[1192] Ueberredung. (Beredsamkeit)
Wir machen einen Unterschied zwischen Ueberredung und Ueberzeugung. Jene sezen wir in dem Beyfall, der mehr erschmeichelt, als erzwungen wird. Von der Ueberzeugung ist sie darin unterschieden, daß diese aus unumstößlichen und völlig unzweifelhaften Gründen nothwendig erfolget. Die Ueberredung würket Beyfall und Glauben, die Ueberzeugung unumstößliche Kenntnis der Wahrheit.
[1192] Man kann, ohne sich in tiefe psychologische Betrachtungen einzulassen, aus der Erfahrung annehmen, daß die Menschen sich von jeder Sache, gegen die sie kein Vorurtheil haben, sehr leicht überreden lassen. Wer in Absicht auf die Wahrheit oder Falschheit einer Sache ganz ohne Vorurtheil ist, kann, wie eine im Gleichgewicht stehende Waage, durch jeden scheinbaren Grund überredet werden. Hingegen ist auch der, der durch Vorurtheile gegen eine Sach eingenommen ist, kaum zu überreden,1 es sey denn, daß die Vorurtheile ihm vorher benommen werden.
Also kommt es bey der Ueberredung vornehmlich auf Wegräumung aller vorhandener Vorurtheile gegen die Sache, der man die Menschen bereden will, an. Ist dieses Haupthindernis gehoben, so ist das übrige sehr leicht. Das erste, dessen sich ein Redner zu versichern hat, ist die genaue Kenntnis der Meinungen und Vorurtheile seiner Zuhörer, über die Sache, deren er sie zu überreden hat: eher kann er weder Plan, noch Anordnung für seine Rede machen. Man sieht aber leichte, was für große Kenntnis des Menschen überhaupt, und was für genaue Bekanntschaft mit denen, die man zu überreden hat, hiezu erfodert werden. Wer nicht in die Gemüther feiner Zuhörer hineinschauen, und mit seinen Bliken so gar in die dunkelen Winkel derselben zu dringen vermag, kann nicht sicher seyn, sie zu überreden. Die scheinbaresten Gründe für eine Sache sind ohne Kraft, so lange das Vorurtheil gegen sie ist.
Nur eine gründliche Psychologie kann dem Redner die Mittel an die Hand geben, wie er die Vorurtheile der Menschen erfahren könne, und wie er sie zu heben habe. Mit wenigem läßt sich eine so sehr wichtige und schweere Sache nicht abhandeln: darum können wir uns auch hier in diese Materie nicht einlassen. Wir bemerken nur, daß der Redner sich ein besonderes Studium daraus zu machen habe, die Natur und die verschiedenen Arten der Vorurtheile überhaupt, und die besondere Sinnesart seiner Zuhörer genau zu kennen. Fehlet es ihm hieran, so ist alle seine Bemühung zu überreden vergeblich, es sey denn, daß er ganz freye und uneingenommene Zuhörer habe.
Sezen wir nun voraus, daß die Hindernisse der Ueberredung gehoben sind, so braucht es in der That sehr wenig die Ueberredung zu bewürken. Dieses kann durch zweyerley Wege geschehen. Der eine geht gerade gegen den Zwek, durch Gründe, die die Sache wahrscheinlich machen. Von den Beweisen, Beweisarten und Beweisgründen, haben wir in besondern Artikeln gesprochen. Wir merken hier nur noch an, daß in den Beweisen, die blos Ueberredung bewürken sollen, die Hauptsach auf Klarheit, Sinnlichkeit und Faßlichkeit der Vorstellungen ankomme. Diese Eigenschaften bedeken das Schwache derselben. Wo man sich einbildet eine Sache zu sehen, oder zu fühlen, da braucht man weiter keinen Beweis ihrer Würklichkeit. Man muß also bey diesen Beweisen mehr auf das Anschauen der Dinge, als auf das deutliche Erkennen derselben arbeiten. Gar ofte liegt ein zur Ueberredung schon hinlänglicher Beweis blos in der Art, wie die Sachen vorgestellt, oder in dem Gesichtspunkt, aus dem sie angesehen werden. »Wenn du auch mit Müh und Anstrengung etwas gutes und rühmliches thust (sagte der Philosoph Musonius) so vergehet die Mühe, und das Gute bleibet. Thust du etwas schändliches mit Vergnügen, so ist auch dieses vorübergehend, aber die Schande bleibt.«2 Diese Art gute und böse Handlungen anzusehen, führet schon ohne weiten Beweis auf die Ueberredung, daß man sich jener befleißigen, und daß man diese vermeiden soll.
