[890] Perspektiv. (Zeichnende Künste)
Wie in der Mahlerey die Farben nach den Graden der Stärke des darauf fallenden Lichtes, sich verändern, ob sie gleich dieselben Namen behalten, so verändern sich auch in den Zeichnungen die Formen der Gegenstände, so bald das Aug eine andere Lage annihmt, oder in eine andere Stellung kommt. Man stelle sich vor, es sey auf diesem Blatt ein Viereck, von der Art, die man Quadrate nennt, gezeichnet. Soll dieses Vierek, so wie es würklich ist, mit vier gleichen Seiten und vier gleichen Winkeln ins Aug fallen, so muß nothwendig das Aug so stehen, daß die Linie, die aus der Mitte des Auges mitten auf das Vierek gezogen wird, einen rechten Winkel mit der Fläche des Vierekes ausmacht. Nur in dieser Stellung des Auges erscheinet das Vierek ihm in seiner wahren Gestalt, und nur mit dem Unterschied daß es größer oder kleiner scheinet, nach dem die Entfernung geringer oder beträchtlicher ist: jede andere Lage des Auges stellt das Vierek in einer ganz andern Gestalt vor, und verursachet, daß weder seine vier Seiten, noch seine vier Winkel, einander gleich scheinen. Eben diese Beschaffenheit hat es auch mit andern Figuren, folglich auch mit der Lag und Stellung verschiedener Gegenstände, die auf einer Fläche, oder auf einem Boden stehen. Wenn eine Anzahl Personen in einem Zirkel herumstehen, so er scheinet diese Stellung immer anders, nach dem die Linie, die aus dem Aug in den Mittelpunkt des Zirkels gezogen wird, mit seiner Fläche einen andern Winkel macht.
Der Mahler muß zu richtiger Zeichnung des Gemähldes, diese Veränderungen, die von der Lage des Auges herrühren, genau zu bestimmen wissen, damit er in jedem Falle richtig zeichne: und dazu hat er eine besondere Wissenschaft nöthig, die man [890] die Perspektiv nennt. Wenn gleich der Mahler nach der Natur, oder nach dem Leben zeichnet; so kann er diese Wissenschaft nicht wol missen. Denn es ist eine sehr unsichere Sach um das Augenmaaß, das durch die Einbildung gar ofte verfälscht wird. Obgleich, zum Beyspiehl, wenn wir einen Menschen vor uns stehen sehen, die Hand, die unserm Aug am nächsten liegt, größer scheinet, als die andere, die weiter weg ist, so bemerkt das Aug des Mahlers dieses nicht allemal klar genug, und wenn er die Perspektiv dabey vergißt, so wird er durch die Einbildung immer verleitet, beyde Hände gleich groß zu zeichnen. Also ist die Kenntnis der Perspektiv in jedem Falle dem Zeichner nöthig; in gar viel Fällen aber, besonders wenn er ein historisches Stük aus der Phantasie zeichnet, wird er in der Stellung der Figuren, in den Formen und in den Schlagschatten gewiß schweere Fehler begehen, wenn er nicht genau nach den Regeln der Perspektiv verfährt.
Es ist hier der Ort nicht diese Materie ganz abzuhandeln. Ich werde mich begnügen die Fundamentalbegriffe der Perspektiv deutlich vorzutragen, und hernach in einer Probe die Anwendung derselben zu zeigen.
Man stelle sich vor A B C D sey ein ebener Boden, wie der Fußboden eines Zimmers, und auf diesem Boden, oder dieser Grundfläche, sey eine Figur e f g h gezeichnet, welche von einem in i stehenden Aug gesehen wird. Ferner bilde man sich ein o p q r sey eine Tafel, welche perpendicular sowol auf der Grundfläche als auf der Linie s i, nach welcher das Aug hinsieht, steht. Endlich stelle man sich vor, daß von den vier Ekpunkten e, f. g, h, des auf dem Boden gezeichneten Vierekes die geraden Linien e i, f i, gi, hi, gezogen werden, daß diese in den Punkten k, l, m, n, durch die Tafel gehen, und daß endlich die Linien k l, l m, m n, n k, auf der Tafel sichtbar gezogen werden, so wird man sehr leicht begreifen, daß die Figur n k l m gerade so in das Aug falle, als die Figur e f g h in dasselbe fallen würde, wenn die Tafel nicht da wäre. Deswegen ist für diese Lage des Auges und der übrigen Dinge die Figur n k l m die richtige perspektivische Zeichnung des Viereks e f g h.
Wären auf der Grundfläche noch mehr Figuren, so würde jede auf eine ähnliche Weise ihre besondere Lage und ihre besondere Figur auf der Tafel bekommen. Eben dieselbe Beschaffenheit hat es mit solchen Gegenständen, die auf der Grundfläche in die Höhe stehen, deren Lage, Größe und Figur auf der Tafel so können gezeichnet werden, daß sie von der Tafel aus, so in das Aug fallen, wie man sie ohne die Tafel auf dem Grund würde gesehen haben.
Dieses ist die Art der Zeichnung, die die Perspektiv lehret. Die Zeichner sind gewohnt, wenn sie viele auf einer Grundfläche neben und hintereinander stehende Gegenstände perspektivisch zeichnen wollen, zuerst einen Grundriß davon zu entwerfen, der den eigentlichen Ort eines jeden auf dem Grunde, und die Figur die jeder Gegenstand auf demselben durch seine aufstehende Fläche zeichnet, enthält, und aus diesem Grundriße zeichnen sie denn, nach den Regeln der Perspektiv den Aufriß. Dieses Verfahren ist mühesam, und Hr. Lambert hat gezeiget, daß der Grundriß allenfalls, wenigstens in sehr viel Fällen entbehrlich sey. Er hat in einem sehr gründlichen Werk, das unter dem Titel die freye Perspektiv herausgekommen1 sehr sinnreiche dabey doch leichte Regeln für diese perspektivische Zeichnungen ohne Grundriß gegeben. Und hiervon will ich hier einen Begriff geben, nachdem ich vorher die Hauptbegriffe, worauf es bey der Perspektiv überhaupt ankommt, werde deutlich erklärt haben.
Aus dem was kurz vorher von der perspektivischen Zeichnung überhaupt gesagt worden, kann jeder leicht sehen, daß sie allemal anders ausfallen, und sowol [891] in der Größe, als der Figur der Gegenstände sich verändern müsse, wenn in der Lage des Auges, oder in der Stellung der Tafel etwas geändert wird. Deswegen müssen diese Dinge für jede Zeichnung allemal zuerst genau bestimmt werden.
Man stelle sich vor, daß aus dem Punkt i wo das Aug steht, eine senkelrechte Linie i x auf die Grundfläche, und eine andere is perpendicular auf die Fläche der Tafel gezogen werde; ferner daß auf der Tafel von dem Punkt s, die Linie s a perpendicular auf die Grundlinie, von x aber die Linie x a gezogen werde; endlich daß durch den Punkt s, die Linie t s u, mit der Linie o p, auf der die Tafel auf der Grundfläche senkrecht steht, parallel gezogen sey, und bemerke alsdenn folgende Benennungen.
Die Linie o p heißt die Fundamental- oder Grundlinie; tu die Horizontallinie oder der Horizont; i x die Höhe des Auges über der Grundfläche; i s die Entfernung des Auges von der Tafel, auch die Richtung des Auges; der Punkt s, wird der Augenpunkt genennt; die Fläche a x i s, unendlich verlängert, heißt die Verticalfläche; der gerade Boden aber, oder der Grund worauf alles steht, die Grundfläche.
Wir wollen nun vorerst sezen, man habe auf der Tafel o p q r nichts abzuzeichnen, als Linien, die auf der Grundfläche A B C D gezogen sind; von der Zeichnung dessen, das in die Höhe steht, wollen wir hernach sprechen.
Hiebey kommt es also auf zwey Hauptpunkte an; erstlich darauf, daß jede Linie in ihrer wahren perspektivischen Lage gezogen werde, und zweytens, daß sie ihre wahre perspektivische Größe habe.
I. Gesezt also man wolle zuerst wissen, wie die Seite g h des auf der Grundfläche gezeichneten Quadrats in ihrer perspektivischen Lage auf die Tafel könne gezeichnet werden.
Man stelle sich vor, diese Linie werde auf der Grundfläche verlängert, bis sie in a an die Grundlinie der Tafel stößt. Nun ist sehr offenbar, daß der Anfang der Linie h g a, oder der Punkt a auf der Tafel in eben diesem Punkt a würde gesehen werden, und daß die gerade Linie a i, der Lichtstrahl ist, der von dem Punkt a ins Auge fällt, so wie die Linien g i, und h i die Strahlen vorstellen, die von den Punkten g und h ins Auge fallen. Ferner ist offenbar, daß der Winkel a i x den der einfallende Lichtstrahl mit der senkrechten Linie i x macht, immer größer wird, folglich, die Linie a i, sich der oberen Horizontalfläche i s u immer mehr nähert, je weiter sich der Punkt aus dem sie kommt, von der Tafel nach g h entfernt. Sezet man nun, daß er sich bis ins Unendliche entferne, so wird endlich dieser Lichtstrahl würklich in die obere Horizontalfläche fallen, und das unendlich entfernte Ende der Linie a g h, muß irgend in einem Punkt des Horizonts t s u gesehen werden.
Dieser Punkt ist auch leicht zu finden; denn so weit die Linie h a auf der Grundfläche von der Linie x a f abweicht, so weit muß auch der Strahl aus ihrem äußersten Punkt, auf der obern Horizontalfläche von der Linie i s abweichen. Wenn man also die Linie i u so ziehet, daß der Winkel s i u dem Abweichungswinkel f a g gleich ist; so ist u der Punkt des Horizonts, in welchem das äußerste Ende, der bis ins Unendliche verlängerten Linie a h g gesehen wird. Ziehet man nun die Linie u a auf der Tafel, so ist diese das Bild oder die perspektivische Zeichnung der ganzen Linie a g h, bis ins Unendliche fortgesezt. Hieraus ist klar, wie jede Linie der Grundfläche, deren Verlängerung auf die Fundamentallinie o p stossen würde, bis ins Unendliche fortgesezt auf der Tafel zu zeichnen sey. Man siehet auch ohne Mühe, daß, falls eine Linie mit der Fundamentallinie parallel läuft, wie hier f g und e h, ihr Bild auf der Tafel ebenfalls mit der Grundlinie o p parallel laufen müsse.
Man stelle sich nun vor, daß auch die Linie e f die der Linie h g hier parallel gesezt wird, von f nach bis an die Fundamentallinie verlängert werde, an der andern Seite aber auch bis ins Unendliche fortlaufe; so läßt sich leicht begreifen, daß die Linie b u auf der Tafel das Bild dieser Linie sey. Denn da sie mit a h parallel läuft, so weicht sie eben so viel, als jene von der Fundamentallinie ab, folglich ist s i u auch der Winkel, in dem ihr äußerstes End, ins Aug fällt.
