Schwesterngesundheit, ausgebracht am Constitutionsfeste

[269] den 16ten März 1783.


Freund Amor, Schwestern, der, wie euch

Nicht unbekannt, in alles gleich

Sein kleines Näschen stecket,

Und dann die allerheimlichsten

Mysterien in neun Monaten,

Wo nicht noch eh' entdecket,


Schlich einst durch's allerkleinste Loch,

Durch welches je ein Amor kroch,

Ganz leise auf den Zehen

Zu uns herein, um als Spion

Die ganze Constitution

Der Loge auszuspähen.


Nun, liebe Schwestern, höret an,

Was er für einen Ordensplan

Für euch d'raus abstrahirte:

Das war ein and'rer Plan, als der,

Womit man so zum Schein bisher

Euch Schwestern nur vexirte.


Er selbst will euch Jahr aus Jahr ein

Der Meister von dem Stuhle sein,

Und euch recht sanft regieren;[269]

Den Deputirten braucht er nicht,

So lang's ihm nicht an Kraft gebricht,

Den Hammer selbst zu führen.


Zum Bruder Ceremonier

Nimmt er den niedlichsten Abbee

Für euch zur Augenweide,

Damit, wenn Rangsucht euch entzweit,

Er jede Sesselstreitigkeit

Durch ein Bonmot entscheide.


Dem Bruder Redner aber wird

In Gnaden, wie es sich gebührt,

Er seinen Abschied geben;

Er weiß ja, liebe Schwesterchen,

Daß eu're kleinen Züngelchen

Des Amt's ihn überheben.


Allein um desto weniger

Kann er den Bruder Secretair

Als unnütz dimittiren,

Denn der hat alle Hände voll,

Er muß das grosse Protokoll

Von eu'ren Küssen führen.


Und weil es gar nicht artig läßt,

Wenn man von Schwestern Geld erpreßt,

Zumal von schönen Kindern,

So weis't er den Schatzmeister an,

Die Säcke eu'rer Männer dann

Statt eu'rer auszuplündern.


Auch kann er die helleuchtenden

Zwei Lichter, die in Westen steh'n,

Nicht füglich reduciren;

Die müssen ja die Schwesternschaar

In Zeigen, Worten, und sogar

In Griffen exerciren.
[270]

Die Arbeit nimmt Herr Cypripor

Gemeiniglich des Nachts nur vor,

Profanen stets verborgen:

Er fängt nach Sonnenuntergang

Sie an, doch dau'rt sie nie zu lang,

Und währte sie bis morgen.


Wollt ihr, daß er bei'm Tafelfest

Beständig kanoniren läßt,

So dürft ihr nur befehlen.

Er ladet scharf, schlägt an, und spricht:

Wenn's nur an Pulver nicht gebricht,

An Feuer soll's nicht fehlen.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 269-271.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon