Der Fiedelmann

[277] Das ist der alte Fiedelmann,

Umwallt vom grauen Bart:

Hebt der sein machtvoll Liedel an,

Tönt's ganz besondrer Art:

Wie Zauberzwang geschwinde

Lockt er vom Dorf die Kinde

Heraus zur Heidenlinde.


Und spielt er auf zum Sunnwendtanz,

Lupft sich von selbst der Fuß:

Des Burschen Haar, der Dirne Kranz

Tauscht knisternd heißen Gruß:[277]

Wer ihrer nie ward inne,

Dem weckt er füße Minne:

Bald glühen alle Sinne.


Und singt er grau vergangne Zeit, –

Von Heldentodgeschick,

Vom Heunensturm, vom Völkerstreit: –

Wie sprüht der Männer Blick!

Das hallt wie helle Harfen,

Da Könige noch die scharfen,

Die Schilddurchschmettrer warfen!


Und tiefer zieht den Schlappenhut

Der Wirrbart ins Gesicht:

Hei, wie ihm lang verhaltne Glut

Vom grauen Auge bricht:

Er singt, mit bittrem Leiden,

Vom Gram der letzten Heiden

Und von der Götter Scheiden.


»Der Eichenhain in Flammen loht!

Der heil'ge Quell ward blut'ger Pfuhl:

Frau Berta klagt: »hilf Sassenôt:

In Trümmer barst die Irmensul!«

Auf! lichtumfloss'ne Frauen

Aus götterleeren Gauen

Empor zu Asgardhs Auen!«


Und Sehnsucht füllt der Hörer Sinn. –

Da stirbt gemach der Fiedelton. –

Wo kam, wo schwand der Alte hin?

Am Saum der Heide schwebt er schon!

Noch fern klagt seine Weise:

Es ziehn ums Haupt ihm leise

Zwei Raben ihre Kreise! –

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 277-278.
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