Man kann dieses Wort füglich brauchen, um in der Musik einen solchen Ton zu bezeichnen, der das Gehör natürlicher Weise, auf einen andern Ton leitet, oder das Gefühl desselben zum voraus erwekt. So leitet im aufsteigenden Gesang die große Septime natürlicher Weise in die Octave; weil jeder fühlt, daß sie nun nothwendig folgen müsse. Es giebt in der Musik mehrere Töne von dieser Art; der vornehmste aber ist die erwähnte große Septime, die insgemein das Subsemitonium Modi, von den französischen Tonsezern ton, oder note sensible genannt wird. Wenn also in der Harmonie irgendwo anstatt der kleinen Terz, welche der Tonart, darin man ist, natürlich wäre, die große Terz genommen wird, welche meistentheils die große Septime des Tones, in den man ausweichen will, ist;1 so ist diese der Leitton, weil sie dem Gehör die Erwartung desjenigen Tones erwekt, dessen große Septime sie ist.
Es giebt aber außer der großen Septime noch andere Leittöne, die unter dem französischen Namen ton sensible nicht begriffen sind. So ist bey jedem Hauptschluß die Dominante in dem Baß der Leitton, weil sie allemal die Erwartung des Tones, dessen Quinte sie ist, erweket. Ferner ist die kleine Septime in dem wesentlichen Septimenaccord auf der Dominante ein Leitton, weil dieselbe allezeit einen Grad unter sich in die Terz des folgenden Grundtones treten muß.2
Aber auch bey einer einzigen Stimme, die von keiner Harmonie begleitet wird, haben die Leittöne statt. Wann man z.B. in dem Ton C dur heraufsteiget, und auf die große Septime h gekommen ist; so muß man nothwendig von ihr auf c steigen: und so kann man im heruntersteigen, wenn man auf den Ton f gekommen ist, auf demselben nicht stehen bleiben, sondern muß noch einen halben Ton ins e herab. Eben so wird in dem Gesang nothwendig, daß auf einen Ton, der durch ein welches der Tonart nicht [703] zugehört, erhöhet worden, der über ihm liegende halbe Ton folge, wie in hier stehenden Beyspielen:
Hier und in allen ähnlichen Fällen ist der erhöhete Ton ein Leitton, in den über ihn liegenden halben Ton; weil er im Grunde nichts anders, als die große Septime einer neuen Tonica ist.3 Und so leiten auch die durch b oder erniedrigten Töne, insgemein auf den unter ihnen liegenden halben Ton, wie hier:
Denn sie sind im Grunde die kleinen Septimen der Dominanten des Tones, dahin man gehen will, und müssen in die Terz der neuen Tonica treten.
So kann man auch, wenn man von einem Ton aus allmählig, oder durch einen Sprung um vier ganze Töne, oder den so genannten Tritonus4 gestiegen, oder gefallen ist, auf demselben nicht stehen bleiben; sondern man muß nothwendig im ersten Fall noch einen Grad über sich, im andern aber einen Grad unter sich gehen.
Und weil durch die Umkehrung der Tritonus zur kleinen Quinte wird; so muß auch diese derselben Regel folgen; so daß man nach dem Aufsteigen um ein kleine Quinte nothwendig wieder einen halben, oder ganzen Ton, (nach Beschaffenheit der Tonart) zurüktreten, im Fallen aber um einen halben Ton wieder steigen muß.
Alle diese Fälle werden durch das, was von den Ausweichungen gesagt worden ist, hinlänglich erklärt.
In der Phrygischen Tonart aber leidet diese Regel eine Ausnahm, wenn man durch das Heruntersteigen um eine kleine Quinte auf die Tonica kommt; denn da muß man nothwendig stehen bleiben.
So kann man auch nach dem Absteigen auf eine kleine Quinte stehen bleiben, wenn man einen halben Schluß auf derselben macht;
Weil in diesem Fall der lezte Ton die reine Quinte des Grundtones ist, und folglich beruhiget.
Hier verdienet noch angemerkt zu werden, daß der Discantschluß in dieser Tonart, indem die große Septime, anstatt der ihr natürlichen kleinern, als ein Leitton in die Octave genommen worden ist, zum Gebrauch der sonst verdächtigen großen Sexte Gelegenheit gegeben habe; da nämlich der Schluß anstatt so zu stehen;
auf diese Weise gemacht worden.
[704] Ueberhaupt also kann man sagen, daß alle Töne, die gegen den würklich vorhandenen, oder von dem Gehör schon zum voraus gefühlten Grundton dissoniren, Leittöne sind, von denen man nothwendig, durch herauf oder heruntertreten um einen Grad, in die Consonanz kommen muß.
1 | S. ⇒ Ausweichung. |
2 | S. ⇒ Septimenaccord. |
3 | S. ⇒ Ausweichung. |
4 | S. ⇒ Tritonus. |
Buchempfehlung
Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro