Anaxagoras

[175] Anaxagoras, geb. um 499 v. Chr. zu Klagomenä in Ionien, kam zur Zeit der Perserkriege nach Athen, wo er die angesehensten Männer zu Schülern hatte. Allein schon bei ihm kam die Volksreligion [175] mit der Philosophie in Konflikt; der ernste und strenge Anaxagoras wurde des Atheismus angeklagt, und mußte, nur durch den Schutz seines Freundes Perikles gerettet, Athen verlassen; er begab sich nach Lampsakus, wo er 72 J. alt gestorben sein soll. Als Philosoph gehörte Anaxagoras der Schule der jonischen Physiker an; deßwegen setzte er eine ewige, unendliche und formlose Materie, die in einer unendlichen Menge gleichartiger Grundstoffe die Keime der Bildung in sich schließe. Während aber die Vorgänger des A. in der Materie allein den Grund alles Seins und Werdens suchten oder mythische Mächte zu Hilfe nahmen, führte A. zuerst den Geist (νοῦς) in die spekulative Philosophie ein, als das die Materie Bewegende und aus der Scheidung und Wiedervereinigung der Urstoffe die Formen der Dinge Bildende. Doch läßt A. nur den ersten Anstoß der Bewegung von dem Geiste ausgehen, denselben im weitern Verlaufe der Entwicklung gänzlich zurücktreten und die Natur sich nach unbegriffenen physikalischen Gesetzen gestalten. Daher klagen Plato und Aristoteles nicht mit Unrecht darüber, daß A. von seinem höhern Standpunkte wieder auf den Boden einer einseitigen mechanischen Naturansicht zurückfalle.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 175-176.
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