[1228] Versezungen. (Redende Künste)
Es giebt auch in ausgebildeten Sprachen, die schon festgesezte Regeln der Wortfügung haben, allemal noch viel Redesäze, wo die Ordnung der Wörter ohne Veränderung des Sinnes, verändert werden kann. Haller sagt von der Jugend:
Der Wollust sanfte Glut wärmt ihr die Adern auf,
Kein Einfall von Vernunft hemmt ihrer Lüste Lauf.
Der Sinn dieser beyden Redesäze ist völlig derselbe, wenn die Worte so gestellt werden:
Die sanfte Glut der Wollust wärmt ihr die Adern auf
Ihrer Lüste Lauf hemmt kein Einfall der Vernunft.
oder so:
Ihr wärmt die sanfte Glut der Wollust die Adern auf
Den Lauf ihrer Lüste hemmt kein Einfall der Vernunft.
Veränderung der Ordnung der Worte, werden Versezungen genennt. Es giebt aber Versezungen, die den Sinn ändern. Wenn der erste der angeführten Verse so versezt würde:
Wärmt der Wollust sanfte Glut ihr die Adern auf so würd es dem Saz seine absolut bejahende Bedeutung benehmen, und ihn zu einer Frag, oder zu einem bedingten Saze, Wenn ihr die Wollust etc. machen. Andere Versezungen aber ändern den Sinn nicht, sie geben ihm nur eine verschiedene Wendung. Derselbe Gedanken bekommt in dieser Stellung
Der Wollust sanfte Glut wärmt ihr die Adern auf eine andere Wendung, als in dieser:
Die Adern wärmt ihr die sanfte Glut der Wollust auf. Nach der ersten Wortfügung ist die Wollust, der Hauptbegriff, auf den es hier ankommt; und der Sinn ist so gewendet, daß man zuerst die Ursache, denn ihre Stärke, und zulezt ihre Würkung sich vorstellen muß. Nach der andern wird die Würkung, als die Hauptsache zuerst vorgestellt, hernach ihre Ursach angezeiget.
Dergleichen Versezungen haben aber nur statt, in so fern sie den grammatischen Regeln der Wortfügung nicht entgegen sind; denn wenn sie dieses wären, so würden sie anstößig seyn. Man kann, ohne barbarisch zu reden, anstatt: Gestern ist er bey mir gewesen, nicht sagen: bey mir gestern ist er gewesen, wol aber, er ist gestern bey mir gewesen.
Ungrammatische Versezungen sind überall zu vermeiden; weil sie in jeder Rede dem Ohr anstößig werden. Aus den Versezungen aber, die ohne Verwirrung des Sinnes, und ohne Beleidigung des Gehörs können vorgenommen werden, ziehen die redenden Künste so große und so mannigfaltige Vortheile, daß eine Sprache zur Beredsamkeit und Dichtkunst um so viel tauglicher ist, je mannigfaltigere Versezungen sie zuläßt.
Es giebt Versezungen die blos den Wolklang befördern, einen Saz leicht und wolfließend, und eine ganze Periode wolklingend machen.
Auch wird oft ein Redesaz blos durch Versezung zum Vers, ohne sonst irgend einen andern Ton, oder eine andere Wendung anzunehmen. Es ist dem Sinne nach vollkommen gleichgültig zu sagen: Jeder bringt den Mutterwiz auf die Welt; der Schulwiz wird nur durch Bücher gegeben, oder:
Den Mutterwiz bringt jeder auf die Welt,
Der Schulwiz wird durch Bücher nur gegeben.
Andremale dienen sie zum Nachdruk und zur Lebhaftigkeit der Rede:
Was wahre Tugend ist, wird nie der Pöbel kennen. ist weit lebhafter, als dieses: Der Pöbel wird nie kennen, was wahre Tugend ist.
Bisweilen geben sie der Rede den feurigen, oder feyerlichen poetischen Ton, der uns mit großem Nachdruk rühret. Hagedorn sagt im Ton der edelsten Begeisterung:
Verlohren ist der Tag und schändlich sind die Stunden
Die, wenn wir fähig sind, Bedrängten beyzustehn,
Beym Anblik ihres Harms uns unempfindlich sehn.
Ein großer Theil der Kraft würde diesem Saz entgehen, wenn man mit denselben Worte sagte: Der Tag ist verlohren, und die Stunden sind schändlich, die uns, wenn wir fähig sind u. s. w.
Blos in den Versezungen liegt so mannigfaltige und so wichtige ästhetische Kraft, daß es der Mühe werth wäre, die Beyspiehle davon zu sammeln. Denn anders ist es nicht wol möglich, weder die [1228] verschiedenen Arten derselben anzuzeigen, noch ihre Würkungen zu erkennen.
Wir würden diese Sammlung etwa nach dieser Eintheilung ordnen. 1. Versezungen, deren Würkung sich blos auf Wolklang erstrekt. 2. Die zur Deutlichkeit des Sinnes, oder zur Kürze dienen. 3. Die dem Ton der Rede einen gewissen Charakter geben. 4. Die den Nachdruk verstärken, und das Leidenschaftliche der Red fühlbarer machen.
Es ist offenbar, daß für redende Künste die Sprach, die die meisten Vorzüge hat, zu allen Arten der Versezungen die biegsamste ist. Wenn unsre Sprache der Griechischen und Lateinischen hierin nicht gleich kommt, so stehet sie doch nicht leichte einer der izigen europäischen Sprachen nach. Aber diese Materie ist an sich so schweer, so weitläuftig, und für unsre Sprache besonders so wenig bearbeitet, daß ich mir nicht getraue ihre Behandlung hier vorzunehmen.