrichten ist Florent le Comte.6 Aber es herrscht eine unerträgliche Unordnung in seinem Werk. Man muß sich wundern, daß bey der großen Anzahl Liebhaber der Kupfersammlungen sich keiner findet, der dieses Werk in eine bessere Ordnung gebracht, und bis auf unsre Zeiten fortgesetzt hätte. Denn Le Comtes Nachrichten gehen nur bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts. Nächst diesem enthält die vor wenig Jahren in England herausgekommene Abhandlung von Kupferstichen, welche Füßli unlängst in besserer Form und vermehrt in deutscher Sprach herausgegeben hat,7 ein Verzeichnis der vornehmsten Kupferstecher und ihrer besten Werke. Doch es ist besonders in Ansehung der Deutschen sehr unvollständig.
1 | S. ⇒ Mahlerey. |
2 | Qnemadmodum tabulis æneis imprimerentur edocuit. |
3 | S. Jdeé generale d'une Collection complette d'éstampes avec une dissertation sur l'origine de la Gravure. Leipsic et Vienne 1771. 8. (Der Verfasser ist der Hr. Cammerrath von Heinike aus Dresden.) |
4 | S. Wolffgang Knorr in seiner Künstlerhistorie S. 4. wo er, dieses zu beweisen, Aventini Bayrische Chronik p. 289 der frankfurther Ausgabe von 1580 anführet. |
5 | S. Hamburg. Berichte von 1741. n. 4. |
6 | Cabinet des singularités d'Architecture, peinture, sculpture et Gravure par Florent le Comte. 3 Vol. 8. |
7 | Joh. Casp. Füßlin raisonirendes Verzeichnis der vornehmsten Kupferstecher und ihrer Werke etc. Zürich 1771. 8. |
Buchempfehlung
Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro