Venus

Fig. 289: Venus
Fig. 289: Venus
Fig. 290: Venus
Fig. 290: Venus
Fig. 291: Venus
Fig. 291: Venus
Fig. 292: Venus
Fig. 292: Venus
Fig. 293: Venus
Fig. 293: Venus
Fig. 294: Venus
Fig. 294: Venus

[441] Venus, griechisch Aphroditê (Gr. u. röm. M.). Der Name Aphrodite ist ungriechischen Ursprungs und gehört vielleicht der phönicischen Sprache an; denn nach Herodot kam der Dienst dieser Göttin aus Ascalon in Syrien, wo sie als grosse Göttin verehrt ward, nach Cyprus, Cythera und Sicilien. Diess sind insgesammt Inseln, auf welchen in uralter Zeit die Phönicier bei ihren Handelsreisen Niederlassungen gegründet hatten, und somit ist die ursprüngliche Aphrodite nichts Anderes, als die grosse weibliche Natur-Gottheit aller vorderasiatischen Völker, die uns unter so vielen Namen bekannt ist (Astarte, Mylitta, Alitta, Anaïtis, Cybele, Isis). Da diese Völker aber alle im Wesentlichen nur Ein oberstes männliches und Ein weibliches Wesen verehrten, so war natürlich ihre vielarmige Allmutter immer auch Königin des Himmels, und diess ist daher der Ursprung des Beinamens Urania (die Himmlische), den Aphrodite schon aus Asien nach Griechenland mitbrachte, und den erst später Philosophen, wie Plato, mit willkürlicher Umdeutung als Bezeichnung einer Göttin der himmlischen, reinen, unsinnlichen Liebe, zum Unterschiede von einer Göttin niedriger Geschlechtslust, gebrauchten. Den Völkern selbst, bei welchen sich der Aphrodite-Dienst zuerst entwickelte, war natürlich eine solche Unterscheidung vollkommen Fremd; die himmlische Göttin von Ascalon war eine Göttin der Fortpflanzung und Zeugung, welcher Tauben und Fische als besonders fruchtbare Thiere geweiht waren, und, weil[442] das Wasser Bedingung alles Wachsthums ist, Beziehung zu diesem gegeben wurde. Theils darum, theils weil der Aphrodite-Dienst über das Meer zu ihnen gekommen war, nannten die Griechen Aphrodite die aus dem Meeresschaum Geborene (aphros, Schaum, und dyô, tauchen) Davon spricht Hesiod und ein homerischer Hymnus; Homer in der Ilias und Odyssee weiss hievon nichts, sondern ihm ist Aphrodite eine Tochter des Zeus und der Dione. Dione aber ist von Einer Wurzel mit Zeus (Genitiv Dios) und Jupiter (Diupiter), und daher wieder die Himmelsgöttin, wie auch Aphrodite selbst zuweilen Dione genannt wird. Noch Cicero nennt sie eine Tochter des Cölus und der Hemera, d.h. des Himmels und des Tages. - In der griechischen Volksreligion ist Aphrodite die Göttin der Liebe, der Schönheit, der Anmuth. Als solche ist sie selbst die schönste der Göttinnen, der desshalb auch Paris den Preis der Schönheit mit Recht ertheilte. - In der Ilias ist sie noch nicht Gemahlin des Vulcan, sondern erst in der Odyssee, wo sie, ihrem Gatten untreu, mit Mars buhlt, vom Sonnen-Gott verrathen, von Vulcan mit Zaubernetzen in der Umarmung mit Mars umstrickt, und so allen Göttern vorgezeigt wird. Im trojanischen Krieg steht sie auf der Seite der Troër und schützt besonders den Aeneas, Paris und Hector. Ersterer ist ihr Sohn von Anchises, zu welchem ihr Jupiter selbst liebendes Verlangen eingeflösst hat. Als sie einst dem Aeneas im Gefechte beistehen wollte, wurde sie von Diomedes an der Hand verwundet; weinend flieht sie nach dem Olymp, aber Jupiter erwidert lächelnd auf ihre Klagen, dass Schlachten nicht der Schauplatz ihres Wirkens seien. - Dem Anchises gebar sie ausser Aeneas den Lyrus oder Lyreus; dem Adonis den Golgus und die Beroë; aus der Doppelehe mit Mars und Adonis den Priapus, oder diesen auch von Jupiter oder von Bacchus; von Mercur den Hermaphroditus; von Butes, Teleons Sohn, den Eryx; von Neptun die Rhodos. - Geheiligt sind ihr die Myrte, die Rose, der Apfel, der Mohn, die Linde, der Sperling, die Taube, der Schwan, die Schwalbe, der Wendehals, der Delphin, die Schildkröte, der Bock; der Planet V. und mit ihm der Freitag; der Monat April; die Zahl sechs. Als Siegerin über alle Herzen erscheint sie mit den Attributen des Mars: Helm, Schild, Lanze, Schwert, und trägt die Victoria, wie Jupiter, auf der Hand. - Als ihre wichtigsten Beinamen vergleiche man die Artikel Callipygos, Apaturia (unter Apaturien), Anadyomene, Pandemos. - Der italische Name V. kommt von demselben Wortstamm her, wovon venire, kommen, hervorkommen, wachsen, und bezeichnete zuerst eine Göttin der Gartengewächse, denn man hat noch eine Stelle, worin Neptunus, V., Ceres für Fische, Gemüsse und Brod gebraucht werden. Wann diese alt-italische Göttin in Rom öffentlich verehrt zu werden angefangen habe, ist gänzlich unbekannt, während wir die Nachricht haben, für V. habe es zu Rom unter der Herrschaft der Könige weder einen lateinischen, noch einen griechischen Namen gegeben. Ebenso unbekannt sind die Gründe, welche die Römer bewogen haben, in der griechischen Aphrodite ihre V. wieder zu erkennen, und diejenige Vermengung der beiden Göttinnen vorzunehmen, von welcher die römische Literatur und die Kunstdenkmäler Zeugniss geben, und die so stark war, dass in der That die italische V. vor der griechischen Aphrodite gänzlich verschwunden ist. Besonders beliebt wurde in Rom der Mythus von V. als Mutter des Aeneas, und von Aeneas als Gründer einer troïschen Colonie in Italien, welche Bedingung des Entstehens von Rom gewesen sei, so dass Aeneas als Stammherr, V. als Stammutter des römischen Volks überhaupt, und (da dem Aeneas ein Sohn Julus zugeschrieben wurde) des julischen Geschlechts insbesondere galt, wesshalb dann Julius Cäsar, der auch eine bewaffnete V. als Siegel gebrauchte, der V. Genitrix (Ahnfrau) einen besondern Tempel erbaute. - Mit welcher Liebe die bildende Kunst sich der Darstellung der V. hingab, ist bekannt genug; es bildeten sich gewisse Grundzüge dafür aus, ein eigener Venus-Typus. - Von den berühmtesten V.-Bildern des Alterthums, wie von Praxiteles, Scopas, Apelles, ist uns zwar nichts erhalten; demungeachtet besitzen wir noch köstliche Ueberreste, in denen man mehr oder weniger gelungene Nachbildungen jener höchst vollkommenen Originale erkennen darf.

