Erstes Kapitel

[6] Sei mir gegrüßt, du lieber Mai,

Mit Laub und Blüten mancherlei!

Seid mir gegrüßt, ihr lieben Bienen,

Vom Morgensonnenstrahl beschienen!

Wie fliegt ihr munter ein und aus

In Imker Dralles Bienenhaus


Erstes Kapitel

Und seid zu dieser Morgenzeit

So früh schon voller Tätigkeit.


Erstes Kapitel

Für Diebe ist hier nichts zu machen,

Denn vor dem Tore stehn die Wachen.

Und all die wackern Handwerksleute

Die hauen, messen stillvergnügt,


Erstes Kapitel

[6] Bis daß die Seite sich zur Seite

Schön sechsgeeckt zusammenfügt.


Erstes Kapitel

Schau! Bienenlieschen in der Frühe

Bringt Staub und Kehricht vor die Tür;

Ja! Reinlichkeit macht viele Mühe,

Doch später macht sie auch Pläsier.


Erstes Kapitel

Wie zärtlich sorgt die Tante Linchen

Für's liebe kleine Wickelkind![7]

»Hol Wasser!« ruft sie, »liebes Minchen,

Und koch den Brei, und mach geschwind!«

Erstes Kapitel

Auch sieht die Zofen man, die guten,

Schon emsig hin- und wiedergehn;

Denn Ihre Majestät geruhten

Höchstselbst soeben aufzustehn.


Erstes Kapitel

Und nur die alten Brummeldrohnen,

Gefräßig, dick und faul und dumm,

Die ganz umsonst im Hause wohnen,

Faulenzen noch im Bett herum.
[8]

Erstes Kapitel

»Hum!« brummelt so ein alter Brummer,

»Was, Dunner! ist es schon so spät!?

He, Trine! lauf einmal herummer

Und bring uns Honigbrot und Met!« –

»Geduld!« ruft sie, »ihr alten Schlecker!«

Und fliegt zu Krokus, dem Bienenbäcker. –


Erstes Kapitel

»Hier diese Kringel, frisch und süße«,

So lispelt Krokus, »nimm sie hin;

Doch höre, sei so gut und grüße

Aurikelchen, die Kellnerin!«
[9]

Hier steht Aurikel in der Schenke

Und zapft den Gästen das Getränke.


Erstes Kapitel

Als sie den Brief gelesen hat,

Da schrieb sie auf ein Rosenblatt:


Erstes Kapitel

Schnell fliegt das Bienchen von Aurikel

Zu Krokus mit dem Herzartikel. –
[10]

Jetzt heim! – Denn schon mit Zorngebrumme

Rumort und knurrt die Drohnenbrut:


Erstes Kapitel

»Du dumme Trine! her die Mumme!

Wenn man nicht alles selber tut!«


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 6-11.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon