Kritik

[315] Kritik (gr. kritikê sc. technê) heißt 1. die Beurteilung einer Sache, 2. die wissenschaftliche Darstellung der aus der Natur eines Gegenstandes hervorgehenden Regeln. Dem Gegenstande nach ist die Kritik verschieden; besonders aber bezieht sie sich auf die höchsten menschlichen Fähigkeiten, auf Wissenschaft, Kunst, religiöses und sittliches Leben. Die philosophische Kritik prüft ein Objekt nur nach seinem Wesen und seiner [315] Idee. Die Kunstkritik beschäftigt sich entweder mit dem inneren, idealen Wert eines Kunstwerkes, oder mit der äußerlichen, mechanischen Bearbeitung seines Materials; jenes ist die ästhetische, dieses die technische Kunstkritik. Die sittliche Kritik richtet den sittlichen Wert der Gesinnungen, Worte und Werke. Die historische Kritik prüft sowohl die Zeugnisse für die berichteten Tatsachen als auch die Wahrscheinlichkeit dieser selbst. Zunächst hat sie die Echtheit und Authentizität der Zeugnisse festzustellen; dann hat sie zu fragen: 1. Waren die Erzähler Augenzeugen? 2. Haben sie die Wahrheit sagen wollen? 3. Waren sie überhaupt imstande, es zu tun? 4. Ist, was sie sagen, Bericht oder Räsonnement? 5. Ist das Zeugnis trotz vorhandener Widersprüche irgendwie zu verwerten? Daran schließt sich die Kritik der Tatsachen selbst: Sind sie glaubwürdig 1. unter den damaligen Verhältnissen? 2. bei den so und so gearteten Personen? 3. nach den bekannten Naturgesetzen? – Die philologische Kritik, welche teilweise mit jener zusammenfällt, prüft die schriftlichen Denkmäler, um sowohl den Wortlaut ihres Textes, als auch die Echtheit der Überlieferung festzustellen und nötigenfalls das Ursprüngliche von späteren Zusätzen zu scheiden, wobei sie auch alle subjektiven und objektiven Gesichtspunkte der historischen Kritik zu beachten hat.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 315-316.
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