[1208] Verbindung. (Schöne Künste)
Es ist eine wesentliche Eigenschaft der Werke des Geschmaks, daß alle Theile desselben unter einander verbunden seyn:1 jeder darin vorkommende Theil, der wie vom Ganzen, oder von dem, was neben ihm liegt, abgelöset da steht, wird anstößig, weil man nicht weiß, warum er da ist, was er soll, oder wie er auf das vorhergehende folget. Deswegen hat der Künstler bey Erfindung und Zusammensezung seines Werks überall auf die Verbindung aller Theile mit dem Ganzen, oder unter einander, wol Acht zu haben, damit nichts außer dem Zusammenhang mit dem übrigen da stehe.
Jeder Theil aber muß in einer doppelten Verbindung erscheinen; er muß nämlich mit dem Ganzen, und mit den neben ihm liegenden Theilen verbunden seyn. Das erstere hat statt, wenn ein Grund vorhanden ist, warum er als ein Theil des Ganzen erscheinet; das andere, wenn man siehet, oder fühlet, warum er an der Stelle steht, wo man ihn sieht.
Die Sachen in metaphysischem Gesichtspunkt betrachtet, fehlet es nie an Verbindung; denn bey Erfindung und Zusammensezung der Werke des Geschmaks sind allemal Gründe vorhanden, warum jeder Theil in dem Werk erscheinet, und warum er da steht, wo wir ihn antreffen. Die Rede ist aber hier nicht von dieser in metaphysischem Sinne genommenen, sondern von der ästhetischen Verbindung, vermöge welcher wir die Gründe, woraus das Daseyn, und die Stelle jedes Theils erkennt wird, fühlen, so daß wir nirgend Anstoß bemerken, sondern in den Vorstellungen, die das Werk in uns erweket, überall natürlichen Zusammenhang, ohne Lüken, ohne Mangel, und ohne fremde, nicht zur Sache gehörige Theile, empfinden.
Wir erkennen oder empfinden den Zusammenhang der Dinge, entweder durch den Verstand, oder durch die Einbildungskraft, oder durch leidenschaftliches Gefühl, und durch diese drey Mittel verbindet der Künstler die Theile seines Werks; jedes aber begreift wieder mehrere, und oft gar mannigfaltige Gattungen der Verbindung. So verbindet der Verstand Ursach und Würkung, in dem er die Würkung aus der Ursach, oder diese aus jener erkennet; er siehet die Aehnlichkeit, oder Gleichartigkeit mehrerer Dinge, die mancherley Arten der Abhänglichkeit, und der Verhältnisse, und leitet daher ihre Verbindungen. Die Einbildungskraft aber hat noch mehr Arten der Verbindung; denn sie kommt auf unzählbar viel Wegen von einem Gegenstand auf einen andern, darunter mehrere überaus zufällig, aber ihrer flüchtigen Natur immer angemessen sind. Die geringste zufällige Kleinigkeit führet sie ofte auf sehr entlegene Vorstellungen. So haben auch die Empfindungen des Herzens ihren eigenen Gang von einem Gefühl zum andern.
Wir fühlen hier die Gefahr uns in sehr weitläuftige psychologische Bemerkungen einzulassen, und wollen lieber die Seegel einziehen, lieber unvollständig, als schweerfällig, und für die meisten Künstler und Liebhaber langweilig und unbrauchbar sprechen. Darum kommen wir näher zum Zwek dieses Artikels.
Es ist schlechterdings das Intresse des Künstlers, daß die, für welche er arbeitet, in seinem Werk keinen Mangel der Verbindung bemerken. Jeder einzele Theil des Werks muß mit dem Ganzen so verbunden seyn, daß man den Grund erkenne, warum er da ist; wenigstens, daß er nicht fremd, nicht völlig überflüßig, und außer dem Charakter des Ganzen liegend erscheine. Außer dem aber muß auch Verbindung der Ordnung überall statt haben.
Zu beydem gehört Beurtheilung und Ueberlegung; weil es nicht genug ist, daß der Künstler bey Zusammensezung, und im Feuer der Arbeit beyde Arten der Verbindung fühle, sondern auch nachher, bey schon etwas kältern Geblüthe, die Verbindung würklich noch gewahr werde. Es geschiehet gar ofte, daß Gedanken und Vorstellungen sich aus einander entwikeln, und in unsrer gegenwärtigen Gemüthslage auf einander folgen, deren Zusammenhang [1208] wir nachher gar nicht mehr einsehen. Dieses begegnet dem Philosophen, in ganz methodischen Untersuchungen; also muß es bey dem Künstler, der im Feuer der Einbildungskraft, und in Wärme der Empfindung arbeitet, noch weit öfters vorkommen. Kann er selbst aber in solchen Fällen den Zusammenhang seiner Vorstellungen nicht mehr entdeken, so muß dieses natürlicher Weise, andern noch weniger möglich seyn.
Es ist deswegen sehr nüzlich, daß man beym ersten Entwurf eines Werks genau auf das Achtung gebe, was eine Vorstellung mit der andern verbindet, daß man auf Vortheile denke, das Band, das sie verknüpft, auf eine Weise, die dem Feuer der Würksamkeit zu Fortsezung der Arbeit nicht schadet, anzudeuten, um sich desselben nachher wieder zu erinnern. Geschieht dieses, so kann der Künstler bey der Ausarbeitung, da, wo die Verbindung nicht merklich ist, allemal auf Mittel denken, sie merklich zu machen. Es giebt vielerley Mittel auch sehr fremd und entfernt scheinende Beziehungen der Gedanken gegen einander in nahe Verbindung zu sezen, so wie es auf der andern Seite eben so viel giebt, einen sehr natürlichen Zusammenhang etwas fremder und reizender zu machen. Aber sie gehören unter die Geheimnisse der Künstler, die sie selbst nicht gern andern entdeken.
Wir müssen vor allen Dingen anmerken, daß die Verbindungen enger und genauer, oder entfernter; offenbarer und gewöhnlicher, oder verstekter und fremder seyn müssen, nachdem der Charakter des Werks die eine oder die andere Art natürlich macht. Was vom Uebergang angemerkt worden,2 gilt auch hier. Bey Untersuchungen, im lehrenden Vortrag, und überhaupt in den Werken, die für den Verstand gemacht sind, müssen die Verbindungen natürlich, eng und in dem Wesentlichen der Dinge gegründet seyn; weil es sonst dem Werk an Gründlichkeit fehlet. Je bestimmter der Endzwek eines Werks ist, je genauer und bestimmter muß auch die Verbindung aller Theile desselben seyn; denn ein Werk von ganz genau bestimmten Zweke, hat schon einige Aehnlichkeit mit einer Maschine, deren Würkung nicht kann erreicht werden, wenn die geringste Trennung in ihren Theilen statt hat. In Werken, an denen die Einbildungskraft des Künstlers den größten Antheil hat, sind die Verbindungen natürlicher Weise viel freyer, und sie sind es um so viel mehr, je stärker die Einbildungskraft erhizt ist. Ein Werk dieser Art würde kalt oder matt werden, wann der Künstler da auf methodische, und auf innere oder wesentliche Uebereinkunft der Dinge gegründete Verbindungen denken wollte.
Aber diese Materie kann überhaupt hier weder methodisch noch ausführlich behandelt werden; weil das Hauptsächlichste der Kunst, die Wahl der Theile, ihre Anordnung und ein großer Theil der Bearbeitung auf die Art der Verbindung ankommt. Wollten wir hierüber vollständig seyn, so müßten wir den völligen Gang des Verstandes bey Untersuchungen, den vielfachen, mehr oder weniger kühnen Flug der Phantasie, durch die würkliche und durch mögliche Welten, die verborgenen, ofte sehr seltsamen Wege des Herzens in ihren Krümmungen, steilen Höhen, und gählingen Abstürzen vor Augen haben.
Wir können also kaum etwas anders thun, als auf der einen Seite, den Künstler ermuntern in seinem Studiren, und Nachdenken über die Geheimnisse der Kunst, eine besondere Aufmerksamkeit auf die Verbindungen zu wenden, und deren verschiedene Arten und Grade, nach den Charakteren und den verschiedenen Tönen der Werke, so viel möglich ist, zu bestimmen: auf der andern Seite die Liebhaber und Kunstrichter erinnern, daß sie sich bemühen sollen, bey jedem Werke der Kunst, sich so viel möglich in die Gemüthslage zu sezen, darin der Künstler bey Verfertigung des Werks gewesen ist, wann sie nicht in die Gefahr kommen wollen, ein falsches Urtheil über die Verbindungen zu fällen, oder ohne Noth Anstoß in dem Werk zu finden.
Es giebt leichte, sehr faßliche, schweere und scharfsinnige, natürliche und phantastische, comische und ernsthafte, entfernte und nahe, wesentliche und zufällige, und noch gar viel mehr Arten der Verbindung, deren jede nach dem Charakter und Ton des Werks gut oder schlecht ist. Die einzige praktische Anmerkung, die wir hier machen können, ist diese: daß der Künstler, der sich vorgenommen hat, sein Werk bis zur Vollkommenheit zu bearbeiten, es ein oder ein paar male blos in Absicht die Verbindungen zu beurtheilen, genau durchzusehen habe. In Ansehung der Verbindung jedes einzelen Theiles mit dem Ganzen haben wir an einem andern Orte dem Künstler die Regel gegeben, daß er in Beurtheilung seines Werks bey jedem Theile stehen bleibe, um ihn zu fragen, warum bist du da, und wie erfüllest [1209] du deinen Endzwek? hast du den Ort, der dir zukommt? u.s.f. Dieses stellt ihn vor der Gefahr sicher, Dinge zuzulassen, die außer Verbindung mit dem Ganzen sind. In Ansehung der Verbindung eines Theils mit dem andern kann er ähnliche Fragen aufwerfen: wie folgest du auf das vorhergehende? wie hängst du mit dem folgenden zusammen? Wird der, für dem das Werk gemacht ist, ohne Anstoß und Zwang diese Vorstellung nach der vorhergehenden annehmen, und völlig fassen? u.s.w. Braucht der Künstler diese Vorsicht, so wird er auch entdeken, ob die Verbindungen überall nach dem Charakter des Werks richtig seyen, oder nicht.
Wie überhaupt in der Natur alles genau zusammenhängt, so hat auch das menschliche Gemüth einen natürlichen Hang in seinen Vorstellungen durch Stufen, nicht durch Sprünge von dem einem zum andern zu kommen. Wir lieben nach merklicher Hize nicht plözliche, sondern allmählige Abkühlung. Findet der Künstler es seiner Absicht gemäß, sehr entfernte, oder gar entgegengesezte Dinge nah an einander zu bringen, so muß er auch besorgt seyn, solche Dinge dazwischen zu sezen, die den schnellen Uebergang erleichtern. Und darin zeiget sich meistentheils der Unterschied zwischen dem Künstler von wahrem Genie, und dem der ohne dasselbe nach Kunstregeln arbeitet. Am deutlichsten sieht man dieses in der Musik, wo große Harmonisten, auf eine gar nichts hartes habende Weise schnell in sehr entfernte Töne gehen können, wobey andere allemal hart, und dem Gehör anstößig werden.
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