Orgelpunkt

Orgelpunkt. (Musik)

In vielstimmigen Kirchenstüken kommen bey Schlüssen ofte solche Stellen, da bey liegendem Basse die obern Stimmen einige Takte lang einen in Harmonie mannigfaltigen Gesang fortführen: eine solche Stelle wird ein Orgelpunkt genennt, weil die Orgel, welche dabey im Basse blos den Ton aushält einigermaaßen einen Ruhepunkt hat, da die andern Stimmen fortfahren. Er kommt entweder auf der Tonica oder auf der Dominante vor und ist als eine Verzögerung des Schlusses anzusehen.

Da der Baß dabey liegen bleibt, so kann es nicht anders seyn, als daß die obern Stimmen den Gesang meistentheils durch Dissonanzen hindurch führen. Um sich eine richtige Vorstellung vom Orgelpunkt zu machen, därf man sich nur vorstellen, daß man von dem Accord auf der Dominante durch Vorhalte in den Dreyklang der Tonica übergehen wolle. Wenn man nun die verschiedenen Vorhälte nicht unmittelbar in die Töne des Dreyklanges der Tonica auflößt, sondern durch mancherley Umwege, oder durch eine Reyhe wolzusammenhangender Accorde langsam zu der Auflösung übergeht, so entstehet der Orgelpunkt.

Er erfodert aber eine gute Kenntnis der Harmonie, damit diese Folge von Accorden, deren keiner eigentlich zum liegenden Baßton gehört, dennoch wol zusammen hangen und nichts wiedriges hören lassen. Die Hauptsache dabey kommt darauf an, daß die Accorde, wenn man den liegenden Baß wegnähme, mit einem richtigen, und in der Fortschreitung auf den lezten Ton führenden Basse können versehen werden. Dieses wird durch folgendes Beyspiehl erläutert werden.

Orgelpunkt
Orgelpunkt

[860] In vielstimmigen Sachen verdoppelt man bey dem Orgelpunkt die Töne, die bey dem eigentlichen Basse, der da stehen müßte, wenn der liegende Baßton weggenommen würde, zu verdoppeln wären.

Insgemein bringt man in Fugen bey dem Hauptschluß einen Orgelpunkt so an, daß die verschiedenen Säze und Gegensäze, die in der Fuge vorgekommen auf einen liegendem Basse so weit es angehet, vereiniget werden. Doch wird er auch bey andern Kirchensachen, die nicht als Fugen behandelt werden, angebracht.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 860-861.
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