Der Wurstdieb

Der Wurstdieb

[549] Hier hängt die Wurst – dort an der Mauer

Steht Louis heimlich auf der Lauer.


Der Wurstdieb

Und schon bemerkt man sein Bestreben,

Sich eine Wurst herauszuheben.
[549]

Der Wurstdieb

Jetzt hat er sie und schleicht davon;

Doch Graps, der Hund, erblickt ihn schon.


Der Wurstdieb

Eh' Louis denkt, daß er ihn packe,

Hat Graps ihn hinten bei der Jacke.


Der Wurstdieb

Die zwei, die schaun sich ins Gesicht,

Der eine froh, der andre nicht.


Der Wurstdieb

[550] Graps aber trägt mit sanftem Schritte

Die Wurst zu seiner stillen Hütte.


Der Wurstdieb

Indessen Graps sich so ergötzt,

Hat Louis aufrecht sich gesetzt


Der Wurstdieb

Und will ganz heimlich sich soeben

Aus dieser Gegend fortbegeben.
[551]

Der Wurstdieb

Doch Graps, der wachsam, zieht ihn wieder

Mit kühnem Griff nach hinten nieder.


Der Wurstdieb

Er legt sich klüglich auf die Spitze

Von Louis seiner Zipfelmütze.


Der Wurstdieb

Der treue Graps, der denkt sich: Nun

Kann ich getrost ein wenig ruhn!


Der Wurstdieb

[552] Doch Louis zog ganz in der Stille

Den Kopf aus seiner spitzen Hülle


Der Wurstdieb

Und wäre glücklich fast entkommen,

Hätt' ihn der Graps nicht festgenommen.


Der Wurstdieb

Er steht und darf sich nicht bewegen;

Von oben strömt ein kühler Regen.
[553]

Der Wurstdieb

Der Regen wird zu kaltem Reif;

Der Louis friert ganz starr und steif.


Der Wurstdieb

Der gute Nachbar sah ihn stehn

Und will mit ihm zum Ofen gehn.


Der Wurstdieb

Bauz! Klirr! – er stolpert an der Schwelle;

Der Louis ist ein Eisgerölle.


Der Wurstdieb

[554] Da nimmt der gute Nachbar schnell den Besen

Und fegt hinaus, was Louis einst gewesen.


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 1, Hamburg 1959, S. 549-555.
Lizenz:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon