Der Himmel

[371] Sechs Fromme von verschiedner Innung

Doch gleich unsträflicher Gesinnung

Begegnen, wo nicht Zeit noch Raum

Mehr engt, sich – an des Himmels Saum.


Schnell blizt der Eingang aufgeschloßen,

Und von Verklärungsglanz umfloßen

Tritt mild ein Genius heran

Und fragt: Wer Du? – »Ein Muselman.«


Ins Paradies dort, wo die Frommen

Zu mehr als Machmuds Lichte kommen! –

Und Du? – »Ein Jud.« – Im Tempelchor

Singt Assaff dort erwählten vor.


Und Du, der wundernd steht, als mahn' er

Des Irrthums mich? – »Ein Lutheraner!« –

Geh aufzuklären Deinen Sinn

Zum schon belehrten Pastor hin.


Du denn? – »Ein Quäker.« – Abgeschieden

Sind Deine Brüder dort im Frieden.

Behalt den Hut auf wenns gefällt,

Vergnügt mit Penn der beßern Welt.


Und Du dort? – »Ueberführt allmählich

Nicht mach' allein mein Glauben selig.[371]

Doch fremd gesteh ich scheinen mir

Bei Christen Türk und Jud allhier.«


Wie Schuppen von den Augen fallen

Wird bald der Zweifel Dir und allen.

Jezt theile Ganganellis Ruh! –

Von welcher Kirche bist denn Du?


»Von keiner!« – Anzunehmen wäre

Dächt ich doch irgend eine Lehre? –

»Daß Einer sei, der alles schafft,

Der Gutes lohnet, böses straft,


Und daß Unsterblichkeit der Seele,

Die sterbliches verschmäht, nicht fehle.

Geglaubt das hab ich und geübt.« –

Nimm Platz denn, wo es Dir beliebt.

Quelle:
Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert von Karl Weinhold, Halle 1868, S. 371-372.
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