Vierter Aufzug

[76] Nacht. Im Burghof von Grafenstein. Die siegreichen Bauern treiben mit Stößen gebundene Leute über den Hof, Männer, Weiber, Kinder, viele mit Spottzeichen, alles roh und gemein. Schreie, Kreischen, huschende Beleuchtung von Brandstellen her.[76] Beherrschend und mit zwei Fackeln umgeben. Deix-Mephisto, zu dem alles kommt, was eine Weisung haben will. Ein Haufen kommt eben unter sich streitend her.


EINER DARAUS, MATTHES. Das nit, Deix! Sie haben sich vollgesoffen aus dem Keller – war heiße Arbeit vorher, mag hingehn! Aber das kannst nit durchlassen, daß sie so stehlen und unsinnig all's kreuz und klein schlagen, was s'nit mögen! Sind kein Raubgesindel wir, ist hier christliches Heer! Die Mehrzahl gegen ihn, aber seinen Part hält ein andrer, Franz. Und das geht erst recht nit, daß sie's mit den Mägden treiben wie Schandbuben und mit den Männern wie Mörderpack! Hab ihrer drei bei 'nem zehnjährigen Dirndl erwischt. Mach Ordnung, Deix, hier ist christlich Heer! Die Mehrzahl auch gegen ihn, man versteht nur: »Der Deix hat aber gesagt, sollt' ein lustiger Tag sein«. Die beiden dawider. Red, Deix – der Schwarze und der große Feldrat, die wollten's nit so.

MEPHISTOPHELES der bisher mit ironisch bedauernder Gebärde geschwiegen hat. Audiatur et alters pars, sagt der Magister, frag auch das Roß, wenn's ausschlägt, warum. Ist euch die Sanftmut ausgangen, lieben Leut? Haben euch die Pfaffen noch nit genug eintrichtert gehabt und die Doktores römisch ins Recht geschraubt und die Junker auf eure Rücken gebläut?

IM HAUFEN. Da hörst's, Franz, der Deix ist der rechte. Spann die Ohren, Matz!

MATTHES. Willst du etwa gegen den Hauptmann, Deix?

MEPHISTOPHELES. Gegen den geehrten Herrn Ritter Lüpft ironisch die Mütze, wie hätt ich vor so vornehmem Herrn keinen Respekt – aber leider, der speisen wohl grad mit den Hochmögenden in Protzenburg, wenn sie nit schon beim Ratswein sind. Ihr müßt's entscheiden, ihr seid hier! Daß ich mir was herausnähm gegen die Mehrheit, ich füg mich. Beim Weib ist die Sanftmut, fragt die Zarten, die Frauen, da ist ja eine.[77]

DIE HOFMÄNNIN. Weiber seid's alle miteinander ihr, der Mann bin ich. Plagen mich die Mäus, vergift ich sie.

MEPHISTOPHELES. Aber, Hofmännin, die heilige Moral!

HOFMÄNNIN. Als ich jung und verliebt war, hat wer danach gefragt beim Ersten-Nacht-Recht?

MEPHISTOPHELES. Aber, Hofmännin, das Interesse der heiligen deutschen Nation!

HOFMÄNNIN. Kenn' keine zehn Meilen rings.

MEPHISTOPHELES. Sollt's etwa ein Schwindel sein, daß neue Herren die alten wegdrängen wollen und auch in Zukunft kujonieren wie die? Sind zwar nur lauter Bauern im obersten Rat. ...

RUFE. Sind's nit! Sind's nit! Sitzen Pfaffen und Schreiber, sitzen gar Edelleut drin!

MEPHISTOPHELES. Hatt ich doch beinah vergessen! Aber gute, gelt?

HOFMÄNNIN. Wolf bleibt Wolf.

MEPHISTOPHELES. Und Schaf, was sich scheren läßt, meinst?


Ein Trupp bringt aus der Schloßkapelle Schnitzereien angeschleppt. Sein Führer.


Deix, sie haben Gott zum bemalten Männlein gemacht ...

MEPHISTOPHELES. Hat so viele ins Fegfeuer gesteckt, laß sehn, ob er selber 's Brennen verträgt – gelt?[78]

EIN ZWEITER. Hockt zwischen der heiligen Marie und Ann wie der Türk im Harem. Liebe macht eh heiß, helft nach!

EIN DRITTER. Da, eine Gottesmutter dazu in blauem Mantel mit Goldlätzlein und Edelstein-Klunkern, wie die Frau Bürgermeistrin beim Tanz ...

MEPHISTOPHELES. Aber ihr Bub muß frieren, ist ja nackt, der Aff – macht's ihm warm!


Halloh. Sie bringen den zitternden Pfaffen.


EINER. Greif ich untern Altar, find ich das! Stoß ich's auf den Spund, grunzt's: »Gnade, Gnade!« Warum versteckst dich, Luderpfaff, wenn du gutes Gewissen hast?

HOFMÄNNIN herantretend, ihn beäugend und betastend, immer leidenschaftlicher, immer grausiger. He, die Klobennas, Hochwürden, kennt ich die nit? Bockmaul du, hätt ich dich noch nit blecken gesehn? Warst nit in Untersbach ehdem? Warst nit in der Kindslehre, gell? Bei meinem Kind, gell? Und wie ich dich sprechen wollt, weißt schon warum – plötzlich weg? Zu seinen Schutzheiligen Ausbrechend in unbezähmte Wut. ins Feuer mit ihm!


Unter Lärmen und Gejohl ergreifen sie den heulenden und schreienden Pfaffen, da drängt mit »Halt, halt!« durch die Menge Faust herein. Mit höchstem Staunen erkennt er in Deix Mephistopheles.


Du hier, verfluchter Geist!

MEPHISTOPHELES ganz gelassen.

Der hält mich für 'nen Geist. Schaut, wieder einer,

Der umgeschnappt. Kalt Wasser auf den Kopf!

FAUST sich allmählich fassend.

Ja, so bist du!


Zu den Andern.


Der Teufel spricht mit euch![79]

MEPHISTOPHELES gelassen.

Was Euereins nicht paßt, das nennt Ihr Teufel,

Wer bist du, Schwarzrock?

KEHRBACH.

Ei, den kennt Ihr nicht?

Der Führer der Studenten ...

MEPHISTOPHELES.

Die beim Stein

Die Denkerstirnen am Verließ zerklopften,

Drin der Professor spinnt? War das ihr Hammel,

So paßt er zu den Schafen.

FAUST.

Ach, hätt ich noch die Reinheit, daß dich nieder

Ein lautres Feuer meiner Zunge brennt!

Ich war dein Paktgenoß ...

EINER.

Großkopfeter,

Zieh ab!

FAUST.

Wollt ihr auf mich nicht hören, Männer, hört

Auf euren Führer, der der heiligen Sache

Jetzt in den Städten werbend dient. Er sendet

Mich her, der Schwarze Ritter bittet euch –

Nein, er beschwört euch: an das Ganze denkt,

Mit dem der Teil zugrund geht oder siegt!

Der Bau'r aus allen Gaun, aus allen Städten

Der Bürger – das ist Volk und das nur siegt.

Höhnt mich, hört meine Gründe nicht, allein

Das seht ihr doch: wenn Mißtat hier geschieht,

So stutzt der Schwankende und zuckt zurück.

MEPHISTOPHELES.

Großkopfeter, guckt: unser kleines Hirn,

Für Euer »Ganzes« ist kein Platz mehr drin,

Für Euer »Volk« – 's ist eh schon vollgepfropft.

Mit was? Mit Erbgut, das der Pfaff ergaunert,[80]

Drauf jetzt der Vogt sitzt, hier


Auf die Stirn zeigend.


gehört's uns noch,

Ist auch bewohnt da. He, womit? Mit Weibern,

Die sie geschändet, Männern, die gepeitscht,

Mit Kindern, die verhungert sind – Ei, Doktor,

Das preßt sich 'was in unserm kleinen Kopf,

Quietscht und rumort .. bleibt halt kein Platz fürs »Volk«.

Und was rumort's? Was schreit es? Eins nur: Rache.

HOFMÄNNIN kreischend.

In's Feuer den Pfaffen!


Tumult. Sie stürzen über den Pfaffen her und binden ihn. Die Hofmännin, während sie immer gierig auf ihn hinstiert.


In's Feuer mit ihm! Und röstet ihn schön braun,

Spart aber's Fett ...


Sie zieht ihr Messer und wetzt es an den Schuhen.


Die Messer raus, Gesellen!

In seinen Wanst, und schmiert damit die Schuh!


Während sie den Pfaffen fortschleppen, dringt Faust auf sie ein. Mephisto stellt sich höhnend dazwischen.


MEPHISTOPHELES.

Volkswille – Gotteswille, guter Mann!

FAUST.

Denk an den Pakt, Verfluchter! Ich befehl's!

MEPHISTOPHELES horcht auf, dann leise zu Faust.

Jaso, dir gilt er wiederum, der Pakt?


Zu dem Haufen.


Ich weiß euch Feinres: schafft zum Seilwerk den

Und spindelt ihm die Därme auf und macht draus

Wurst für die Säu!


Viehisches Gelächter, der Haufe mit dem Pfaffen ab. Zu Faust.


Zum Seilwerk geht's am Keller hin, sie plündern

Die Fässer und besaufen sich, der Pfaff

Entwischt. Ich nehm's auf den Vertrag!


Faust wendet sich geekelt weg.
[81]

Ihr seid

Mir böse, weil wir uns beim Spiel verzankt.

Wir sind doch Compagnons, ich hab ein Recht,

Dabei zu sein. Als Partner durft ich nicht,

So spielt ich auf der Gegenseite mit.

Ganz unterhaltsam war's, einträglich auch.

Doch bleib ich brav beim Pakt.

FAUST.

Ich glaub dir, weil

Du mußt. – Was grinsest du?

MEPHISTOPHELES.

Ich freu mich, Doktor,

Daß wir einmal von einerlei Geschmack.

Für die Ihr Euch ins Zeug da legt, die Leutchen,

Die mag ich auch.

FAUST.

Bild dir nichts ein auf sie,

Du hast sie nicht, die Menschen haben sie

Verteufelt, die Verteufler haß ich drum,

Die Opfer will ich retten.

MEPHISTOPHELES.

Ei der Daus –

Die da?

FAUST.

Glaubst du, man schleppt den Freund

Mir auf den Stoß, und ich bleib, der ich war?

Glaubst du, der Jammer um mich tausendfach

Knickt nieder vor dem Ich-Altar von einst?

Zu helfen hab' ich.

MEPHISTOPHELES.

Ei, da wird was draus!

FAUST.

Und wenn dein Spott mit schärfstem Stachel träfe,

Nur ritzen würd' er, wo mein eigner längst

Zerfleischend schnitt. Wohin ich komme, komm ich

Zu spät, und wo ich greife, greif ich leer.

Und grade darum brauch ich dich. Der Kaiser,[82]

Hört er das Volk nur, hilft er seiner Not,

Doch keiner kommt ihm nah, der's kennt und liebt.

Schaff mich noch heut zum Reichstag, durch die Schreiber

Brichst du zum Kanzler mir und durch die Schranzen

Zum Kaiser Bahn, daß ich ihn sprechen kann.

MEPHISTOPHELES.

Ihr wollt ihn sprechen? Seine Majestät

Sind in dem Alter, da das Gockelchen

Das Krähn erlernt, doch sind sie trotzdem noch

Weich wie ein federloser Spatz im Nest,

Drum packt man sie in Zeremonienröcke.

Die sind mit großen Ohren stolz bestickt,

Allein was drauffliegt, sticht der Schreiber auf

Und kehrt der Schranz mit Puderbürsten weg –

Mann, leichter brecht Ihr durch granitnen Fels,

Als wie durch Schranz und Schreiber. Doch ich zwing's.


Mit falschem Ausdruck.


Erlaubt mir's nur – mit Wonne dien ich Euch!

Vorhang.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 76-83.
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