[247] William Shakespeare wurde den 23. Apr. 1564 zu Stratfort in Warwitshire geboren; sein Vater, ein wohlhabender Wollhändler, führte, kraft einer förmlichen Urkunde, wegen der Verdienste einiger seiner Ahnen und wegen seiner Heirath in eine angesehene Familie, [247] ein adeliches Wapen. In der Schule des Wohnorts seines Vaters, dessen Gewerbe er vermuthlich trieb, konnte unser Shakespeare wenig lernen. Im 17. Jahre schon verheirathet, floh er ungefähr 1584 nach London, weil er, wie man erzählt, mit einer berüchtigten Gesellschaft junger Leute den Thiergarten eines benachbarten Edelmanns bestohlen hatte: welches aber eben so wenig, als daß er, um etwas zu verdienen, denen, die ins Schauspiel ritten und keine Bedienten hatten, die Pferde bis nach Endigung des Schauspiels gehalten, erwiesen ist. Auch unbewiesen ist die Sage, daß er zuerst beim Theater ein Aufwärter des Einhelfers geworden; wahr ist es aber, daß er als Schauspieler ganz unbedeutende Rollen, in seinen eignen Stücken zum Beispiel den Adam in: Wie es euch gefällt, den Dunkan im Macbeth etc. erhalten hat. Heinrich IV. und VI. und der Geist in Hamlet waren seine besten Rollen. Mangel an Schauspielertalent und Abneigung gegen die damahlige pomphafte, eintönige Declamation mögen wohl an den geringen Fortschritten Shakespeares in der darstellenden Schauspiel-Kunst Schuld gewesen sein. Durch seinen Landsmann Thomas Green, einen damahls sehr berühmten Schauspieler, wahrscheinlich zum Theater gebracht, ward Shakesp. 1591 dramatischer Schriftsteller. Königin Elisabeth und Jacob I. begünstigten ihn sehr, und von Letzterm erhielt er auch die Freiheit, eine Bühne zu errichten. Er starb an seinem Geburtstage 1616 zu Stratfort, wohin er sich drei Jahre vor seinem Tode, nachdem er die Laufbahn als Dichter und Schauspieler verlassen, begeben hatte, und wo er im Chor der Hauptkirche begraben liegt; hinterließ auch, außer einem ansehnlichen Vermögen in liegenden Grundstücken, den Ruhm eines edlen, moralischen Menschen. Erst im Jahr 1741 wurde ihm in der Westmünster-Abtei zu London ein ihm würdiges Denkmahl durch Subscription errichtet: in alter Tracht als bejahrter Mann steht er, erhabenen melancholischen Ernst auf dem Gesichte, an einen Altar gelehnt, und zwingt den Beobachter, bei diesem Kenner des menschlichen Herzens mit Ehrfurcht zu verweilen. Garrick stellte 1769 ihm zu Ehren eine Jubelfeier an, die in ihrer Art einzig zur Verherrlichung Shakesp. berechnet war, [248] und deren nähere Umstände man in Archenholz England, 2. Th. S. 487, und im Taschenbuch für die Schaubühne 1779 genau aufgezeichnet findet.
Ohne gelehrt zu sein – denn Shakesp. konnte wenig Latein und Griechisch, so wenig wie die neuern damahls cultivirten Sprachen, die Italiänische und Spanische – war er belesen, und mit der Mythologie sowohl, als mit den Sitten und Gebräuchen, sehr bekannt. Er besaß viel Urtheilskraft, welches die Haltung seiner Charactere und die Oeconomie der Empfindungen, die er erregte, beweist; und wo er dieß minder zeigte, da gab er dem rohen Geschmacke seiner Zeit nach: wie er sich auf der einen Seite zu dem herrschenden Geschmacke seiner Zeit herabließ, so zog er ihn auf der andern zu sich in die Höhe und veredelte ihn. Mit vollem Recht nennt man ihn daher den Schöpfer der Englischen Schaubühne, die vor ihm ganz elend war; in seinen Schauspielen bildet er eine eigne Welt, ein zusammengehörendes für sich bestehendes Ganze, das bis auf alle kleinere Theile ausgezeichnet ist, aber wo alle diese noch so sonderbar, noch so heterogen scheinende Theile nur ein einziges Stück ausmachen. Eine einzelne Hauptempfindung beherrscht bei ihm jedes Stück, und durchströmt es, wie eine Weltseele. Alles wird immer aufgeboten, aber nur zu einem Ganzen: im Lear zu einem Vater-und Kinder-, Königs- und Narren-, Bettler- und Elend-Ganzen (vermuthlich hat Shakesp. hierzu den Stoff aus einer alten Chronik und aus alten Balladen genommen, worin dieses Königs und seiner Töchter Geschichte enthalten ist, die sich i. J. d. W. 3105 zugetragen haben soll); im Othello nur eine Leidenschaft, aber lebendige Geschichte der Entstehung, des Fortgangs, Ausbruchs und traurigen Endes der Leidenschaften dieses Unglücklichen; im Macbeth ein unnennbares Ganze, eine Schicksals-, Königsmords-und Zauber-Welt. – Daher sind Shakesp. Schauspiele im strengsten Verstande weder Trauerspiele, noch Lustspiele, sondern Werke ganz eigner Art.
In dem Schauspiel-Hause the Globe, welches ein sechseckiges Gebäude um einen Hof herum war, das ungefähr 1200 Personen faßte, wurden Shakesp. Stücke gegeben. Der Hof stellte das Parterre vor, und man [249] spielte damahls bei Tage gewöhnlich von 1 bis 3 Uhr; auf dem Dache war während der Vorstellung eine Fahne ausgesteckt; die Kritiker und Schöngeister ließ man aufs Theater, sie saßen mit dampfenden Tabakspfeifen auf Stühlen, oder auf der Erde1. Aus dem Prolog zum vierten Aufzug Heinrichs V., wo der Dichter die Zuschauer bittet, mit dem unwürdigen Theaterprunk vorlieb zu nehmen, und das Fehlende durch die Phantasie zu ersetzen, läßt sich auf den schlechten Zustand der Maschinerie und der Garderobe des damahligen Theaters schließen. Die Zimmer im Hintergrunde auf der Bühne theilte man nur durch Vorhänge ab, und wenn der Ort verändert werden sollte, wurde nur anderes Geräthe herbei gebracht. Man findet in alten Englischen Schriftstellern auch Spuren, daß die Aufführung eines Trauerspiels nur durch schwarze Umhänge der Bühne, und die Veränderung der Oerter allein durch Ueberschrift ihrer Namen angedeutet wurden. Die Musik vor den Schauspielen und zwischen den Aufzügen bestand aus fünf oder sechs blasenden Instrumenten. Zu Shakesp. Zeiten betrat noch kein Frauenzimmer die Englische Bühne, sondern alle weibliche Rollen wurden von Mannspersonen vorgestellt. Sir William DʼAvenant war der Erste, der Schauspielerinnen auftreten ließ. Gewöhnlich leitete ein Pantomimenspiel, welches die zu erwartende Begebenheit vorstellte, jeden Act in den ältern Englischen Schauspielen ein.
Wir bemerken hier die muthmaßliche Zeitfolge der Shakespeareschen Schauspiele, wie sie von Malone bestimmt und in die Johnson Steevensche Ausgabe von 1778 eingerückt worden sind. Die mit * bezeichneten können nicht mit Gewißheit Shakesp. zugeschrieben werden, wenn sie gleich unter seinem Namen herumgehen. 1) * Titus Andronicus, 1589; 2) der Liebe Mühʼ ist umsonst, und 3) K. Heinrich VI. 1. Th. 1591; 4) dessen 2. Theil, und 5) dessen 3. Theil, 6) * Perikles, 1592; 7) * Lokrin, und 8) die beiden Veroneser, 1593; 9) das Wintermährchen, 1594; [250] 10) ein Sommernachts-Traum, und 11) Romeo und Julie, 1595; 12) die Irrungen, 13) Hamlet, und 14) K. Johann, 1596; 15) K. Richard II., 16) K. Richard III., und 17) K. Heinrich IV. 1. Th. 1597; 18) der Kaufmann von Venedig, 19) Ende gut, alles gut, 20) * Sir John Oldcastle, und 21) Heinrich IV. 2. Th. 1598; 22) K. Heinrich V. 1599; 23) * die Puritanerin, 24) Viel Lärm um Nichts, und 25) Wie es euch gefällt, 1600; 26) die lustigen Weiber von Windsor, und 27) K. Heinrich VIII., 1601; 28) * Leben und Tod Lord Cromwells, und 29) Troilus u. Kressida, 1602; 30) Gleiches mit Gleichem, 1603; 31) Cymbelin, 1604; 32) * der Londonsche Verschwender, und 33) König Lear, 1605; 34) Macbeth, und 35) die Zähmung einer Widerbellerin, 1606; 36) Julius Cäsar, 1607; 37) * ein Trauerspiel in Yorkshite, und 38) Antonius und Kleopatra, 1608; 39) Coriolan, 1609; 40) Timon von Athen, 1610; 41) Othello, 1611; 42) der Sturm, 1612; 43) der heilige Dreikönigs-Abend, oder: Was ihr wollt, 1614. Rechnet man die 7 zweifelhaften Stücke ab, so bleiben doch noch 36 echte. – Unter einer Menge von Ausgaben der Shakespeareschen Schauspiele, die einzeln schon bei seinen Lebzeiten, wahrscheinlich nach erschlichenen Copien und also sehr fehlerhaft, nach seinem Tode aber in ganzen Sammlungen aller seiner dramatischen Producte herauskamen, wollen wir nur der zwei besten, nehmlich 1) der von Johnson und Steevens zu London 1773 in 10 Bänden 8. und 2) der im J. 1793 zugleich mit den Noten von Johnson und Steevens herausgekommenen gedenken. Auch können wir die von Aldermann und Joseph Boydell herausgegebene Sammlung großer und meisterhafter Kupfer nach neuen Gemählden von den ausfallendsten Scenen aus Shakesp. Stücken hier nicht unerwähnt lassen. Eine nähere Beschreibung liefert das 10. Heft der Annalen des Theaters, S. 42 u. f. – Deutscher Bearbeitungen und Uebersetzungen der Shakespeareschen Schauspiele giebt es auch mehrere, wir führen hier nur die neuesten vollständigen Sammlungen an, und übergehen die Bearbeitung von Wieland, so wie einzelner Schauspiele von Bock, Schröder, Tieck und Schiller. 1797 bis 1804 erschien von August Wilhelm [251] Schlegel bei Unger in Berlin in 8 Octavbänden, und seit 1798 von Joh. Joachim Eschenburg, nachdem 20 Jahre seit seiner ersten Herausgabe der Shakesp. Werke verstrichen waren, in denen er sich dem Studium dieses Dichters ganz überlassen hatte, bei Orell, Geßner u. C. in Zürich eine ganz umgearbeitete Ausgabe dieses Dichters in 12 Octavbänden. Vor letzterer steht Shakesp. Bildniß, und das Titelblatt jedes Bandes zieren treffliche von Livs gestochene Vignetten. Herrn Hofr. und Prof. Eschenburg haben wir übrigens mehrere lesenswerthe Abhandlungen, als: einen Versuch über Shakespears Genie und Schriften, in Vergleichung mit den dramatischen Dichtern der Griechen und Franzosen (Leipz. 1771); Ueber W. Shakespear (Zürich 1787); und: Ueber den vorgeblichen Fund Shakespearescher Handschriften (Leipz. 1797), zu verdanken; auch enthalten die fliegenden Blätter von Deutscher Art und Kunst (Hamh. 1773) mehrere empfehlungswerthe Aufsätze.
1 Aus letzterm Umstande läßt es sich erklären, wie Hamlet auf der Erde sitzend ein Schauspiel ansehen kann.
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro