CIII.

Vom Antichrist.

[198] Das Glaubensschiff ist umgestürzt; auf dem aus dem Wasser ragenden Rumpfe sitzt der Endechrist mit Beutel und Geißel, neben ihm liegt die Narrenkappe; ein Teufel bläst ihm mit einem Blasebalge ins Ohr. Bücher und Narren schwimmen umher. Ein Mann scheint mit einer Axt von einem Kahn aus den Schiffsrumpf vollends zertrümmern zu wollen. Einige Narren in einem Boote suchen Anderes vom Glaubensschiffe noch loszureißen. Andere rudern der fernen Küste Narragoniens zu. Im Vordergrund steht St. Peter und zieht mit seinem Schlüssel das mit den geborgenen Weisen gefüllte »St. Peters Schifflin« ans Gestade. – Simrock hat das Bild ganz mißverstanden.


Dieweil Vorspuk von mir geschehn

Bei denen, die mit Falsch umgehn,

So find' ich noch die rechten Knaben,

Die bei dem Narrenschiffe traben

Und sich und andre viel betrügen,

Die heil'ge Schrift verkrümmen und biegen;

Die geben erst dem Glauben Püff'

Und netzen das papierne Schiff;

Ein Jeder reißet etwas ab,

Daß desto minder Bord' es hab',

Nimmt Ruder und Riemen weg davon,

Daß ihm der Untergang mög' drohn.

Viele sind in ihrem Sinn so klug,

Die dünken witzig sich genug,

Aus eigner Vernunft Einfall

Die heil'ge Schrift zu deuten all,

Darin sie fehlen doch gar sehr,

Und wird gestraft ihre falsche Lehr'.

Denn sie könnten aus andern Schriften wol,

– Deren allenthalb die Welt ist voll, –

Genugsam unterrichten sich,

Wenn sie nicht wollten sonderlich[199]

Gesehen sein vor andern Leuten;

Dabei fährt irr' das Schiff zu Zeiten.

Man kann dieselben trunken nennen,

Da sie die Wahrheit wol erkennen

Und doch das Schiff umkehren ganz,

Zu zeigen ihren Schein und Glanz,

Das ist der falschen Propheten Lehr',

Vor denen sich hüten heißt der Herr,

Welche anders die Schrift umkehren,

Als sie der heil'ge Geist thut lehren;

Deren Hände führen falsche Wagen.

Drauf legen sie nach ihrem Behagen,

Machen eines leicht und andres schwer,

Darunter der Glaube leidet sehr.

Inmitten der Verkehrten wir stehn;

Man kann den Scorpion schon sehn

Sich regen, gereizt von solcher Macht,

Die Ezechiel vorausgesagt.

Die das Gesetz hier übertreten

Und zu dem Antichristen beten,

Die schaffen ihm gar viel voraus;

Wenn seine Jahre sind dann aus,

So hat er viel, die bei ihm stehn

Und mit ihm in der Falschheit gehn.

Deren hat er viele in der Welt!

Wenn er vertheilen wird sein Geld

Und an das Licht die Schätze bringen,

Darf er nicht Viel mit Streichen zwingen:

Die Meisten werden zu ihm laufen,

Durch Geld wird er sich Viele kaufen,

Die helfen ihm, daß er dann mag

Die Guten zwingen alle Tag',

– Doch werden lange sie's nicht machen,

Ihnen wird gebrechen Schiff und Nachen,

Wiewol sie fahren um und um, –

Er wird die Wahrheit machen krumm,

Die wird zuletzt doch Wahrheit bleiben[200]

Und wird die Falschheit ganz vertreiben,

Die jetzo herrscht in jedem Stand.

Ich fürcht', sein Schiff kommt nicht zum Land.

Es schwanket auch Sanct Peters Schiff;

Es droht ihm, fürcht' ich, manches Riff,

Die Wellen schlagen allseits dran,

Ihm wird viel Sturm und Plage nahn.

Gar wenig Wahrheit man jetzt hört,

Die heilige Schrift wird ganz verkehrt

Und jetzt viel anders ausgelegt,

Als sie der Mund der Wahrheit hegt.

Verzeih mir recht, wen dies betrifft!

Der Antichrist ist ausgeschifft,

Hat seine Botschaft umgesandt,

Falschheit verkündigt durch das Land,

Denn falscher Glaub' und falsche Lehr',

Die wachsen von Tag' zu Tage mehr,

Wozu die Drucker tüchtig steuern.

Man könnte manches Buch verfeuern

Mit Unrecht viel und Falsch darin.

Viele denken einzig auf Gewinn;

Nach Büchern überall sie trachten,

Doch Correctur sie wenig achten;

Auf großen Betrug sie jetzt studiren,

Drucken viel ohne zu corrigiren!

Sie schauen übel auf die Sachen,

Wenn Männlein sie um Männlein machen;

Sie thun sich selber Schaden und Schande,

Gar Mancher druckt sich aus dem Lande,

Die mag das Schiff dann nicht mehr tragen,

Sie müssen an den Narrenwagen,

Wo einer kann den andern jagen.

Die Zeit, sie kommt! Es kommt die Zeit!

Ich fürcht', der Endchrist ist nicht weit!

Man merke dies und nehme wahr:[201]

Der Glaube steht auf Drein fürwahr:

Auf Ablaß, Büchern und auf Lehr',

Deren man jetzt schätzt keines mehr.

Vielheit der Schrift spürt man dabei:

Wer merkt die Menge Druckerei!

Ein jedes Buch wird vorgebracht,

Was unsre Eltern je gemacht;

Deren sind jetzt soviel an Zahl,

Daß sie nichts gelten überall,

Daß man sie schier nicht achtet mehr,

Und ähnlich ist es mit der Lehr';

So viele Schulen man nie fand,

Als man jetzt hat in jedem Land;

Fast ist auf Erden keine Stadt,

Die nicht 'ne hohe Schule hat,

Daher man die gelehrten Leut'

Jetzund auch achtet keinen Deut.

Die Kunst verachtet Jedermann

Und sieht sie über die Achseln an;

Die Gelehrten müssen schier mit Leid

Ansehen Namen, Lehre, Kleid,

Die Bauern zieht man jetzt herfür,

Die Gelehrten müssen hinter die Thür.

Man spricht: »Schau an den Schlauderaffen!

Der Teufel besch ... uns wohl mit Pfaffen!«

Das ist ein Zeichen, daß die Kunst

Nicht Ehre mehr hat noch Lieb' noch Gunst.

Drum wird auch schwinden bald die Lehre,

Denn Kunst gespeiset wird durch Ehre

Und will man sie nicht hoch mehr achten,

So werden wenig nach ihr trachten.

Der Ablaß ist so ganz unwerth,

Daß Niemand seiner mehr begehrt;

Niemand will mehr den Ablaß suchen,

Ja, Mancher möcht' ihn sich nicht fluchen,[202]

Und Mancher gäb' keinen Pfennig aus,

Wenn ihm der Ablaß käm' ins Haus,

Und wird ihm einstmals doch nachjagen,

Müßt' er ihn holen auch zu Aachen.

Darum dasselbe uns einst droht

Wie denen mit dem Himmelsbrod,

Die waren dessen übersatt,

Sie sprachen: ihre Seel' sei matt;

Und was gegeben ihnen Gott,

War ihnen unnütz und ein Spott;

So thut man mit dem Ablaß auch,

Den schätzt gering gar mancher Gauch.

Daraus entnehm' ich den Bericht,

Es ist der Glaube wie ein Licht,

Eh das mag ganz erloschen sein,

Gibt es noch einmal Glanz und Schein,

Und daß ich frei es sagen mag:

Es naht sich uns der jüngste Tag!

Weil man das Gnadenlicht verachtet,

Wird man bald gänzlich sein umnachtet,

Und was man nie zuvor gehört:

Das Schiff den Kiel nach oben kehrt.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 198-203.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
Das Narrenschiff
Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
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