Letzte Pflicht der Freundschafft, dem sel. Grasen Theodor von Dohna, auf derjenigen Stelle abgestattet, wo derselbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte

[335] Laß, mein beklemmtes Hertz, der Regung nur den Zügel,

Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel,

Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt.

Auf dieser Stelle sanck der tapfre Dohna nieder,1

Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder,

Als ein verfluchtes Bley die theure Stirn verletzt,

Das, eh der Sonnen Rad den andern Morgen brachte,

Ihn leider! gar zu bald zu einer Leiche machte!


Ach! lebte Theodor, wie wolt ich mit Vergnügen

Das stoltze Buda sehn in seiner Asche liegen!

Ich wolte manchen Ort, der bey der späten Welt

Berühmt verbleiben wird, mit Fleiß und Lust bemercken;

Dort, wo der Feind versucht die Seinigen zu stärcken,

Doch wie ein schüchtern Wild in Tod und Stricke fällt;

Hier, wo die Unsrigen zuletzt die Stadt ersteigen,

Wenn er nur alles das mir selber könte zeigen.
[336]

Jetzund betrüben mich die umgewühlten Mauren;

Nicht den verdienten Lohn des Mein-Eyds zu bedauren,

Den sich der Himmel selbst zu straffen ausgerüst;

Es müsse ferner noch der Hund dem Adler weichen!

Man jauchtzt mit gutem Recht bey diesem Sieges-Zeichen;

Ich weine, weil es dem ein Sterb-Mahl worden ist,

Den ich so sehr geliebt; und kan nicht, ohne Grauen,

Bey diesem grossen Glück mein gröstes Unglück schauen.


Mich deucht, daß er mir noch vor dem Gesichte schwebet,

Und daß sein froher Geist den Cörper noch belebet,2

Daß ihm die Redlichkeit noch aus den Augen sieht;

Ich stelle mir noch vor die angenehmen Stunden,

Die in vertrauter Lust uns manches mahl verschwunden;

Daß Anmuth und Verstand auf seinen Lippen blüht,

Daß er, noch wie vorhin, mit dem, was er beginnet,

Den Beyfall und die Gunst von jedermann gewinnet.


Wohin erst mancher kaum, nach langem Schweiß, gediehen,

Da war ihm alles schon in erster Milch verliehen,

Es schien, als hätt er sich auf anders nichts gelegt,

Als durch sein höflich-seyn den Hof allein zu zieren;3

Doch wer ihn sah das Volck in Stahl und Flamme führen,

Wo donnerndes Metall die Erd und Lufft bewegt,

Und wo er noch die Lebens-Krafft verlohren,

Der meinte, daß er bloß zu Waffen sey gebohren.
[337]

Drum ließ der Brennen-Fürst, dem nur und Gott zu Ehren

Der Graf verblichen ist, so tieffe Seuffzer hören;4

Er und sein gantzes Haus begriffen den Verlust,

Den sie hierdurch erlebt. Die hohen Anverwandten,5

Erstaunten, und die ihn als ihren Freund erkannten,

Was ach! was fühlen die in ihrer treuen Brust!

Ja! die ihn nur gekannt, befeuchteten die Wangen,

Als wenn der Ihrigen selbst jemand abgegangen.


Verhängniß! stehet es allein in deinen Händen,

Den Zeiger auf die Zahl des Todes hinzuwenden?

Und schaffest du, was uns hier unten wiederfährt?

Wilst du denn nicht gerecht in deiner Satzung heissen?

Wie liessest du so bald den Held zu Boden schmeissen?

Er war, vor tausenden, ein graues Alter werth.

Wie bist du so erzürnt, und forderst von der Erden,

Daß dir das reineste soll aufgeopffert werden?


War die Vollkommenheit so gleichgesinnter Brüder,6

Das Kunst-Stück der Natur, nur dir allein zuwider?

Wie? oder irr ich mich? schien dir es gar zu viel,

Der schon verderbten Zeit diß schöne Paar zu lassen?7

So muste ja vorhin der tapffre Carl erblassen.

Ein wiederholtes Ach! dient dir zum Freuden-Spiel.

Du reißst die Wunden auf, uns schärffer zu betrüben,

Warum ist Theodor uns nicht zum Trost geblieben?
[338]

Doch halt! es möchte mich der Schmertz zu weit verleiten.

Vernunfft ist viel zu schwach, und pfleget bald zu gleiten,

Wenn sie durch kühnen Trieb die Wolcken übersteigt,

Und, nach dem falschen Maaß der irrigen Gedancken,

Den Höchsten meistern will; da in dem engen Schrancken,

Der uns beschlossen hält, sich manches Wunder zeigt,

Um dessen wahren Grund recht künstlich auszuspühren,

Wir Zeit, und offtermahls die Sinne selbst, verliehren.


Ich will vielmehr den Schluß, in stiller Furcht, verehren,

Der nicht zu ändern steht, und fasse diese Lehren:

Reißt hier ein Augenblick so grosses Hoffen ein,

Rafft Gott so zeitig weg die edelsten Gemüther,

So müssen dieser Welt so hochgeprießne Güter,

Und unser Thun, vor ihm, ein schlechtes Wesen seyn;

Ist auch der letzte Stoß unmüglich zu vermeiden,

Warum betraurt man die, die wohl und rühmlich scheiden?


Viel haben Tod und Schmach zu einer Zeit erlitten.

Viel hat Verzweifelung und Raserey bestritten.

Wie mancher giebt den Geist in schnöder Wollust auf?

Wie manchen, der sein Grab mit Lorbeern denckt zu krönen,

Muß was verächtliches im Sterben noch verhöhnen?

Hier brach nichts schändliches solch einen schönen Lauff.

So, wie ein Wandel-Stern in Diamanten-Funcken

Von unserm Scheitel weicht, ist Theodor gesuncken.


Die Grabschrifft hat er sich mit eignem Blut geschrieben,

Ein Werck das ewig währt! Er ist im Sturm geblieben,8

Wo Gott mit Mahomet um eignen Ruhm gekämpfft;

Daselbst hat er gesiegt, im Beyseyn vieler Helden,

Die in der halben Welt den frühen Fall vermelden.[339]

Der Neid beklaget selbst, daß ihn der Tod gedämpfft;

Der Neid, der insgemein den Stachel zu beblümen,

Die Tugend in dem Sarg am liebsten pflegt zu rühmen.


Genug, mein Freund, ich muß nunmehr von hinnen eilen;

Nimm an zu guter letzt, die schlechten Trauer-Zeilen,

Die wahrer Freundschafft Pflicht an diesem Ort entwarff:9

Ich schwere bey dem Glantz, mit dem du bist umgeben,

Dein Angedencken soll in mir so lange leben,

Und gleichsam heilig seyn, biß daß ich folgen darff.

Ich setze diß hinzu: Seit dem du mich verlassen,

Hab ich nur halbe Müh, die Eitelkeit zu hassen.

Fußnoten

1 Dieses geschah in dem grossen Sturme vor Ofen den 17ten Julii 1686. nachdem sein Bruder Carl Emil, einige Tage zuvor, nemlich den 4ten selbigen Monats, auch im Sturme daselbst durch eine Kugel geblieben. Wovon Pufendorff im Leben Friedrich Wilhelms p. 19. §. 26. Der ältere war im August 1658. der jüngere, nemlich Theodor oder Dietrich, im Herbst-Monat 1659. gebohren. Sie hatten eine sehr glückliche Erziehung. Im Jahr 1674. waren sie in Franckfurt an der Oder, der Wissenschafften und der ritterlichen Leibes-Ubungen halber. Gleich nach ihren zurückgelegten Reisen durch Franckreich, Holland und Engelland, dienten Sie Sr. Churfürstl. Durchl. von Brandenburg wider Franckreich, im Elsaß, am Rheine; und wider Schweden, mit grossem Ruhme ihres Wohlverhaltens, in Pommern. Vor dem letzten Feld-Zuge, den Sie in Ungarn gethan, wagte sich der ältere in Pohlen, und der jüngere mit den Kayserlichen vor Neuheusel, als Freywillige. Ihr Herr Vater Christian Albrecht, Burggraf, und Graf zu Dohna, dessen Mutter-Schwester an den Printzen von Oranien vermählt war, hatte eine Gräfin von Brederode zur Gemahlin, war Stadthalter des Fürstenthums Halberstadt, und starb 1677. den 14. Dec. als Churbrandenburgischer General- Feldzeugmeister, währender Belagerung vor Stettin, da er sich einer gefährlichen Kranckheit halber, nach Cüstrin, woselbst er Gouverneur war, wollen bringen lassen.


2 Der Graf war, wie sein älterer Bruder, ein Meister in sinnreichen Schertz-Reden, und beyde sehr lebhafft und aufgeweckt vom Verstande.


3 Einer wie der andere von diesen Brüdern war eine besondre Zierde des Berlinischen Hofes: beyde waren würckliche Obersten in Brandenb. Diensten, der ältere über ein Regiment zu Fuß, der jüngere aber über ein Regiment Dragoner, und beyde hatten mit besonderer Hertzhafftigkeit ihre eigne Regimenter vor Ofen angeführet.


4 Als Se. Churfürstliche Durchl. Friedrich Wilhelm, der Grosse, Nachricht erhielten, daß der ältere Bruder schon tödtlich verwundet sey, der jüngere aber sich so sehr in die Gefahr wage, schickten sie einen eiligen Befehl ins Lager, den Grafen nach Hofe zurück zu beruffen. Aber er war, noch vor Ankunfft des reutenden Bothens, den Tag zuvor bereits todtlich verwundet worden.


5 Er ward um so viel mehr betrauret, weil seine gantze Linie mit ihm ausgegangen, und alle seine Brüder, deren sechs oder sieben gewesen, gewaltsamen Todes gestorben.


6 Beyde Brüder liebten sich so zärtlich, daß der jüngste, nach des ältern Absterben, sich fast nicht trösten können, sondern den Tod gleichsam gesucht.


7 Beyde waren unverheyrathet, und dabey zween so schöne junge wohlgemachte und in allen Stücken so vollkommene Helden, daß sie nicht weniger am Hofe, und bey dem schönen Geschlechte, als im Lager, die Hertzen zu besiegen wusten.


8 Er ist einer von den jungen Obersten gewesen, von welchen der Herr geheime Rath von Besser in einer Anmerckung über sein Gedicht, auf den gleichfalls vor Ofen gebliebenen tapffern Hertzog, Alexander von Curland, erzehlet, daß sie mit dem selben um den Vorzug des Augriffs beym Stürmen gestritten, und, als solchen der Printz behauptet, dem ungeacht, mit in den Sturm gegangen, und alle mit ihm erschossen worden; weßwegen er gedachten Hertzog in demselben Trauer-Gedichte also redend einführet:


Ich fiel, wie Dohna fiel, und tausend andre mehr,

So der berühmte Sturm vor Ofen aufgerieben.


wobey er, in der angefügten Grabschrifft, diesen Umstand sehr sinnreich anzuwenden gewust, daß der ältere Dohna zuerst, hernach der Hertzog von Curland, und endlich der jüngere Graf Dohna im Stürmen tödtlich verwundet worden. Es kamen damahls verschiedene Lateinische Uberschrifften auf den Tod dieser beyden Brüder zum Vorschein. Die beste darunter aber war von dem berühmten Friedrich Benedict Carpzov in Leipzig: wiewohl davon nur ein paar Stücke, wie sie nemlich auf das Grabmahl in Marmor gehauen werden sollen, gedruckt worden; allwo er auch folgendes lateinische Sinn-Gedicht beysetzen lassen:


Ne Fratres porro Decios jactate, Quirites,

Hæc aliquid Deciis marmora majus habent.


welches auf teutsch ungefehr also klingt:


Rühm deine Decier, Rom, ferner nicht so sehr!

Ein Paar in dieser Grufft verdienet noch weit mehr.


9 Der Herr von Canitz hatte sich von Wien, woselbst er damahlen als Chur-Brandenburgischer Gesandter lebte, anderer Verrichtung halber, nach Ofen verfügt, und, bey solcher Gelegenheit, dieses Trauer-Gedicht daselbst verfertiget.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 335-340.
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