Unsere Abbildungen zeigen: Fig. 289: Venus-Statue von der Art derer, welche mehrere Alterthumsforscher als die wahren eigentlichen Copien der cnidischen Venus des Praxiteles ansehen, und zwar aus dem Grunde, weil eine ähnliche Figur auf zwei Medaglions der Cnidier sich findet. Diese Statue hat kaum halbe Lebensgrösse und stand vormals in der Villa Borghese. Die Nacktheit der Göttin ist hier noch motivirt durch die Ablegung des Gewandes zum Bade, was man später nicht mehr nöthig fand, da die Darstellung des vollendeten sinnlichen Liebreizes mehr und mehr die Hauptaufgabe der vom alten Tempeldienst sich emancipirenden Kunst wurde. Dahin gehört also sogleich die berühmte mediceische Venus, Fig. 290, ein Werk des Cleomenes aus Athen, im Allgemeinen auch noch Nachbildung der cnidischen; Fig. 291 gibt eine Ansicht von einer Venus-Statue in Florenz, die als Venus Urania und als Nachbildung der coïschen Venus des Praxiteles galt; Fig. 292 Venus Callipygos, Statue des Museo Borbonico in Neapel; Fig. 293 Capitolinische Venus; Nachbildung der cnidischen mit einem gewissen individuellen Charakter, im Musée français; Fig. 294 die sich im Bade schmiegende Venus; Museo Pio-Clementino.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 441-443.
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