Unterhaltende Rede

[1204] Unterhaltende Rede. (Beredsamkeit)

Eine förmliche Rede wobey man keine höhere Absicht hat, als den Zuhörer über einen Gegenstand angenehm zu unterhalten, und wobey Unterricht und Rührung nur beyläufig vorkommen. Wenn es bey dem allgemeinen und höhern Zwek der schönen Künste andern erlaubt ist, bisweilen blos zu ergözen, so muß man auch der Beredsamkeit dieses nicht verbiethen. Bey der öffentlichen Anwendung der Poesie und der Musik wird gar ofte blos auf angenehme Unterhaltung gesehen. Diese kann auch die Beredsamkeit verschaffen. Aber in unsern Zeiten sind wenig Länder, wo man für diese Kunst Geschmak genug hat, um sie zu dergleichen öffentlichen Unterhaltungen anzuwenden. In Frankreich machen sich doch viele ein großes Fest daraus, eine blos unterhaltende academische Rede zu hören. Es scheinet auch, daß ehedem in Athen und in Rom manche Rede, ob sie gleich einen andern Zwek zu haben schien, von einem großen Theile der Zuhörer blos als unterhaltend angehört worden, und es läßt sich nicht zweifeln, daß nicht in den Odeen der Alten manche blos unterhaltende Rede vor großen Versammlungen gehalten worden.

In Deutschland giebt es noch verschiedene Feyerlichkeiten, bey denen eine unterhaltende Rede einen wesentlichen Theil der Feyer seyn sollte. Wären die Veranstaltungen dazu besser, als sie zu seyn pflegen, so könnten sie vortheilhaften Einfluß auf die Beredsamkeit haben. Man ist aber an viel Orten gegen diese Kunst überhaupt so kaltsinnig, daß ein schlechtes Concert weit mehr Zuhörer anlokt, als die beste öffentliche Rede.

Von dem Hauptcharakter der unterhaltenden Rede, haben wir bereits anderswo gesprochen.1 Ihr Stoff bestehet hauptsächlich in Schilderung interessanter Gegenstände, wobey man weder Unterricht oder Belehrung, noch besondere Rührung zum Zwek hat. Von der Art wären z.B. Lob des Landlebens, oder einer andern Lebensart, Schilderungen der Jahreszeiten; verschiedene Arten der Lobreden auf Personen und Sachen. Was ein blos angenehmes Schauspiehl, ein blos zum Vergnügen gemachtes Gedicht, eine Landschaft u. d. gl. das ist in ihrer Art die unterhaltende Rede, wozu mehr Wolredenheit, als eigentliche Beredsamkeit nöthig ist.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1204.
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