Dasjenige, wodurch in dem Gesang das Gefühl des Endes, oder auch blos einer Ruhestelle, eines Abschnitts oder Einschnitts erwekt wird. Der Gesang muß, wie die Rede, aus mancherley Gliedern bestehen,1 die durch Einschnitte, durch längere oder kürzere Ruhestellen, von einander abgesondert sind. In der Rede werden diese Glieder Einschnitte und Perioden genennt, die man durch verschiedene Zeichen, als , : ; ? ! . anzudeuten pflegt. Die Glieder aber entstehen nicht durch diese Zeichen, sondern aus der Anordnung der Begriffe, nach welcher in der Rede, an den Stellen, wo diese Zeichen stehen, ein mehr oder weniger vollständiger Sinn sich endiget: zugleich aber auch aus der Folge der Töne; denn in dem Vortrag der Rede werden diese Ruhestellen, durch den stärkern oder schwächern Abfall der Stimme, und durch längere oder kürzere Verweilungen, auf der letzten Sylbe fühlbar gemacht. Dieses sind eigentliche Cadenzen der Rede, und daraus läßt sich schon begreifen, was die Cadenzen in der Musik sind.
In einem Tonstük vertritt die Harmonie einigermaassen die Stelle der Begriffe der Rede; die Melodie aber des Tones der Sylben. Wie nun die Einschnitte und Perioden der Rede, sowol von den Begriffen, als von dem Ton der Worte abhangen, so ist es auch in der Musik. Wir haben also hier die Cadenzen, sowol in der Harmonie als in der Melodie zu betrachten, und mit den ersten den Anfang zu machen.
Es giebt also, sowol in der Rede, als in der Sprache der Musik, zweyerley Glieder: in der [182] Rede entstehen sie entweder von der Ordnung der Begriffe, oder von der Ordnung der Töne; und in der Musik, entweder von der Ordnung der Accorde, oder von der Ordnung der einzeln Töne der Melodie. Die erstern beyden Gattungen sind die wesentlichsten, und die andern müssen ihnen untergeordnet seyn. Ein harmonisches Glied ist eine Folge zusammenhängender Accorde, auf deren letztem man ohne fernere Erwartung stehen bleiben, oder doch eine Zeitlang ruhen kann. Dasjenige nun, was in der Harmonie das Gefühl dieses Stillstehens verursachet, wird eine harmonische Cadenz genennt. Die Würkungen der Cadenzen sind von verschiedener Art: entweder bringen sie das Gehör in eine völlige Ruhe, so daß es schlechterdings nun weiter nichts erwarten kann; oder sie verursachen einen Stillstand, bey dem man, ohne einen Mangel zu fühlen, nicht gänzlich aufhören, aber doch eine Zeitlang stillstehen kann. Die, welche die erstere Würkung thun, werden ganze oder völlige Cadenzen genennt, von den andern werden einige halbe, andre unterbrochene Cadenzen genennt. Wir wollen jede Art näher betrachten.
1. Zur vollkommenen Ruhe wird nothwendig eine vollkommen consonirende Harmonie erfodert, weil jeder dissonirende Ton etwas beunruhigendes hat; also muß der letzte Accord der ganzen Cadenz nothwendig der vollkommene Dreyklang seyn. Aber nicht jeder Dreyklang setzt in gleich völlige Ruhe. Wer nur einigermaassen empfinden kann, was eine Tonart, oder ein Ton, darin man modulirt, ist, der fühlt auch, daß die völligste Beruhigung nur durch den Dreyklang auf dem Grundton verursacht wird; also muß der letzte Accord der ganzen Cadenz den Dreyklang auf dem Grundton haben, aus dessen Tonleiter die vorhergehenden Accorde genommen sind. Jedes Tonstük wird aus einem gewissen Ton gesetzt, aus welchem die Harmonie zwar in andre Töne ausweicht, zuletzt aber in den Hauptton zurük geführt wird.2 Die vollkommenste Ruhe kann nicht eher hergestellt werden, bis die Modulation aus den Nebentönen wieder in den Hauptton, von dem das Gehör vorzüglich eingenommen ist, zurük geführt worden. Also kann ein ganzes Stük nicht anders, als mit dem vollkommenen Dreyklang auf seinem Grundton endigen. Dieser Schluß wird die Finalcadenz, oder die Hauptcadenz eines Tonstüks genennt. Geschieht der Schluß aber vermittelst des Dreyklanges auf dem Grundton einer Nebentonart, dahin man ausgewichen ist, so wird dadurch nur eine Mittelcadenz verursachet, womit eine Periode kann geendiget werden.
Die Vollkommenheit des Schlusses aber hängt nicht allein von dem letzten, sondern zum Theil auch von dem vorletzten Accord ab, durch welchen das Verlangen nach der Ruhe erwekt wird. Also muß der vorletzte Accord, durch den die Ruhe angekündiget wird, nothwendig etwas unvollkommenes haben, das die Erwartung des letzten erweket, und er muß in der engesten Verbindung mit dem letzten Accord stehen. Dieses kann auf keine vollkommnere Art geschehen, als wenn der vorletzte Accord auf der Quinte oder Dominante des Tons, darin man ist, genommen wird, weil die Rükkehr von der Dominante auf den Grundton der natürlichste Schritt ist, den die Harmonie thun kann: also ist überhaupt dieses die Form der ganzen oder völligen Cadenz.
Damit aber das Gefühl des letzten Grundtones schon durch den Accord des vorletzten desto gewisser erwekt werde, wird auf diesen der Septimenaccord genommen,3 weil alsdenn die Harmonie unumgänglich um eine Quinte fallen muß.
Hiebey aber ist auch noch auf die Ordnung der Töne in den obern Stimmen zu sehen, indem auch darin jeder letzte Ton durch den vorletzten kann bestimmt werden. Die grosse Terz des vorletzten Tones macht das Subsemitonium des folgenden Grundtones aus, und geht also nothwendig beym Schlusse in die Octave. Die Septime im vorletzten Accord macht die Quarte des letzten Grundtones aus, und geht also nothwendig in dessen Terz über. Mithin wird der vollkommenste Schluß dieser seyn:
[183] weniger vollkommen würde er in diesen Gestalten seyn:
Hierbey verdient angemerkt zu werden, daß die Alten in den Cadenzen, da die Terz in der Oberstimme schließt, allemal die grosse Terz brauchten, wenn gleich die Tonart die kleine erfoderte; also:
Der Grund dieser Abweichung lag ohne Zweifel in der schlechten Temperatur ihrer Orgeln, nach welcher viel kleine Terzen so schlecht klangen, daß sie freylich zum Schluß untauglich waren. Da dieser Fall itzt nicht mehr statt hat, so schließt man auch ohne Bedenken mit der kleinen Terz. Wolte man in Kirchensachen, aus Liebe zum Alterthum, im Schluß die Tonart ändern, so könnte es am füglichsten also geschehen:
Noch weniger vollkommen aber wäre diese Cadenz, wenn der letzte Schritt durch Heraufsteigen von der Dominante auf den Hauptton geschähe.
Denn obgleich diese Accorde mit den vorhergehenden im Grunde einerley sind, so kann doch diese Cadenz nicht wol eine völlige Ruhe machen, weil die Dominante nicht auf die Octave ihres Grundtones, sondern auf diesen selbst führet; folglich die Ruhe nicht durch Steigen, sondern durch Fallen hervorgebracht wird. Doch könnte dieser Schluß auf folgende Weise vollkommen gemacht werden.
Dieses ist also die Form der ganzen harmonischen Cadenz, die in ihrer vollkommensten Gestalt, am Ende des ganzen Stüks nicht nur wie bey a erscheinen, sondern mit dem Dreyklang auf dem Hauptton, woraus das Stük gesetzt ist, endigen muß. Wird sie aber mitten im Stük zu Endigung einer ganzen harmonischen Periode gebraucht, so endiget sie sich mit dem Dreyklang des Grundtones, dahin man ausgewichen war, und darin man sich eine Zeitlang aufgehalten hat: dabey nimmt sie in den obern Stimmen die unvollkommenere Gestalt, wie bey b und c, an. Dieser Schluß kann auch durch Verwechslung des vorletzten Accords, oder des Accords der Dominante etwas geschwächt werden, als:
2. Die halbe Cadenz setzet in eine nicht völlige Ruhe, sondern befriediget zwar das Gehör durch eine ganz consonirende Harmonie, bey welcher man aber deswegen nicht ganz ruhen kann, weil sie nicht auf dem Grundton liegt, darin man modulirt, sondern auf der nächsten Consonanz, nämlich der Quinte oder der Dominante desselben. Ihre Form ist also diese:
Um die wahre Natur dieser halben Cadenz zu begreifen, stelle man sich vor, man hätte aus dem Hauptton C in seine Dominante schliessen wollen. Dieses würde man durch den geradesten Weg also bewerkstelligen.
[184] Auf dem letzten dieser drey Accorde wäre man nun würklich in G, der Ton C wär vergessen, und die Cadenz wär ganz. Nähme man aber auf dem zweyten Accord, anstatt der grossen Terz, die das Subsemitonium von G ist, die kleine Terz, die der Haupttonart C dur eigen ist, so würde auf dem letzten Accord ungewiß, ob man würklich nach G dur ausgewichen wäre, oder, ob man in C bleibe, und nur den Dreyklang seiner Quinte wolle hören lassen, um hernach in der Haupttonart wieder fortzufahren. Demnach ist offenbar, daß durch diese Fortschreitung
keine würkliche Ruhe, sondern nur ein Stillstand verursachet wird, der aber, wegen der sich dabey äussernden Ungewißheit, nicht lange dauren kann. Dieses ist die Natur der halben Cadenz, die, wie die ganze, mehr oder weniger Kraft haben kann, wie aus folgenden Beyspielen erhellet.
Läßt man den Mittelaccord ganz weg, wie bey a, so ist die Ungewißheit am stärksten und folglich der halbe Schluß am schwächsten; nimmt man aber diesen Mittelaccord mit der kleinen Terz, wie bey b, so gleicht die halbe Cadenz etwas mehr einem Schluß in dem Ton G. Von eben diesem ist die Form bey c blos eine Verwechslung. Würde man die Cadenz aber so machen, wie bey d und e; so wäre man schon nach G würklich ausgewichen. Da aber dieses doch nicht in der Form der ganzen Cadenz geschehen ist, und man von da ohne Zwang wieder in den Ton C zurüke kann, so bleibt auch diese Cadenz noch weit von der Stärke der ganzen entfernt.
Mit diesen halben Cadenzen kann man kein Stük, aber doch Hauptabschnitte desselben endigen. Von den drey hiernächst verzeichneten Arten dieser halben Cadenz, setzt die erste am meisten in Ruhe, die andre weniger, die dritte am wenigsten.
Die heutigen französischen Tonsetzer nehmen mit Rameau an, daß diese halbe Cadenz, welcher sie den Namen der unvollkommenen, auch der irregulären Cadenz geben, durch die, dem Dreyklang des vorletzten Tones hinzugethane, grosse Sexte müsse angekündiget werden, welche sie auf dem folgenden Accord um einen Grad in die Höhe treten lassen, wo sie alsdenn zur grossen Terz wird; also:
Die deutschen aber, denen diese dissonirende Sexte nicht gefällt, lassen sie als einen Durchgang hören, wie im zweyten Beyspiel; nur in geschwindem Zeitmaasse lassen sie die Auflösung dieser Sexte, so wie auch der Quinte in dem Satz , über sich gelten: aber in langsamer Bewegung wird allemal wie die Verwechslung des Septimenaccords aufgelöset.
3. Die unterbrochene Cadenz entstehet dadurch, daß die Erwartung eines Schlusses erwekt, das Gehör aber durch einen unerwarteten Accord getäuscht wird, als:
[185] da man nach dem Accord, auf der Dominante den Schluß in den Hauptton erwartet, an dessen Stelle aber den Accord auf der Sexte hört. Dieser Gang wird deswegen von den Italienern Cadenza d'inganno, die betrügerische Cadenz genennt. Ihre Würkung ist eine Ueberraschung, bey welcher man eine Zeitlang stille steht, dabey aber das Gefühl, daß ein fernerer Aufschluß erfolgen soll, behält. Man kann dadurch das Gefühl einer Verwunderung, eine Frage, oder die Erwartung einer Antwort ausdruken. Einigermaassen gehören auch die Verwechslungen der Accorde auf dem Grundton der ganzen Cadenz hieher; weil dadurch ebenfalls die Erwartung betrogen wird, wiewol die dadurch verursachte Täuschung weit weniger Kraft hat, als in der betrügerischen Cadenz. Dergleichen Schlüsse sind also diese:
Man kann sowol der ganzen, als der halben Cadenz, ihre schliessende, oder Ruherwekende Kraft ganz benehmen, wenn man auf dem letzten Grundton den Septimenaccord nimmt, als:
oder
Eine solche Fortschreitung wird eine vermiedene Cadenz genennt. Im Grund aber kann sie gar nicht unter die Cadenzen gezählt werden, weil sie alle Ruhe oder alles Stillstehen unmöglich macht; indem das Ohr, so bald es die Dissonanz vernimmt, auch nach ihrer Auflösung begierig wird. Ihre Würkung ist gerade das Gegentheil von dem, was die Cadenz würkt; nämlich eine, ohne alle Aufhaltung fortschreitende Bewegung, wodurch der genaueste Zusammenhang des harmonischen Ganges erhalten wird. Findet man, daß, des Ausdruks halber, bey der halben Cadenz eine Aufhaltung nöthig sey, so wird die 7 hinzugethan, und denn die Aufhaltung mit diesen Zeichen, oder angedeutet. Dieses macht also eine besondre Gattung der halben Cadenz aus. S. ⇒ Fermate. Auch die Verwechslungen des Septimenaccords auf der Dominante leiden diese Fermaten.
Bis dahin haben wir die Cadenz blos in Absicht auf die Harmonie betrachtet, in so fern sie einen harmonischen, grössern oder kleinern Ruhepunkt verschaffet. Damit man sich einen desto deutlichern Begriff von den Cadenzen der Melodie machen könne, bedenke man, daß ein Abschnitt der Rede, der dem Sinne nach völlig geendiget wäre, so ungeschikt könnte gelesen werden, daß das Ohr nach dem letzten Wort noch immer etwas erwartete. Eben so könnte ein Abschnitt harmonisch geendiget, durch den Gesang aber als unvollendet vorgetragen seyn. Daher entsteht also die Betrachtung der melodischen Cadenz.
Es ist so gleich offenbar, daß der letzte Ton einer melodischen Cadenz nothwendig mit dem Grundton, aus dessen Tonleiter die Töne genommen sind, consoniren müsse, und daß das Gefühl der Ruhe um so viel gewisser entstehet, je vollkommener die Consonanz ist. Also wird der letzte Ton entweder der Einklang, oder die Octave, oder die Quinte, oder die Terz des Grundtones seyn. Dieser letzte Ton muß im Niederschlag des Taktes eintreten, weil er auf diese Art fühlbarer wird; und aus eben dem Grunde muß die Stimme, wenn die Ruhe völlig seyn soll, darauf liegen bleiben, und sich nach und nach verlieren. Endlich wird die Ruhe auch dadurch fühlbarer, wenn dem letzten Ton einer vorhergehet, der das Gefühl des Schlußtones zum voraus erwekt; dieses nennt man die Vorbereitung der Cadenz: diese muß also im Aufschlag des vorletzten Takts geschehen. Daher sind folgende Hauptgattungen der melodischen Schlüsse entstanden.
Die erste scheinet die vollkommenste zu seyn, weil sie im Unisonus, der vollkommensten Consonanz, schließt, und also den Gesang an die Quelle, woraus er geflossen ist, wieder zurük geführt hat, und zwar durch den Fall einer Quinte, der ohne dem etwas beruhigendes hat. Diese Cadenz wird die Baßcadenz [186] genennt, weil sie dieser Stimme vorzüglich zukommt, obgleich bisweilen auch die obern Stimmen, nach dieser Formel in die Octave des Grundtones schliessen, als:
Diese Baßcadenz nimmt bisweilen durch Verwechslung des vorletzten Accords, diese Gestalt an:
Die zweyte Hauptform schließt durch die grosse Septime des Grundtones in seine Octave, die vollkommenste Consonanz nach dem Einklang, und hat nächst der vorhergehenden die größte Kraft zur Beruhigung, welche durch das Subsemitonium, das dem letzten Ton vorhergeht, natürlicher Weise erwartet wird. Dieser wird der Name der Discantclausel gegeben, weil die oberste Stimme insgemein so schließt. Sie nimmt bisweilen auch diese, aber weniger kräftige Form an:
Die dritte Form wird die Tenorcadenz genennt, weil diese Stimme insgemein so schließt. Diese stellt die Ruhe nicht vollkommen her, da sie mit der Terz auf höret, und könnte also für sich allein nur einen kleinen Ruhepunkt machen.
Die vierte hat den Namen der Altcadenz bekommen, weil in vielstimmigen Sachen der Alt insgemein im Hauptschlusse diesen Ausgang des Gesanges hat. Für sich selbst würde sie, obgleich die Quinte, womit sie sich endiget, eine vollkommene Consonanz ist, keine würkliche Ruhe, sondern blos einen Auf halt oder Stillstand erweken.
Diese Cadenzen werden in vierstimmigen Gesängen, zum völligen Schluß des Gesanges mit einander verbunden, und daraus entsteht die vollkommenste Art der vielstimmigen Finalcadenz.
Ein vielstimmiger Schluß bekommt die Hauptkraft von den Cadenzen, der beyden äussersten Stimmen, und wird am vollkommensten, wenn diese durch die Baß- und Discantcadenzen schliessen. Von dieser vollkommensten Form kann man auf vielerley Weise abweichen, und dadurch die Ruhe des Schlusses immer unvollkommener machen, je nachdem es die Natur der Cadenz erfodert.
Da selbst die vollkommenste Cadenz, und also um so viel mehr die andern geschwächt werden, wenn der Gesang auf der letzten Note nicht so lange liegen bleibt, bis das Gefühl der Ruhe in etwas bestätiget wird, sondern sogleich auf andre Töne fortschreitet; so entstehet auch daher ein Mittel, eine Cadenz zu schwächen.
Es ist vorher als eine Eigenschaft der Cadenz gesetzt worden, daß der letzte Ton derselben im Niederschlag des Takts, folglich der vorletzte im Aufschlag des vorhergehenden kommen müsse; dieses ist in der That die gewöhnlichste Art, und hat eine Aehnlichkeit mit dem, was man in dem Vers den männlichen Abschnitt4 nennt. Doch giebt es auch Cadenzen, wo diese Ordnung umgekehrt und der vorletzte Ton in den Niederschlag kömmt, als:
Diese kommen mit dem weiblichen Abschnitt des Verses überein. In einigen Tänzen, werden die Finalcadenzen mit diesem weiblichen Ausgang gemacht, der etwas besonderes an sich hat, das sich leicht zu einem scherzhaften Ausdruk anwenden läßt. Ein solcher Schluß gleicht einigermaassen dem plötzlichen Stillestehen mit einem, zum folgenden Schritt schon aufgehobenen, Fusse.
Das Verlangen nach der Ruhe wird lebhafter, wenn sie, nachdem das Gefühl derselben einmal erwekt worden ist, aufgehalten wird. Daher sind bey den Cadenzen verschiedene Arten der Aufhaltungen entstanden, dadurch man den Eintritt des letzten Tones angenehmer zu machen sucht; die Triller, die figurirten Cadenzen und die Orgelpunkte. Von diesem und dem Triller bey der Cadenz ist in den besondern Artikeln darüber gesprochen worden; hier sind also noch die figurirten Cadenzen zu betrachten. Davon giebt Herr Agricola in seinen Anmerkungen über Tosis Anleitung zur Singekunst diese Nachricht. [187] »In den alten Zeiten wurden die Hauptschlüsse – nur so ausgeführet, wie sie dem Takte gemäß, geschrieben werden; auf der mittelsten Note wurd ein Triller gemacht. Hernach fieng man an auf der Note vor dem Triller eine kleine willkührliche Auszierung anzubringen; wenn nämlich ohne den Takt aufzuhalten Zeit dazu war. Darauf fieng man an den letzten Takt langsamer zu singen, und sich etwas aufzuhalten. Endlich suchte man diese Aufhaltung durch allerhand willkürliche Passagen, Läufe, Ziehungen, Sprünge, kurz, was nur für Figuren den Stimmen auszuführen möglich sind, auszuschmüken. – Diese werden itzt vorzugsweise Cadenzen genennt. Sie sollen zwischen den Jahren 1710 und 1716 ihren Ursprung genommen haben.«
Dieses sind also die Cadenzen, in welche sich gegenwärtig, sowol die Sänger als die Spieler, so sehr verliebt haben, daß man glauben sollte, sie singen oder spielen ein Stük nur deswegen, damit sie am Ende ihre Fertigkeit durch die seltsamsten Läufe und Sprünge zeigen können. Es giebt Personen von Geschmak, denen diese Cadenzen äusserst zuwider sind, und die sie mit den Luftsprüngen der Seiltänzer in eine Classe setzen. Selbst der Castrat Tosi, ein Meister der Kunst, scheinet nicht viel günstiger davon zu urtheilen. Allem Ansehen nach aber werden sie, was man auch immer dagegen sagen möchte, gleich andern, zu den Moden gehörigen Dingen, so lang im Gebrauch bleiben, bis ihr fataler Zeitpunkt kommen wird. Herr Agricola hat an dem angezeigten Orte die Gründe für und gegen diese Cadenzen gesammelt, die man daselbst nachlesen kann. Daß übrigens vor dem letzten Ton eines Hauptschlusses eine Aufhaltung von guter Würkung und in der Natur der Sache gegründet sey, kann jeder fühlen. Also verwirft der gute Geschmak diese Cadenzen nicht schlechterdings, sondern mißbilliget nur das Uebertriebene derselben, besonders aber die seltsamen Läufe und Sprünge, die keinen Endzwek haben, als den langen Athem oder die Fertigkeit der Kähle eines Sängers zu zeigen.
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