II. Nun kommt es noch auf die Bestimmung der Größe jeder auf der Grundfläche gezogenen Linie an. Man seze, daß die perspektivische Größe der Linie e f auf der Tafel zu zeichnen sey. Da sie durch die Lage der beyden Punkte f und e bestimmt wird, so kommt es blos darauf an, daß die perspektivische Lage dieser Punkte gefunden werde. Gesezt also, man wolle die eigentliche Lage n des Punkts f finden. Diese wird auf der Grundfläche durch das [892] Zusammenstoßen zweyer Linien b f und a f bestimmt. Man darf also, um den Punkt auf der Tafel zu haben, nur nach Belieben von dem auf der Grundfläche liegenden Punkt zwey Linien f b und f a bis an die Grundlinie ziehen, hernach beyde unendlich verlängert sezen, und nach dem, was kurz vorher gelehrt worden, das Bild der einen und der andern auf der Tafel zeichnen, so wird der Punkt, wo sie sich durchschneiden, die perspektivische Lage des Punkts seyn. So wird hier der Punkt n, der den Punkt f auf der Grundfläche vorstellt, durch die Stelle bestimmt, in welcher sich die Linien b u und a s C die Bilder der Linien b e und a f) durchschneiden. Hieraus läßt sich auch leicht begreifen, wie ein auf der Fläche gegebener Winkel, als e f f' perspektivisch gezeichnet werde. Man verlängert f f' nach y und e f nach b; zeichnet ihre Bilder y c und b u, so ist der Winkel c n u die perspektivische Zeichnung des Winkels e f f'.
Man merke sich einige Hauptsäze, die aus den vorhergehenden Betrachtungen folgen.
1. Daß alle Linien der Grundfläche, die mit der Fundamentallinie o p parallel laufen, wie f g und e h, auch auf der Tafel mit eben dieser Linie, oder, welches einerley ist, mit dem Horizont t u, parallel laufen, wie k l und m n.
2. Daß jede, die Grundlinie o p durchschneidende Linie, unendlich fortgezogen, auf der Tafel ein Bild mache, das sich an dem Horizont t u endiget.
4. Daß folglich kein Punkt der Grundfläche, in der Tafel über dem Horizont stehen könne, folglich in der Tafel nichts über den Horizont kommen könne, als was in die Höhe steht.
4.Daß die auf der Grundfläche liegenden abweichenden parallel Linien unendlich weit fortgezogen, wie b e und a h, in dem Horizont in denselbigen Punkt u treffen; daß folglich alle Linien auf der Tafel wie m l und n k, die nach demselben Punkt u des Horizonts treffen, Linien vorstellen, die auf der Grundfläche einander parallel sind.
Damit wir uns nun in eine nähere Erklärung der freyen Perspektiv des Hrn. Lamberts einlassen können, stelle man sich vor, i sey der Mittelpunkt eines Zirkels, i s aber dessen Radius; so ist klar, da i s auf s u perpendicular steht, daß die Linie s u die Tangente des Winkels s i u sey, der, wie vorhin erinnert worden, allemal dem Abweichungswinkel f a g gleich ist. Wenn man also von dem Punkt s, sowol gegen u, als gegen c, die Tangenten jedes Grades eines Zirkelbogens von 1 bis 90 aufträgt, so hat man so gleich, so bald man die Abweichung einer auf dem Grund gezeichneten Linie weiß, auch den Punkt des Horizonts, dahin ihr äußerstes Ende trift. Gesezt, die Linie g h, weiche 30 Grade rechts von der Verticalfläche ab, so nehme man auf der Linie s u den Punkt der Tangente von 30 Graden, so wird dadurch das äußerste Ende dieser Linie auf dem Horizont des Gemähldes bestimmt.
Um nun einen Begriff zu geben, wie der Zeichner jeden Winkel auf der Tafel zu zeichnen hat, wollen wir uns die Sache folgendermaaßen vorstellen.
Man seze dieses Blatt sey der Grund, worauf eine perspektivische Zeichnung zu machen ist. Die Linie O D sey der Horizont des Gemähldes, und A der Augenpunkt. Aus A sey die Perpendicularlinie A C gezogen, die der Entfernung des Auges gleich sey, mit dem Radius C A aber, sey der vierte Theil eines Zirkels A B beschrieben. Dieser Bogen A B sey in Grade eingetheilt, und endlich seyen durch gerade Linien, die aus dem Mittelpunkt C durch die Theilungspunkte gezogen worden, die Punkte 10, 20, 30 u.s.f. auf der Linie O D angemerkt worden; so stellen die Linien A 10, A 20 u.s.f. die man rechts und links gleich sezet, die Tangenten der Winkel von 10, 20 Graden u.s.f. vor.
Nun soll man auf irgend eine in der Zeichnung stehende Linie D E einen gegebenen Winkel, z. E. von 30 Graden ziehen. Dieses wird auf das Leichteste also geschehen. Man verlängere, wenn es nöthig ist, die Linie D E bis an den Horizont O D. Von D aus zähle man auf der Abtheilung 30 Grade gegen A hin. Aus dem Punkt I, wohin von D ausgerechnet der 30 Grad fällt, ziehe man die Linie I E, so ist der Winkel I E D von 30 Graden. Eben so, wie in der vorhergehenden Figur gezeiget worden, daß der Theil c u des Horizonts die Tangente des Winkels c n u und auch des auf der Grundfläche [893] liegenden Winkels e f f' sey. Nun ist es leicht zu sehen, wie man es machen müßte, wenn der Winkel sich nach einer andern Seite wenden müßte, so daß F E D, oder H E G diese 30 Grade haben müßte. Dieses ist aus der Geometrie bekannt. Wollte man durch einen auf dem Gemählde gegebenen Punkt N eine Linie ziehen, die mit einer gegebenen, nach dem Horizont laufenden Linie K L perspektivisch parallel wäre; so därf man nur die Linie K L bis an den Horizont ziehen, und aus dem Punkt 30, wo sie auftrit, durch den gegebenen Punkt N die Linie N M ziehen. Wär aber K L mit dem Horizont parallel, so würde es auch M N seyn, folglich die Aufgabe durch die gemeine Geometrie aufgelößt werden.
