Johann Friedrich Reinecke

[152] Johann Friedrich Reinecke. Dieser große Schauspieler der Deutschen war der Sohn eines Rechtsgelehrten, und wurde um das Jahr 1745 zu Helmstadt geboren. Das üble Vernehmen, in dem er immer mit seinem ältern Bruder (einem bekannten Abenteurer, der in der Folge als Doctor der Heilkunde erschien, und den man neuerlich sogar für den durch seine Beschreibung des Cancasus berühmt gewordenen Jacob Reineggs gehalten hat) stand, verbitterte ihm den Genuß der frohen Tage des Knabenalters, und machte endlich selbst den Vorsatz in ihm rege, sich von den Seinigen zu entfernen. Er führte in seinem vierzehnten Jahre diesen Entschluß aus, verließ heimlich das Haus seines Vaters, und wanderte, ohne Geld und ohne einen Plan zu haben, nach Hamburg zu. Vom Hunger gequält, sprach er einen Muller, den er in den ersten Stunden seiner Flucht antraf, um Nahrung an. Den Müller rührte das ehrliche Gesicht des bedrängten Knabens; er nöthigte ihn in seine Wohnung, reichte ihm Brot und Milch, verließ ihn aber, seiner Beschäftigungen wegen, mehrere Mahle. Reinecke erblickte die an der Wand hangende silberne Taschenuhr seines Wirths; und sogleich dachte er sich die Vortheile, die ihm ihr Besitz in seiner gegenwärtigen Lage gewähren würde. Aber seine Tugend siegte; er sprang, da er fühlte, daß jener Gedanke sich seiner bemächtigte, hastig auf, und entfernte sich, ohne Abschied von seinem Wohlthäter zu nehmen, so schnell er konnte. Durch Fuhrleute, auf die ihn sein Glück weiter hin treffen ließ, wurde er nach Hamburg mitgenommen, wo er gleich nach seiner Ankunft in einem Bäckerladen um ein Brot bat, das er nur geliehen haben wollte, und das er, sobald als er nur Geld besitzen würde, zu bezahlen versprach. Auch hier fand er durch seine offene, unschuldige Miene Eingang; der Bäcker nahm ihn mit dem Versprechen auf, ihn so lange bei sich zu behalten, bis er von seinen angeblichen Anverwandten eine nähere Nachricht bekommen haben würde. Ein Einfall dieses seines Wohlthäters entschied nun mit einem Mahle über seine künftige Bestimmung. Der Bäckermeister entschloß sich eines Tages, ihn mit sich in die Comödie zu nehmen. Der junge Reinecke, der noch kein Schauspiel gesehen hatte, wurde hier gleichsam in eine andere Welt versetzt, und plötzlich faßte er den Entschluß, ein Acteur zu werden. Schlaflos trachte er unter beständigen Rückerinnerungen an[152] das Theater die folgende Nacht zu; und kaum konnte er den folgenden Morgen erwarten, um sich nach dem wohlgemerkten Hause zu verfügen. Er kam auch wirklich, erkundigte sich nach den Directeur, trug diesem seine Wünsche vor, und wurde endlich auch, da man ihn zu diesen und jenen Verrichtungen auf dem Theater oder auch als Laufpursche brauchen zu können hoffte, angenommen. Hier blieb er nun, ungeachtet der rauhen Behandlungen, die er zuweilen erfuhr, doch mehrere Jahre. Endlich hieß ihm das erwachende Selbstgefühl ein anderes Engagement suchen; er ging von Hamburg/ weg, spielte bei mehrern Truppen, und bildete immer mehr seine großen Talente aus. Reinecke hatte schon einen gewissen Ruf, als er bei der Leppertschen Gesellschaft, wo er seine Gattin kennen lernte, bei der Seilerschen Truppe, und das zweite Mahl in Hamburg, seiner ersten Schule, sich befand; aber die Periode seines Ruhms begann, als er zu der Bondinischen Gesellschaft nach Dresden und Leipzig kam. Die Freundschaft, welche er in Leipzig mit dem verdienstvollen Schocher errichtete, wurde für ihn sehr vortheilhaft. Er studirte bei diesem großen Declamator nicht nur die Declamation, sondern legte auch durch ihn den so genannten Helden- und Staatsactionen - Gang und Ton ab, den er damahls noch sehr zu lieben pflegte. – War er übrigens in den Liebhaberrollen weniger glücklich, so erschien er um so größer in den hohen Charakteren der Tragödie und Comödie; diese waren auch sein eigentliches Fach, ob er gleich vorher ausschließungsweise das Fach launiger und zärtlicher Alten gehabt hatte, und zum Theil auch noch beibehielt. Ungemein wurde sein Spiel durch die erhabene Schönheit, die ausdrucksvolle Bildung, die männliche, sonore Stimme, die ihm die Natur gegeben hatte, erhöht. Als Graf von Essex, als Otto von Wittelsbach war er unnachahmlich groß; und das höchste Mitgefühl, das größte Entsetzen wußte er bei seinem Fluche als König Lear zu erregen. Als Odoardo in Emilia Galotti, als Beverley, als Schlensheim, als Graf Woldmar im Deutschen Hausvater, als Constantin im Julius von Tarent, als Oberförster in den Jägern schwebt er gewiß noch allen denjenigen vor, die ihn als Schauspieler glänzen sahen. Er starb allgemein geliebt und beweint zu Dresden den 1. Octobr. 1787 als Regisseur der Bondinischen Gesellschaft.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 152-154.
Lizenz:
Faksimiles:
152 | 153 | 154
Kategorien: