Hackelberg

[104] Hackelberg. Unter den zahlreichen Volkssagen der Deutschen gibt es nicht leicht eine grauenhaftere und verbreitetere als die vom wüthenden Heere, jener gespenstigen Erscheinung, die bei stiller Nacht über dem Haupte des entsetzten Wanderers dahinbraust. Die abenteuerlichsten, verzerrten Gestalten ziehen mit feurigen Augen und rasselnden Gliedern in hoher Luft daher und heulendes Hundegebell, mit andern fürchterlichen Klängen vermischt, begleitet sie. Gewöhnlich geht der wüste Zug von irgend einem verfallenen, [104] von dichtem Forste umgebenen Gebäude aus und streift über die Baumwipfel, die, gleich beseelten Wesen, sich scheu vor ihm zurückbeugen. Der finstere Schwarzwald sowohl, als der schönbelaubte Odenwald kennt diese wilden Töne und hört sie um Mitternacht über seinen Föhren und Eichen; aber die eigentliche Heimath des tollen Spuks ist der Harz. Dort wird er zur wilden Jagd, der die schaurige Tut-Ursel, eine düstere Frauengestalt, warnend voranschwebt und auf schwarzem, flammenschnaubendem Rosse folgt ihr der todtenblasse Hackelberg, der wilde Jäger, der Führer des wüthenden Heeres. Er, der einst ein gar gottloses, Gott und Kirche verhöhnendes Leben führte und mit unbändiger Waidmannslust, nur immer und immer, selbst bei stiller Sonntagsfeier, dem Wilde nachjagte, die Saaten der Landleute schonungslos niederritt, tausend böse Thaten verübte und keine andere Freude kannte, als den todtmattgehetzten Hirsch, oder das blutende Reh zu seinen Füßen verenden zu sehen, er ist deßhalb seit Jahrhunderten verdammt, im Grabe keine Ruhe zu finden, sondern sein altes Gelüst, auch nach dem Tode, im steten Parforcejagen zu büßen. Sein Lieblingsaufenthalt ist demnach die öde Dornburg bei Halberstadt, von der er allnächtlich über die sogenannte Hackel, ein unfreundliches Gehölz, auszieht und mit Schauer zeigt noch heute mancher Landmann zu Wülperode, unweit Homburg, seinen vermeintlichen Leichenstein, auf dem er in voller Rüstung abgebildet ist. Wirklich liegt dort ein Hanns von Hackelberg (geboren 1521 zu Wolfenbüttel, gestorben 1581) begraben, der Oberjägermeister am braunschweigischen Hofe war und von dem es heißt, daß er ein gar rauher Gesell gewesen sei und dem Pater, der ihm auf seinem Sterbebette die Freuden der Seligkeit zu schildern versuchte, die ruchlose Antwort gab: »Was mir unser Herr Gott dort oben aufgehoben hat, will ich gern einem Andern überlassen, wenn mir nur die Jagd bleibt« Wie dem nun auch sei, so viel ist gewiß, daß die Ursache jenes nächtlichen Lärmes, den der Aberglaube mit dem bösen Hackelberg in[105] Verbindung brachte, von Eulen herrührt, die in einsamen Waldgegenden, wo Burgtrümmer und dergleichen Schlupfwinkel sich finden, gern nisten, bei Tage in ihren Löchern lauern und des Nachts scharenweise mit abscheulichem Geschrei auf den Raub ausfliegen. Die Uhus oder Ohreulen lassen dann ihre großen Augen rollen und rauschen mit gewaltigem Flügelschlage. Unsere Vorfahren sollen bereits vor ihrer Bekehrung zum Christenthume etwas Aehnliches von bösen, in der Luft jagenden Geistern, die sie Striezhelden nannten, gewußt haben, und vielleicht ruht darin der erste Keim dieser Fabel, die so vielfach variirt worden ist. Die Dichter benutzten oftmals den reichen Stoff, und wenn Bürger's schauerliche Ballade vom wilden Jäger, dem der Satan verkörpert zur linken Seite reitet, während sein guter Engel rechts, vergeblich strebt, ihn der Sünde und dem durch sie bedingten Untergange zu entreißen, beinahe vergessen scheint, so erregte unlängst der geistreiche Blumenhagen durch die schöne Novelle vom Hackelberg, der wohl verirrt, aber doch höchst bedauernswerth ist, die süßeste Melancholie des Mitgefühls für diesen im Munde des Volkes gebrandmarkten Namen.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 104-106.
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