Weil die Zeichnung ganzer Flächen, von welcher Figur sie seyen, blos von der Zeichnung der Winkel, die ihre Seiten gegen einander machen, und denn von der Größe einer einzigen Seite abhängt, deren Lage gegeben ist; so müssen wir nur noch zeigen, wie eine Linie von gegebener Größe, wenn auch ihre Lage bestimmt ist, auf dem Gemählde perspektivisch zu zeichnen sey.
Um hiezu sich den leichtesten Weg zu bahnen, muß man folgende Betrachtung anstellen.
Wie nach der Lehre der Geometrie alle Parallellinien, die zwischen zwey andern Parallellinien liegen, einander gleich sind, so müssen auch alle zwischen zwey perspektivisch parallel gezogene perspektivische Parallellinien einander gleich seyn. Wenn man also sezet:
A B sey die Horizontallinie eines Gemähldes; so sind die Linien A C und A D einander perspektivisch parallel, und so auch C B und E B, folglich muß C D perspektivisch so groß seyn, als E F, und so C E so groß, als D F. Das ist C D und E F, sind Bilder von Linien, die auf der Grundfläche einander gleich sind, und so auch C E und D F. Dieses ist der Grundsaz worauf jede perspektivische Messung der Größen beruhet.
Hiernächst muß man auch merken, daß die Fundamental- oder Grundlinie des Gemähldes zugleich eine wahre, nicht verminderte Größe der Grundfläche vorstellt. Wenn also diese Linie nach gewöhnlichem Maaße in Fuß und Zoll eingetheilt wird, so ist diese Eintheilung der wahre Maaßstab, nach welchem alles, was auf der Zeichnung in der Grundlinie liegt, kann ausgemessen werden. Wir wollen also sezen:
A B sey die Grundlinie eines Gemähldes, C D dessen Horizont, und man habe das eigentliche Maaß in Fuß und Zoll auf die Grundlinie getragen. Sollte die wahre Grundlinie zu tief seyn, und außer das Gemählde fallen, als wenn a b dessen unterste Linie wäre, so därf man nur a b so eintheilen, daß Fuß und Zoll nach dem Verhältnis des geringeren Abstandes der Linie a b von dem Horizont, kleiner genommen würden. Nun sey von der auf a b stossenden Linie c f g eine Länge abzuschneiden, die eine gewisse Anzahl von Fuß und Zoll, perspektivisch genommen, habe.
Dieses würde sehr leicht seyn, wenn der Winkel d c f gegeben wäre. In diesem Falle dürfte man nur nach der auf a b befindlichen Abtheilung das Maaß, das die Linie haben soll von c nach e tragen, damit c e eben so groß würde, als c g perspektivisch seyn soll: weil nun c g und c e gleich sind, so sind auch die Winkel c g e und c e g gleich, und aus dem Winkel g c e bekannt. Wir wollen sezen, dieser sey 30 Grade; so ist, wie aus der Geometrie bekannt, die Summe der beyden andern 150 Grade, folglich jeder 75 Grade. Also ziehe man die Linie e h, wie vorher gelehret worden, so, daß der Winkel c e h von 75 Graden werde, so wird sie die Linie [894] c g so abschneiden, daß sie perspektivisch so groß ist, als c e würklich ist.
Man merke hier den Umstand an, daß auf der Scale der Tangenten, P h immer halb so viel Grade anzeigen wird, als der gegebene Winkel e c g hat. Dieses zu begreifen ziehe man die Linie P c. So ist Winkel P c b von 90 Graden. Nun sind die beyden gleichen Winkel c g e und c e g; zusammen zweymahl neunzig Grade, weniger die Grade des Winkels g c e: das ist, jeder ist neunzig Grade weniger die Hälfte dieses Winkels g c e. Woraus erhellet, daß P h halb so viel Grade haben müsse, als der Winkel g c e.
Hieraus läßt sich nun eine allgemeine Methode angeben, das Maaß einer jeden auf dem Gemählde gegebenen Linie zu bestimmen.
Die gegebene Linie sey c g. Man verlängere sie bis an die Horizontallinie C D, wo sie den 60 Grad durchschneidet. Hieraus erhellet, daß ihr Abweichungswinkel b c g 30 Grade sey. Man nehme davon die Hälfte, oder 15 Grade von P nach h, und ziehe aus dem Punkt h durch g und c die Linie h g e und h c, (oder wenn der Maaßstab nur auf A B ist, h g B und h c i); so ist c e, oder i B, daß Maaß der Linie c g.
Eben daher kann man auch von einer auf der Zeichnung gegebenen Linie einen Theil von beliebiger perspektivischen Größe abschneiden. Wenn man von der Linie c k, ein Stük c g von beliebiger Länge abschneiden wollte, so müßte man die Linie, bis an den Horizont verlängern. Träfe sie wie hier in den 60 Grad, so sähe man daraus, daß ihre Abweichung b c g 30 Grade sey. Wenn man also die Hälfte davon von P nach h trüge, und aus h erstlich die Linie h ci zöge, so dürfte man nur von c oder i, nach e oder B, so viel Fuß und Zoll auf dem Maaßstab abzeichnen, als die Linie c g haben soll, und denn aus h durch e oder B die Linie h e B ziehen, um die Linie c g von verlangter Größe zu machen.
Was hier von Ausmessung der auf dem Grunde liegenden Linien gesagt wird, kann sehr leicht auch auf die in die Höhe stehenden angewendet werden. Wenn man z. E. aus einem Punkt der Linie n l eine in die Höhe stehende Linie l m von einer gegebenen Höhe ziehen wollte, so richtet man von dem Punkt n nach dem auf A B verzeichneten Maaße die Perpendicularlinie n o von besagter Größe auf und zieht p o m so, daß sie mit n l in denselben Punkt des Horizonts trift; so hat l m die Höhe der Linie n o.
In diesen wenigen Säzen ist eigentlich schon die ganze Perspektiv enthalten; ausgenommen die besondern Fälle, wo die Tafel weder auf der Grundfläche, noch auf der Linie des Auges perpendicular ist; da denn noch besondere Betrachtungen hinzukommen müssen, in die wir uns hier nicht einlassen können. Denn hat Hr. Lambert auch verschiedene sehr wol ausgedachte Vortheile angezeiget, wie man sich die Auflösung der hier angeführten Fundamentalaufgaben durch mechanisches Verfahren sehr erleichtern könne. Daher wir jedem Zeichner und Liebhaber empfehlen sich die Mühe nicht verdrießen zu lassen, sowol dessen Perspektiv, als die nachher von ihm herausgegebene Beschreibung eines perspektivischen Proportionalzirkels2 mit Fleiß zu studiren; weil er gewiß beträchtliche Erleichterung der perspektivischen Kenntnisse dadurch erhalten wird.3
Ich habe mich hier deswegen in eine ziemlich umständliche Entwiklung der Lambertschen Methode eingelassen, weil eine blos mechanische Kenntnis einer Regel, wonach die Zeichner, wenn sie ja noch methodisch verfahren, und nicht blos auf Gerathewol arbeiten, die Perspektiv beobachten, keine hinlängliche Kenntnis zur Beurtheilung der Zeichnungen an die Hand giebt. Diese bekommt man aber, nachdem man sich die Mühe gegeben, das von uns hier angeführte, sich genau bekannt zu machen.
Ich will deswegen die Anwendung der Theorie auf die Beurtheilung der Zeichnungen, noch in einem besondern Beyspiehl zeigen, nachdem ich vorher denen zu gefallen, die sich mit blos mechanischem Verfahren behelfen, eine leichte Methode, aus dem Grundriß einen perspektivischen Riß zu machen, hier werde angeführt haben. [895] Man stelle sich vor, der Grundriß liege hier auf diesem Blatte
über der Linie H O, die Tafel aber, auf welche man zeichnen soll, sey die Fläche DOHF, so daß O H der Horizont, O der Augenpunkt sey. O D sey auf O H perpendicular und der Entfernung des Auges von der Tafel gleich: durch D ziehe man D F mit O H parallel; gerad in der Mitte von D O merke man sich den Punkt B. Dieses vorausgesezt, kann jeder Punkt des Grundrisses, als C, auf folgende Weise in seinen perspektivischen Ort auf die Tafel gezeichnet werden.
Man ziehe die geraden Linien C F und C D; hernach aus F durch den Punkt B die Linie F c; so wird der Punkt c, wo diese Linie A D C durchschneidet, der perspektivische Ort des Punkts C seyn. Auf diese Weise wird jeder andere Punkt des Grundrisses gezeichnet; folglich auch ganze Figuren.4
Um nun die Anwendung der oben entwikelten Grundsäze zu Beurtheilung perspektivischer Zeichnungen zu zeigen, nehme man die hier befindliche von Hrn. Lambert auf mein Ersuchen verfertigte in Kupfer geäzte, Zeichnung vor sich.
Das erste, worauf man bey jeder perspektivischen Zeichnung zu sehen hat, ist der Horizont. Wenn das Gemähld eine offene Landschaft ist, in welcher Stellen vorkommen, da die Luft, oder der Himmel, bis an den flachen Boden herunter geht, wie hier bey dem Punkt O, bey B und bey D, so weiß man gewiß, daß dieser Punkt in dem Horizont liegt, weil der horizontale Grund, worauf alles steht, so weit man sehen kann, verlängert, an den Horizont stößt.
Giebt das Gemähld keine Gelegenheit, den Horizont auf diese Weise zu entdeken; so sind andere Mittel dazu vorhanden. Man weiß aus dem vorhergehenden, daß alle Linien, die auf der Grundfläche untereinander parallel sind, wenn sie nur nicht mit der Grundlinie oder dem untern Rand des Gemähldes selbst parallel laufen, nothwendig in der Zeichnung auf dem Horizont zusammen treffen. Darum sucht man in dem Gemählde Gegenstände auf, an denen solche Paralellinien anzutreffen sind, z. E. Gebäude, gerade Alleen u. d. gl. In unserer Zeichnung finden sich verschiedene Gegenstände, die gewiß Parallellinien zeigen, als der Garten, der verschiedene Gänge hat, davon einige, wie man mit ziemlicher Gewißheit sehen kann, parallel neben ein ander laufen. Sezet man ein Lineal nach der Richtung zwey solcher Gänge an, so findet man, daß diese Richtungen in einen Punkt zusammen laufen. Auf diese Weise wären hier, wenn auch die Luft nirgend bis an den Horizont gienge, die zwey Punkte des Horizonts B und D folglich die gerade Linie B D, oder der Horizont selbst zu finden.
Nun ist auch nöthig, daß man den Augenpunkt in dem Horizont entdeke. Gemeiniglich wird er mitten in dem Horizont, von beyden Seiten des Gemähldes gleich weit entfernt genommen.5 Doch ist er in unserer Zeichnung nicht in der Mitte zwischen A und B den äußersten Enden der Zeichnung. Um ihn zu entdeken, bedenke man, daß, nach den obigen Regeln, jede Linie, die die Grundlinie des Gemähldes im rechten Winkel durchschneidet, wenn sie unendlich verlängert wird, in den Augenpunkt trift. Es kommt also darauf an, daß man in dem Gemähld eine solche Linie entdeke. In unsrer Zeichnung giebt der Thurm E sie an. Es ist leicht zu sehen, daß seine vordere Seite der Grundlinie parallel laufe. Da er nun vierekigt ist, und ohne Bedenken angenommen werden kann, daß die Seitenmauern mit der Vorderseite rechte Winkel machen; so wird die Richtung der schattirten Seite des Thurmes auf der Grundlinie perpendicular stehen; folglich, wenn man sie verlängert in den Augenpunkt treffen, der also hier im Punkt O ist.
Hätte hier der Thurm zur Bestimmung des Augenpunkts gefehlt, so hätte man auch die hinter dem Thurm in der Ferne stehenden Häuser zu demselben Endzwek brauchen können.
Nachdem man den Horizont und den Augenpunkt darin gefunden hat, ist nun drittens auch die Entfernung des Auges von der Tafel ausfündig zu machen. Das Aug steht dem Punkt O gegen über, daß die aus dem Auge nach O gezogene gerade Linie perpendicular auf der Fläche des Gemähldes steht; [896] wenn man demnach aus dem Punkt O die Linie O P perpendicular auf den Horizont zieht, so ist sie die Linie der Richtung des Auges und irgend ein Punkt in dieser Linie muß die Entfernung des Auges anzeigen.
Um nun diesen Punkt P für unsere Zeichnung zu finden, müssen wir uns erinnern, daß wenn die beyden Schenkel eines perspektivischen Winkels bis an den Horizont verlängert werden, die beyden Punkte, wo sie den Horizont durchschneiden in dem wahren Winkel ins Auge fallen, der das Maaß des perspektivischen Winkels ist. Nun haben wir vorher gesehen, daß die Vorder- und Seitenwand des Hauses C in einem rechten Winkel auf einander treffen. Da nun diese Seiten bis an den Horizont gezogen, diesen in den Punkten D und B durchschneiden; so muß das Aug nothwendig so gesezt werden, daß die von diesen beyden Punkten ins Aug gezogenen geraden Linien im Aug in einem rechten Winkel auf einander stoßen. Und eben dieses muß auch unten auf der Grundfläche geschehen. Deswegen muß der Punkt P so genommen werden, daß die Linien D P und B P in P senkrecht auf einander treffen. Um also den Punkt P zu finden, theile man die Linie D B in zwey gleiche Theile, und aus dem Punkt R, der von D und B gleich weit absteht, beschreibe man herunterwerts mit dem Radius R B oder R D einen halben Zirkel. Da wo dieser die Linie O P durchschneidet, muß der Punkt P stehen, der auf der Grundstäche perpendicular unter dem liegt. Mithin wird O P die wahre Entfernung des Auges seyn. Denn es ist aus der Geometrie bekannt, daß die auf diese Weise bestimmte Linien P B und P D in P rechtwinklicht zusammen stoßen.
Endlich ist nun noch die Höhe des Auges über die Grundfläche, das ist über den Punkt P zu finden. In unserer Zeichnung siehet man, daß der Horizont gerad unter den obersten Fenstern des Thurms, auch gerade über den Giebeln der vodern Dachfenster des Hauses C wegläuft. Da nun das Aug in der oberen Horizontalfläche liegt, so muß seine Höhe über dem Punkt P nothwendig so genommen werden, daß es mit den Giebeln gedachter Dachfenster auch mit den Bänken der obersten Fenster des Thurmes in einer Höhe liegt. Wollte man diese Höhe in einem absoluten Maaße haben, so müßte man wissen, wie hoch die Dachfenstergiebel des Hauses C über den Grund des Gartens, der hier die eigentliche Grundfläche der Landschaft ist, liege. Dieses kann nun nicht anders, als durch ohngefehre Schäzung herausgebracht werden. Man sieht aus der ganzen Bauart des Hauses C, daß es ein grosses und schönes Wohnhaus ist; weiß auch, daß gewöhnlicher Weise in Häusern dieser Art jedes Geschoß oder Stockwerk ohngefehr zwölf Fuß hoch zu seyn pflegt. Also werden die drey Geschosse dieses Hauses von den Kellerfenstern bis an das Dach gerechnet, etwa 36 Fuß ausmachen. Nihmt man nun die Höhe der Kellerfenster und die Höhe der Dachfenster bis oben an die Giebel dazu; so findet man, daß die Horizontallinie ohngefehr 48 bis 50 Fuß über den Grund des Gartens liege; und so groß wär auch die Erhöhung des Auges über die Grundfläche.
Man kann hier noch auf eine andere Art sich der Richtigkeit dieser Schäzung versichern. An der Voderseite des Thurmes steht man eine Thür, und Fenster, die eben so hoch, als diese Thür sind. Es läßt sich vermuthen, daß diese Thür und diese Fenster die gewöhnliche Höhe etwa 8 Fuß haben. Also werden die vier übereinanderstehenden Fenster nebst der Thür und den fünf Brüstungen eine Höhe von etwa 48 bis 50 Fuß ausmachen, welches mit der vorigen Schäzung übereinstimmt.
Auf diese Weise nun hätte man in unsrer Zeichnung die vier wesentlichen Stüke, den Horizont, den Augenpunkt, den Abstand des Auges von der Tafel, und seine Höhe über die Grundfläche entdeket. Und aus dem angeführten läßt sich abnehmen, wie man auch in andern Fällen zu verfahren hätte, um diese Dinge zu entdeken; welches freylich nicht allemal von allen angeht. Doch wird es selten fehlen, wenn nur die Zeichnung würklich genau nach den perspektivischen Regeln gemacht worden. Von dieser Entdekung gedachter vier wesentlichen Stüke kann man nun noch den Vortheil ziehen, die in dem Gemählde vorkommenden Winkel und Größen auszumessen. Dieses wollen wir noch kürzlich zeigen.
In Ansehung der Ausmessung der Winkel, erinnere man sich, was oben von der Auftragung der Tangenten aller Winkel auf den Horizont gesagt worden. Daraus wird man sehen, daß der Theil des Horizonts O B die Tangente des Winkels O P B sey. Nun ziehe man durch P die Linie Q S mit dem Horizont parallel, und beschreibe mit einem beliebigen Radius P Q einen halben Zirkel über die Linie Q S. Von [897] dem Punkt o, wo O P den Zirkel durchschneidet, theile man, wie die Figur zeiget, die Bogen O S und o Q jeden in 90 Grade. Ziehet man nun aus dem Punkt P durch die Theilungspunkte gerade Linien bis an den Horizont, so ist dieser dadurch in seine Grade getheilt, so wie oben in der zweyten Figur. Will man nun einen Winkel auf der Fläche des Gemähldes messen, so därf man nur seine beyden Schenkel bis an den Horizont verlängern, und dort die Grade zählen, die zwischen beyden Punkten liegen. So wird man z.B. hier finden, daß die Voderseite des Hauses C in dem Punkt D, die andere Seite in B trift; daß O B die Tangente von 52, O D aber die Tangente von 38 Graden ist, folglich D B, mithin auch der Winkel des Hauses 90 Grade hat.
Wollte man den Winkel VTX messen, den die Voder- und Seitenmauer, die den Plaz, wo der Thurm steht, umgeben, ausmessen, so erfoderte dieses etwas mehr Umstände, weil die Linie T V von dem Horizont immer weiter abgeht. Man verlängere darum die Seite VT auf die andere Seite, bis an den Horizont. Da trift sie in den Punkt B. Die Seite T X aber trift in dem Punkt D. Also ist der Winkel X T Z von 90 Graden, folglich hat V T X eben so viel. Dieses kann man auch noch so finden. Man ziehe aus T die Linie TY mit dem Horizont parallel. Weil nun T X bis an den Horizont verlängert in D fällt, wo von O aus der 38 Grad trift, so sind von D gegen A hin gerechnet, noch 52 Grade für die Tangente des Winkels Y T X; folglich hat dieser Winkel 52 Grade. Verlängert man auf der andern Seite V T Z bis an den Horizont, so trift sie in den Punkt B, welcher in den 52 Grad von O aus gerechnet fällt. Mithin bleiben für die Tangente des Winkels Z T z, oder, welches einerley ist, des Winkels V T Y, noch 38 Grade. Darum ist der ganze Winkel V T X von 90 Graden. Dieses ist nun leicht auf jeden andern Winkel anzuwenden.
Also bleibet uns noch die Schäzung der Größen in Fußen übrig. Wir haben gesehen, daß an dem Thurm die Höhe a b 50 Fuß hoch kann geschäzt werden, und daß das Haus C vom Grund des Gartens bis an die Giebel der Dachfenster eben so hoch ist. Ferner, da die Häuser, welche rechts und links des Thurmes stehen, auf demselben Grund, worauf der Thurm und das Haus C stehen, sich befinden; so ist an dem Hause linker Hand die Höhe vom Boden bis an die drey obersten Fenster, und an dem Haus rechter Hand die Höhe vom Boden bis mitten in das Giebelfenster, ebenfalls 50 Fuß. Wenn man also diese vier verschiedene Höhen nihmt, und jede in 50 gleiche Theile eintheilt, so dienen sie, jede in der Entfernung, in welcher diese Höhen genommen worden sind, zum Maaßstab der Höhen, und auch der mit dem Horizont parallel laufenden Linien. So findet sich z.B. daß der nicht weit von B stehende mit C bezeichnete Baum eben so weit gegen den Horizont entfernt liegt, als die voderste Eke des Hauses F neben dem Thurm. Deswegen muß die Höhe dieses Baumes nach dem Maaßstab gemessen werden, den die Höhe dieses Hauses an die Hand giebt. Nämlich, man theilet die Höhe vom Boden bis mitten in das Giebelfenster in 50 Theile, oder Fuße. Mißt man nun die Höhe des Baumes C damit, so findet man sie von etwa 32 Fuß.
Ueberhaupt also findet man das Maaß der Höhen aller Gegenstände, die auf dem eigentlichen Boden dieser Zeichnung, nehmlich auf der horizontalen Fläche des Gartens vor dem Hause C stehen, wenn man die Perpendicularlinie von dem Punkt, wo sie aufstehen, bis an den Horizont in 50 Theile theilet. So viel solcher Theile ein Baum, oder ein Haus hat, so viel Fuß hoch ist es auch. Auf diese Weise findet man, daß die Mauer, die den Thurm umgiebt, ohngefehr 13 Fuß hoch ist.
Und hieraus kann der Zeichner auch leicht die Proportion finden, die er den Figuren, womit er seine Landschaft ausstaffiren will, in jeder Entfernung zu geben hat.
Diese Messung geht, wie man sieht, nur auf Linien, die perpendicular auf der Horizontalfläche stehen, oder auf dieser Fläche mit dem Horizont parallel laufen. Umständlicher wird die Ausmessung der Linien, die sich von vorne gegen den Horizont hinziehen, wie z. E. die Länge der Mauren um den Garten. Diese müssen nothwendig nach ungleich eingetheilten Maaßstäben gemessen werden; weil eine Ruthe vorne an der Gartenmauer größer ist, als wenn man an der hintern Eke eine Ruthe nehmen wollte. Die Methode, solche Linien nach ihrem wahren Maaße einzutheilen, soll hier noch angezeiget werden.
Man stelle sich irgend eine in der Zeichnung nach dem Horizont laufende Linie I H D vor, welche perspektivisch [898] durch eingestekte Pfähle würklich von 10 zu 10 Fuß eingetheilt sey. Da diese Linie in eben den Punkt D geht, dahin auch P D geht, so ist sie mit dieser perspektivisch parallel. Nun nehme man auf dieser Linie irgend einen Punkt H und ziehe durch denselben die Linie H K mit P D nicht perspektivisch, sondern würklich parallel, so stellt diese die Linie I D, in ihrer wahren Lage auf dem Grundriß vor.
