2.


Suschen

[341] Der Ozean stieg schaurig

Vom Sturmwind aufgeschreckt.

Da seufzte Suschen traurig,

Am Felsenbach gestreckt.[341]

Ihr Auge weithin spähend

Durchflog den Wogendrang,

Indes die Stirn ihr wehend

Die Trauerweid' umschlang.


»Das Jahr ist schon vorüber

Ach! schon neun Tage mehr!

Warum so dreist, o lieber!

Vertrautest Du dem Meer?

Laß Meer, vom Sturm gehoben,

Laß meinen Wilhelm ruhn!

Ach, hier im Busen toben

Noch wildre Stürme nun.


Was zogst Du Gold zu häufen

Zum fernen Mohrenstrand,

Wo Spezereien reifen

Und Perl und Diamant?

Der Fleiß bei sicherm Werke

Gewährt uns Ueberfluß,

Uns gäbe Mut und Stärke

Ein treuer Herzenskuss.


Wie ringt mit grausen Wettern

Dein überwogtes Schiff!

O wehe mir! nun schmettern

Es Stürm ans Felsenriff!

Jezt schwimmst Du auf der Trümmer

Durchs Weltmeer! sinkend jezt

Nennst Du mit Angstgewimmer

Dein Suschen noch zulezt.«


Sie riefs mit bangem sehnen

Vom Felsen wo sie saß,

Und weinte helle Thränen,

Ihr Busentuch ward naß.

Da trieb die Woge schäumend

Den kalten Leichnam her:[342]

Sie starrt ihn an wie träumend,

Erblasst und sank ins Meer.

Quelle:
Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert von Karl Weinhold, Halle 1868, S. 341-343.
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