Peruanische Religion

[376] Peruanische Religion. In frühesten Zeiten scheinen die Bewohner des Reiches Peru, welches Manko Kapak, der erste Inka, als sein Reich antrat, dem gröbsten Fetischismus ergeben gewesen zu sein. Sie hatten nur Eine höchste Gottheit, die Mutter Aller, Mama Kocha, welcher man wilde Thiere, Pflanzen, aber nach Kriegen auch die Kriegsgefangenen opferte; den Peruanern war das Verzehren der Leichname gefallener oder geopferter Feinde eine heilige Sitte. - Eine grosse Wasserfluth hatte ihr Land überschwemmt, und eben nach derselben kamen Manko Kapak und seine Gemahlin, Mama Oëllo, die Kinder der Sonne, aus einem fernen Lande an die Ufer des See's Titikaka, baueten dort die Stadt Kuzko, baueten hundert Dörfer, versammelten das übrig gebliebene Volk in denselben, und gaben diesem Gesetze und heilige Lehren, welche bis zur Ankunft der Spanier auf das Treueste bewahrt wurden. - Das höchste Wesen der späteren Peruaner hiess Pachakamak; es war der Schöpfer alles Vorhandenen, auch Schöpfer der Sonne, und diese war nur sein sichtbarer Stellvertreter auf Erden, ihr ward daher auch göttliche Verehrung erwiesen, der Gott selbst aber war über die Opfer der Sterblichen erhaben. Auch der Mond und die Gestirne erschienen als heilige Wesen und hatten Tempel, gleich der Sonne, nur von minderer Pracht, indem in ihnen alles von Silber war, was an Verzierungen im Sonnentempel von Gold gemacht war. Auf die Himmeslichter und die durch sie geordneten Jahreszeiten bezog sich der ganze Gottesdienst der Peruaner; alle religiösen Feste waren der Sonne in ihren verschiedenen Standpunkten gewidmet. Es gab männliche und weibliche Priester; von den letztern, den Sonnenjungfrauen, zweierlei: die höhern, allein aus dem Inkastamme, mussten ihr ganzes Leben der Sonne widmen, und es waren ihrer in mehreren Klöstern bis zu 1500 versammelt; überaus heilig gehalten, mussten sie Ehre und üppigen Reichthum mit völliger Verzichtung auf irdische Liebe bezahlen; wenn eine verführt würde - hiess das harte Gesetz - sollte sie lebendig begraben, ihr Geliebter gehangen, die ganze Familie desselben und die sämmtlichen Einwohner der Stadt, welcher er angehörte, hingerichtet, und diese selbst völlig zerstört werden; doch ist in der ganzen Geschichte von Peru kein solcher Fall bekannt. Die zweite Art der Dienerinnen der Sonne lebte nicht, wie diese, in oder zunächst der Hauptstadt Kuzko, sondern in den Provinzen des Reiches, gehörte nicht dem Inkastamme an, sondern wurde aus allen Ständen gewählt; die einzigen Bedingungen ihrer Aufnahme waren: ausgezeichnete Schönheit und völlige Reinheit; aus dem Kreise dieser Jungfrauen wählten die Inka's ihre Gesellschafterinnen, denn ihnen war die Bewahrung der Keuschheit nicht zur Pflicht gemacht. - Die Pracht und der Reichthum der Tempel war unglaublich, es strotzte alles von massiven Goldmassen; der dritte Theil aller Kriegsbeute floss in den Tempelschatz und diente zur Erhaltung und Vermehrung der Pracht, so wie zur Ernährung der Priester, welche alle vom Inkastamme waren (der Oberpriester musste stets der nächste Verwandte des Königs sein). Die Opfer, welche man brachte, bestanden aus allerlei Thieren, aus deren Eingeweiden die Priester weissagten und deren Leib den Priestern gehörte, ferner in kostbaren Metallen, in Feld- und Gartenfrüchten, und endlich nach jedem Kriege in den Gefangenen. Als der grausame Pizarro nach Peru kam, wurden die unermesslichen Schätze durch die Spanier fortgeschafft, und die schönen Töchter der Inka's, die keuschen Sonnenjungfrauen, wurden eine Beute der frechen, zügellosen Krieger.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 376.
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