Der Maaßstab auf dem Grundriß zur Ausmessung der Linie H K würde nun eben der seyn, den man brauchen müßte, um in der Entfernung des Punkts H aufrecht stehende, oder mit dem Horizont parallel laufende Linien auszumessen. Weil nun in der Zeichnung von H bis an den Horizont 50 Fuß sind, so wird diese Höhe in 50 Theile getheilt, und zum Maaßstab der Linie H K gebraucht, welche hier würklich von 10 zu 10 Fuß nach diesem Maaße eingetheilt ist.
Wäre nun die Linie I H D, oder die perspektivische Zeichnung der Linie H K noch nicht eingetheilt, so brauchte man, um dieses zu verrichten, nur aus den Theilungspunkten der Linie H K gerade Linien nach P zu ziehen, wie es bey I i P geschehen ist. Diese Linien nun würden auch die Linie I H D perspektivisch eintheilen. Dieses ist daher klar, daß die Winkel bey P, z.B. o P I im Grundriß und der perspektivischen Zeichnung gleich groß sind, folglich gleich große Theile der würklichen Linie i H und ihres Bildes i H abschneiden.
Auf eben diese Weise verfährt man mit jeder andern Linie, die man so wie I H D einzutheilen, und auszumessen verlanget. Hat man aber dieses mit einer gethan, so kann ihre Eintheilung auch zur Ausmessung aller mit ihr parallellaufenden Linien gebraucht werden. Wir wollen z.B. sezen, man wolle die Voderseite des Hauses C messen. Weil diese ebenfalls in den Punkt D läuft, so ist sie mit I H D parallel. Wenn man also aus B durch die beyden Punkte d und e an den beyden vodern Eken des Hauses gerade Linien zieht, (oder auch nur ein Lineal ansezt, oder einen Faden spannt) so schneiden diese von der Linie I H D ein Stük, dessen Maaß und Eintheilung auch daß Maaß und die Eintheilung der Voderseite des Hauses C giebt. So findet man hier, wenn man die Eintheilung der Linie I H D weiter fortsezte, daß die Linie B d auf I H D in den 60 Fuß, B e aber, auf den 140 Fuß trift. Deswegen ist die Breite des Hauses oder d e 140, weniger 60, das ist 80 Fuß.
Dieses kann hinlänglich seyn, jedem Liebhaber, der die wahren Grundsäze der Perspektiv gefaßt hat, deren Anwendung auf die Beurtheilung der Gemählde und Zeichnungen zu zeigen.
Hat der Künstler die Regeln der Perspektiv nicht beobachtet, sondern gegen sie gefehlet, so lassen sich auch seine Vergehungen durch ein ähnliches Verfahren der Beurtheilung entdeken. Aber schlaue Künstler, die sich ihrer Schwäche in der Perspektiv bewußt sind, hüten sich sehr, regulaire Gegenstände, aus denen Parallellinien und gewisse Winkel könnten erkennt werden, in ihre Zeichnungen zu bringen; weil man dadurch am leichtesten ihre Fehler entdeken würde.
Wir können diesen Artikel nicht schließen, ohne die Frage berührt zu haben; ob die Alten die Perspektiv in ihren Zeichnungen beobachtet haben, oder nicht. Es ist bekannt, daß über diesen Punkt vielfältig gestritten worden. Vollkommen ausgemacht und unzweifelhaft ist es, sowol aus dem wenigen, was Euclides über die Perspektiv geschrieben, als aus dem, was Vitruvius an zwey Stellen6 erwähnet, daß die Alten die Linienperspektiv, als eine besondere Wissenschaft, die dem Mahler nüzlich sey, gekannt, und daß sie gewußt haben, daß ohne dieselbe gewisse Dinge nicht natürlich genug können gezeichnet werden. Daß sie es aber in dieser Wissenschaft eben nicht weit gebracht haben, sieht man aus der schwachen Perspektiv des sonst wahrhaftig großen Euclides deutlich genug; und daß die Mahler, Bildhauer und Steinschneider sich an das wenige, was man von der Perspektiv wußte, gar nicht, oder doch höchst selten gekehrt haben, beweisen alle aus dem Alterthum übrig gebliebenen Werke der zeichnenden Künste. Die vollständige Wissenschaft der Perspektiv ist darum gänzlich als ein Werk der Neueren anzusehen. Die ersten, die den Grund dazu scheinen gelegt zu haben, sind Leonh. da Vinci und unser Albrecht Dürer. Wer aber zu wissen verlanget, wie die Perspektiv von der Zeit dieser Männer allmählig zur Vollkommenheit gestiegen ist, der wird in der so eben herausgekommenen zweyten Auflage von Hrn. Lamberts freyer Perspektiv gleich im Anfange des zweyten Theiles, das nöthige hiervon beysammen finden.
1 | Zürich 1759. 8. |
2 | Augepurg 1760. 810. |
3 | Indem ich diesen Artikel der Preß übergebe, erhalte ich eine zweyte Ausgabe der freyen Perspektiv, die in Zürich bey Orell, Geßner und Comp. unter der Jahrzahl 1774 gedrukt ist. Darin sind nicht nur beträchtliche Anmerkungen über seine Methode, sondern auch verschiedene sehr leichte Methoden angegeben, wie eine perspektivische Zeichnung, aus einem vorhandenen Grundriß zu machen sey. |
4 | S. Lamberts Perspektiv II Theil S. 64. |
5 | S. ⇒ Augenpunkt. |
6 | Lib. VII. proem. Lib. 1. c. 2. |
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