Höchst wichtig zur Ueberredung ist es, daß die Gründe mit einem Ton der Zuversichtlichkeit, mit Lebhaftigkeit und Würde vorgetragen werden. Denn ofte thut dieser das meiste zur Ueberredung. Der große Haufe, so gar schon ein großer Theil derer, die selbst denken, getraut sich selten an einer Sache zu zweifeln, die mit großer Zuversichtlichkeit und eindringender Lebhaftigkeit versichert wird. Man glaubt die Sache zu fühlen, die, als würklich, mit lebendigen Farben geschildert wird.
Ein anderer Weg zur Ueberredung zu gelangen, besteht darin, daß man die Sache gar nicht beweißt, und sich so gar nicht einmal merken läßt, als wenn der Zuhörer daran zweifeln könnte. Man sezt stillschweigend voraus, das Urtheil des Zuhörers sey der Sache günstig, und spricht so davon, als wenn man blos das, was er selbst davon denkt, vorzutragen habe. Da merkt er nicht, daß man ihn führen will; er glaubt seinen Weg zu gehen, und den Redner blos zur Begleitung bey sich zu haben: und so kann man ihn, da er selbst kein Ziehl hat, und blos dahin zu gehen glaubet, wohin die Phantasie [1193] ihn leitet, unvermerkt dahin führen, wo man ihn haben will.
Man seze, ein Geschichtschreiber erzähle in der Geschichte Peters des I. seine Heyrath mit Catharina. Wann er, ohne die Frage zu berühren, ob es anständig, oder nüzlich sey, daß ein großer Monarch eine Person von niedrigem Stande zur Gemahlinn nehme, und neben sich auf den Thron seze, die Sache dem Ansehen nach blos historisch behandelt, aber mit einiger Lebhaftigkeit sich bey der Erzählung verweilet, um den vortreflichen Charakter der Catharine zu schildern; wenn er erzählt, daß dieser Schritt den Beyfall des Hofes und der ganzen Nation erhalten habe u. d. gl.; so wird kein uneingenommener Leser sich leicht unterstehen, von der Sach anders zu urtheilen, und jeder wird stillschweigend aus diesem Falle sich überhaupt bereden, daß der größte Monarch ohne Verlezung seiner Ehre, ohne Unanständigkeit, aus der niedrigsten Classe seiner Unterthanen, sich eine Gemahlinn wählen könne.
Würde man aber im Gegentheil die Geschichte von der geheimen Vermählung Ludwigs des XIV mit der Maintenon so erzählen, daß man die Bestürzung des Hofes lebhaft schilderte; daß man beschriebe, wie der Minister sich dem König zu Füßen wirft und ihn in pathetischem Tone beschwöhret seinen Thron nicht zu befleken u. d. gl.; so würde bey dem Leser gerade die entgegengesezte Würkung folgen. Er würde nun dafür halten, daß ein großer Herr nichts schimpflicheres thun könne, als eine so ungleiche Heyrath einzugehen. So leicht ist es, das Urtheil der Menschen zu lenken; wenn sie noch nicht eingenommen sind.
Es kommt also bey der Ueberredung nicht sowol auf die Richtigkeit der Beweise, als auf die Lebhaftigkeit womit sie vorgetragen werden, an. Gegen Vorurtheile kommt nicht leicht ein blos wahrscheinlicher Beweis auf, und wo diese nicht sind, da läßt man sich auch durch schwache Beweise, durch bloße Versicherungen, und so gar auch ohne diese, durch Erschleichung bereden. Sehr wichtig ist es dabey daß der Redner die Kunst besize dem Zuhörer in seinem Urtheil vorzugreifen, ohne daß er es merke, und seinen Verstand durch die Empfindung zu lenken. Er muß schlechterdings wissen jede Sache in dem seinem Zweke günstigstem Lichte vorzustellen, und daß Herz dafür zu intreßiren. Es muß aber so natürlich, so gar ohne Zwang geschehen, daß der Zuhörer den Gesichtspunkt, aus dem man ihm die Sache sehen läßt, für den eigentlichsten hält, um die Sache richtig zu beurtheilen. Denn muß Ton und Ausdruk genau auf diesen Gesichtspunkt passen. Was in ein günstiges Licht gestellt worden, muß auch mit den vortheilhaftesten Namen genennt, und mit einnehmendem Ausdruk beschrieben werden: Und was in ein wiedriges Licht gesezt worden, muß auch in einem Ausdruke vorgetragen werden, der ihm angemessen ist. Dieses hat vornehmlich Cicero verstanden, dessen Ausdruk allemal einnehmend, schonend, vergrößernd oder verkleinernd, hart oder sanft ist, nachdem er für, oder gegen eine Sach einzunehmen sucht.