Provenzalische Dichter

[929] Provenzalische Dichter.

Sind Dichter, die im XII und XIII Jahrhundert in der provenzalischen Sprache gedichtet, auch unter dem Namen Troubadours bekannt sind, und wie es scheinet, nicht geringen Einflus auf den Geschmak und die Ausbreitung der deutschen Poesie in dem so genannten schwäbischen Zeitpunkt gehabt haben. Daher verdienen sie, daß ihrer hier besonders erwähnt werde. Folgender Aufsaz über diese Materie ist von unserm Bodmer, der ehedem diesem Theil der poetischen Geschichte besondere Aufmerksamkeit gewiedmet hat.

»Die provenzalische Sprache, die in Provence und Languedok von der lateinischen des Pöbels entstanden, wie die italiänische in Italien, und die französische in Orleans, die alle drey von einander unterschieden sind, hat zuerst Scribenten gehabt, die ihr eine gewisse befestigte Gestalt gegeben, und in derselben Werke geschrieben haben, die in Ruf gekommen, und die Lust ihrer Zeitgenossen gewesen sind. Wiewol wir die Geschichten dieser Scribenten, die der Mönch von den Inseln Hieres geschrieben, und die Sammlung ihrer Werke, die Hugo von St. Cesari besorget hat, nicht mehr haben, so sind doch die Nachrichten noch vorhanden, die Johannes von Nostradame, ein Bruder des Profeten, aus denselben zusammengelesen hat: und es sind noch hier und da Fragmente in ziemlicher Anzahl übrig, welche uns von der Denkungs- und Dichtungsart derselben das nöthige Licht geben. Es ist dieselbe, die im Ciro da Pistoia, im Guido Cavalcante und in den ersten Poeten Italiens herrschte, die ihre Poesie bey den Provenzalen geholt haben.

Sie drähet sich um die Liebe, wie um ihren Pol herum: jeder hat seine Dame, die ihm gebiethet, und der er mit einer gewissenhaften Galanterie dienet. Da waren Liebesgerichtshöfe von Cavalieren, und von Damen, in welchen die Gewissensfragen der Liebe mit der pünklichsten Sorgfalt untersucht wurden. Dichter hatten ihre Epopöen, die Romanzen, in welchen die Beständigkeit in der Liebe, und die Herzhaftigkeit in den abentheuerlichen Unternehmungen, die beyden Haupträder waren. Die Aventüre that ihnen die Dienste der Musen, und der heilige Gral versah sie mit Mythologie. Es fehlte ihnen aber auch nicht an sittlichen Sprüchen und Lehren, die gewiß auf gute menschliche Grundsäze gebaut, und mit seinem Wiz ausgebildet sind. Es ist eine solche Aehnlichkeit in dem Charakter der provenzalischen und der alten schwäbischen Poesie, daß es ganz glaublich wird, zwischen den Poeten beyder Nationen sey ein genauer Umgang gewesen. Die Poesie und die Sprache haben mit dem XIV Jahrhundert abgenommen. Die tiefere Unterwerfung der Provence unter Frankreich, das Abnehmen des wunderbaren Systems von der Ritterschaft und der damit verknüpften Galanterie, die Blüthe der italiänischen Sprache, mittelst der fürtreflichen Scribenten in derselben – beförderten ihren Untergang.«

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 929.
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