[928] Prosodie. (Dichtkunst)
Unter diesem Worte versteht man gegenwärtig den Theil der grammatischen Kenntniß einer Sprach, der die Länge und Kürze der Sylben und die Beschaffenheit der daraus entstehenden Sylbenfüße hauptsächlich für den mechanischen Bau der Verse, bestimmt. Vor vierzig Jahren schien die Prosodie der deutschen Sprach eine Sache die gar wenig Schwierigkeit hätte. Die Dichter schränkten sich auf eine kleine Zahl von Versarten ein, die meistens nur aus einer Art Sylbenfüßen bestanden. Von diesen selbst brauchte man nur gar wenige, denen man wegen einiger Aehnlichkeit mit den griechischen und lateinischen Jamben, Spondeen, Trochäen und Daktylen, diese Namen beylegte, und ein mittelmäßiges Gehör schien hinlänglich, diese Füße gehörig zu erkennen und zu unterscheiden. Man sah zwar wol, daß die deutsche Prosodie die Länge der Sylben nicht immer nach den Regeln der griechischen oder lateinischen bestimmte; aber der Unterschied machte den Dichtern keine Schwierigkeiten. Seitdem man aber angefangen hat den Hexameter und verschiedene lyrische Sylbenmaaße der Alten in die deutsche Dichtkunst einzuführen, entstunden Zweifel und Schwierigkeiten, an die man vorher nicht gedacht hatte. Da ich mich über diese Materie nicht weitläuftig einlassen kann, begnüge ich mich den Leser auf zwey, vor nicht gar langer Zeit herausgekommene prosodische Schriften zu verweisen.1
Ich gestehe, daß ich über keinen in die Dichtkunst einschlagenden Artikel weniger fähig bin etwas gründliches zu sagen, als über diesen. Eine einzige Anmerkung finde ich hier nöthig anzubringen. Jedermann weiß, daß die Prosodie der Alten nur auf einen Grundsaz beruhte: nämlich, daß die Länge und Kürze der Sylben, so wie noch gegenwärtig in der Musik, die Geltung der Noten, von dem Accent unabhänglich, und lediglich nach der Dauer der Zeit abzumessen seyen. Diesem zu folge hatten die Alten nur zweyerley Sylben, lange und kurze. (Denn die sogenannten ancipites, oder gleichgültigen, waren doch in besondern Fällen, von der einen, oder der andern Art.) Diese waren ihrer Dauer nach gerade halb so lang, als jene; beyde Arten unterschieden sich gerade so wie in der Musik eine halbe Taktnote von dem Viertel. Die ganze Prosodie der Alten gründete sich auf diese Geltung der Sylben, und die mechanische Richtigkeit des Verses kam genau mit dem überein, was die Richtigkeit der Abmessung des Takts in der Musik ist.
So einfach scheinet unsere Prosodie nicht zu seyn; denn sie scheinet ihre Elemente nicht blos von der Geltung, sondern auch von dem Accent oder dem Nachdruck herzunehmen; so wie in der Musik eine lange Note im Aufschlag zwar eben das Zeitmaaß behält, welches sie im Niederschlag hat, aber nicht von demselben Nachdruck ist, und in Absicht auf die Note von gleicher Geltung im Niederschlag, für eine kurze melodische Sylbe gehalten wird. Unsere Dichter brauchen Sylben, die nach dem Zeitmaaß offenbar kurz sind, als lang; weil sie in Absicht auf den Nachdruk eine innerliche Schweere haben, wie man sich in der Musik ausdrükt. Außer dem läßt sich auch schlechterdings nicht behaupten, daß unsere lange Sylben, der Dauer nach alle von einerley Zeitmaaße seyen, wie z.B. alle Viertel- oder halbe Noten desselbigen Takts; so wie sich dieses auch von den kurzen nicht behaupten läßt.
Die alten Tonsezer hatten nicht nöthig ihren Noten zum Gesang ein Zeichen der Geltung beyzufügen, sie zeigten blos die Höhe des Tones an. Ein und eben dieselbe Note wurd gebraucht, das, was wir izt eine Viertel und eine Achteltaktnote nennen, anzuzeigen; denn die Geltung wurd durch die unter der Note liegenden Sylbe hinlänglich bestimmt. Wollten unsere Tonsezer izt eben so verfahren, so würde es ziemlich schlecht mit unsern Melodien aussehen. Daher scheinet es mir, daß unsere Prosodie eine weit künstlichere Sache sey, als die griechische. Es ist daher sehr zu wünschen, daß ein Dichter von so feinem Ohr, wie Klopstok, oder Ramler, sich der Mühe unterzöge, eine deutsche [928] Prosodie zu schreiben. Fürtrefliche Beyträge dazu hat zwar Klopstok bereits ans Licht gestellt, aber das Ganze, auf deutlich entwikelte und unzweifelhafte Grundsäze des metrischen Klanges gebaut, fehlet uns noch, und wird schweerlich können gegeben werden, als nachdem die wahre Theorie des Metrischen und des Rhythmischen in dem Gesang völlig entwikelt seyn wird, woran bis izt wenig gedacht worden; weil die Tonsezer sich blos auf ihr Gefühl verlassen, das freylich bey großen Meistern sicher genug ist. Eine auf solche Grundsäze gebaute Prosodie, würde denn freylich nicht blos grammatisch seyn, sondern zugleich die völlige Theorie des poetischen Wolklanges enthalten. Einige sehr gute Bemerkungen über das wahre Fundament unsrer Prosodie wird man in der neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften, im 1 Stük des X Bandes in der Recension der Ramlerischen Oden, antreffen.