Quinte

[937] Quinte. (Musik)

Ein Intervall, das aus fünf diatonischen Stufen besteht, C-G, daher es seinen Namen hat. Von diesen fünf Stufen sind drey von einem ganzen, eine von einem halben Ton. Die eigentliche reine Quinte bekommt man, wenn man zwischen zwey um eine reine Octave von einander abstehende Töne, die harmonische Mitte nihmt.1 Dadurch erhält man einen Ton, dessen Verhältniß gegen den Grundton 2/3 ist.

Dieses Verhältnis zeiget, daß die Quinte nach der Octave die vollkommenste Consonanz ausmache, und daß es nicht möglich sey, zwischen einem Grundton und dessen Octave einen Ton zu finden, der so vollkommen, als die Quinte mit dem Grundton harmonire. Sie hat überdem noch den Vortheil, daß sie zugleich gegen die Octave des Grundtones eine vollkommene Consonanz ausmacht, weil diese Octave die Quarte von der Quinte des Grundtones ist.

Wegen der sehr guten Harmonie aber, die dieses Intervall so wol mit dem Grundton, als seiner Octave hat, verträgt es auch keinen merklichen Mangel; das ist, die Quinte leidet nicht, daß ihr an ihrer reinen Stimmung etwas merkliches fehle.2 Eine Quinte, die schon um das gemeine Comma 80/81 zu tief ist, hat schon eine zu merkliche Unvollkommenheit, da doch die Terzen, diesen Mangel oder Ueberfluß noch gut vertragen.3

Weil nun unser diatonisches System so eingerichtet seyn muß, daß jeder der verschiedenen Töne der Octave zu einem Grundton muß können genommen werden, der so viel möglich seine reinen Consonanzen habe; so war bey der Einrichtung des Systems vornehmlich darauf zu sehen, daß jeder Ton seine ganz reine, oder doch beynahe ganz reine Quinte bekomme. Denn ganz vollkommen rein können nicht alle Quinten der zum System gehörigen Töne seyn; weil sonst die Octaven, die absolut rein seyn müssen, mangelhaft werden würden.4

Aus diesem Grunde habe ich in gegenwärtigem Werke das System nach der Kirnbergerischen Temperatur allen andern vorgezogen; weil darin von den 12 Tönen, neun ihre gänzlich reinen Quinten haben; eine so nahe rein, daß kein menschliches Ohr einen Mangel darin zu empfinden vermag; so daß überhaupt nur zwey temperirte Quinten darin vorkommen, denen es aber an der gänzlichen Reinigkeit bey weitem an keinem Comma von 80/81 fehlet. Diese Vollkommenheit habe ich in keinem andern System entdeket; es sey denn, daß man zugleich gar zu viel sehr unreine, folglich unbrauchbare Terzen zulassen wolle, vermittelst welcher alle Quinten beynahe ganz rein erhalten werden können. Unter den ältern Tonarten, die man noch in Kirchenstüken nach der alten Art braucht, konnte der Ton H gar nicht, als ein Grundton gebraucht wer den; weil ihm die Quinte ganz fehlte. Den das Intervall H-f oder die dem H zugehörige Quinte, dessen Verhältniß 45/64 ist, macht eine schweere Dissonanz aus, die um einen halben Ton von der Quinte abweicht, folglich gar nicht als Quinte gebraucht werden konnte. Daher hat auch dieses Intervall den Namen der falschen Quinte bekommen, wovon wir hernach besonders sprechen werden.

Die Quinte kann also nicht wie die Terzen und Sexten, groß oder klein seyn; nur in einem einzigen besondern Falle hat ein consonirender Dreyklang eine kleine Quinte; ihr Ursprung, und warum sie als eine Consonanz kann gebraucht werden, wird an einem andern Orte5 erläutert, und wie sie von der falschen Quinte zu unterscheiden sey, im Artikel falsche Quinte deutlich gezeiget werden.

Die Quinte hat ihren eigentlichen Siz in den Dreyklang. Denn die Quinte, welche in dem Quintsextaccord vorkommt, ist eigentlich als eine Septime anzusehen, wie aus dem Artikel über diesen Accord zu sehen ist. Wegen der sehr befriedigenden Harmonie der Quinte, gegen den Grundton, gilt auch, wiewol in einem etwas geringern Grade, von ihr, was wir von der Octave angemerkt haben, daß man sie in der obersten Stimme mitten im Zusammenhang melodischer Säze, nicht so oft, als weniger consonirende Intervalle anbringen könne.6

Weil die Quinte nach der Octave die vollkommenste Harmonie hat, so sind auch in der Fortschreitung des Basses die Sprünge, da die Stimme um eine Quinte steigt oder fällt, diejenigen, die am [937] meisten beruhigen; deswegen werden sie bey Schlüssen, oder Cadenzen gebraucht. Besonders ist der Fall von der Quinte des Tones in dem Ton herunter völlig befriedigend, und wird zu ganzen oder vollkommenen Schlüssen gebraucht; der Sprung aber vom Grundton in seine Quinte ist es etwas weniger, und wird zur halben Cadenz gebraucht.7 Wenn man also diese Sprünge brauchen will, ohne eine sehr merkliche Ruhe zu bewürken, so muß man nothwendig durch Einmischung dissonirender Töne, oder durch andere merkliche Verminderung der Harmonie, das Gefühl dieser Ruhe zernichten.

Die Quinte wird in Absicht auf den Hauptton, aus welchem ein Stük, oder eine Hauptperiode desselben gesezt ist, die Dominante genennt.

Es ist vorher erinnert worden, daß die Quinte nicht, wie die weniger vollkommenen Consonanzen groß und klein vorkomme, sondern immer in ihrem reinen Verhältnis 2/3 oder doch sehr wenig davon abweichend vorkommen müsse. Dennoch findet man nicht selten übermäßige Quinten, wie C - gis und dergleichen. Deren Ursprung und Beschaffenheit wir erklären müssen.

Diese übermäßige Quinte, ist wie einige andere übermäßige Intervalle, in der neueren Musik dadurch aufgekommen, daß man gewisse melodische Fortschreitungen dadurch reizender zu machen suchte, daß man anstatt den folgenden Ton unmittelbar zu nehmen, sich des unter ihm liegenden halben Tones, als eines Leittones bediente. Folgendes Beyspiehl zeiget zwey solche Fortschreitungen, die erste durch die übermäßige Quinte, die andre durch die übermäßige Sexte.

Quinte

Hier wird im ersten Takt statt der reinen Quinte d, eine erhöhte dis genommen, weil dieser Ton das Subsemitonium des folgenden ist, das ihn, als sein kräftigster Leitton, zum Voraus ankündiget. Eigentlich kann man nicht sagen, daß diese übermäßige Quinte eine Consonanz sey: sie dissonirt stark, und erwekt eben deswegen das Verlangen, nach dem darüber liegenden halben Ton.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon