Das Urteil Gregors VII

[311] In tiefen Sorgen stand

Der ehr'ne Hildebrand:

Gelehnt im Lateran

An eines Fensters Rand

Sah er auf dunst'ger Bahn

Die Sonne blutig sinken

Rot in den Tiberstrom:

Der ist gewohnt, zu trinken

Dein Blut und fremdes, – Rom! – –


Versunken nun mit Glanz und Glut

Die Sonne lag in schwarzer Flut,

Da warf sich nieder am Altare

Der hagre Mönch in der Tiare

Und, wie Jakob mit Zebaoth,

Rang er mit seinem Gott.

Die knoch'gen Hände hoch erhoben,

Hob er auch Herz und Blick nach oben,

Den Flammenblick, und schalt auf Gott!


»Herr, machst du wirklich mich zum Spott

Vor meinen Feinden? Nein, den deinen:

Denn dieses weißt du: – sollt ich meinen –

Ich führ' in Kampf und Rache,[311]

Im Fluch und Anathem,

Nur deine, deine Sache

Gen Heinrichs Diadem.

Ja, mein ist deine Sache

Und deine Sache mein:

Soll denn der Höllendrache

Noch nicht bezwungen sein,

Des Teufels Saat,

Der sünd'ge Staat?


Ich schüttle goldne Kronen

Von Königshäuptern stolz

Wie Sturmwind sonder Schonen

Das welke Laub im Holz.

Zu meinen Füßen lag sie,

Des Reiches Majestät,

Nachdem drei Nacht und Tag sie

Um Gnade mich gefleht.

Vom Bußhemd schon behemdet,

Lag sie von Schmach bestaubt:

Aufs neue, gottentfremdet,

Hebt sie das trotz'ge Haupt.


Und nun hast du mir grausam

Den besten Freund entrissen,

Dem ich gefolgt vertrausam:

Ich nannt' ihn: mein Gewissen!

Den Abt von Cluny nahmst du mir,

Der heil'gen Kirche höchste Zier,

Nein, nicht nur dies: Burg, Wehr und Turm

Bewährt in aller Feinde Sturm.

Das fromme Cluny steht verwaist:

Erleuchte du mich, heil'ger Geist,[312]

Wo sind' ich – rate, hilf, Sankt Peter! –

Wo sind ich einen Stellvertreter?

Wie nenn' ich ihn, den würd'gen andern?«


Er schwieg.

Da scholl's: »Gerbod von Flandern

Er ist's, den du erwartest. Amen.«


Laut und vernehmlich scholl der Namen,

Verzückt hob sich der Papst empor

Und wandte sich, den Gottesboten

Zu schauen, der ihm das entboten.

Jedoch an der Kapelle Tor

Stand nur ein junger Diakon:

»Ich meldete, Herr, öfter schon

Den Mann, der vor der Türe steht,

Doch du, versunken in Gebet ...«

Rasch rief Gregor: »Laß ihn herein!

Hoch soll er mir willkommen sein.«


Da trat in seiner Locken Helle

Ein hoher Jüngling auf die Schwelle,

In Stahl gehüllt die schlanken Glieder,

Ein Held, ein Kämpfer jeder Zoll,

Das Auge blauer Blitze voll,

Des Armes Muskeln eisenstark:

Jedoch erschüttert bis ins Mark

Warf er sich vor dem Papste nieder

Und küßte seines Mantels Saum.


Gregor schien des zu achten kaum:

»Steh auf, mein Sohn! Was stößt dir zu?«[313]

»Ich ... sah ... noch keinen Mann ... wie du!

Sah Aug' in Auge oft dem Tod ...

Doch ... was aus deinem Blicke loht ...«


»Das ist von Gott: – drum trägst du's nicht. –

Mir ward von deiner Schuld Bericht:

Du bist ein nie besiegter Degen,

Des Jähzorns Dämon schlimm erlegen:

Den Herzog Hugo von Brabant,

Den eignen Lehnsherrn, dir verwandt,

Hast du beim Jagen

Im Zorn erschlagen ...«


»Weil er mir vorenthielt den Bär,«

So schrie der Jüngling ungestüm,

»Das prachtvoll stolze Ungetüm,

Das doch nur fiel von meinem Speer ...«

Da traf den Tobenden ein Blick,

Er senkte Trotz, Haupt und Genick

Und brach ins Knie:

»Ich liege hie

Und bitte, flehe, heil'ger Mann,

Schau meine Herzverzweiflung an.

Laß nicht die Reue mich zerfleischen!

Gebeut! Was immer du wirst heischen,

Herr, ohne Zucken, ohne Zagen,

Will ich's erfüllen, leiden, tragen.«


Lang ruhn auf ihm die mächt'gen Augen,

Um an der Seele Quell zu saugen,

Dann ruft er und man bringt ein Beil.


»Mein Sohn,« spricht er, »dein Seelenheil

Verlangt, daß du auf immerdar

Ihr absagst, die dein Dämon war:[314]

Der Weltlichkeit, der Lust am Leben:

Dem Herrn sollst du zum Opfer geben

Helm, Waffenruhm und Ritterschaft ...«


»Nein!« schrie der Jüngling grauenhaft.


Jedoch Gregor fuhr fort: »den Speer

In Jagd und Kampf hebst du nie mehr,

Für immer gürtst du ab das Schwert:

Und daß dir's wirksam sei gewehrt,

Abhack' ich, Gerbod von Brabant,

Dir die verfluchte rechte Hand,

Mit der du deinen Herrn erschlagen. –

Wirst du das ohne Zucken tragen?

Dafür sprech' ich dich los von Schuld

Und segne dich mit Gottes Huld.

Ich seh's, du willst: dich zwingt die Reue ...

Dein Herz gelobt's in rechter Treue.


Noch einmal laß dich fragen:

Wirst's ohne Zucken tragen?

Du willst? So leg' die rechte Hand

Auf dieser Marmorstufe Rand:

So, recht! – Nun aber woll'n wir sehn,

Ob's ohne Zucken wird geschehn.«


Der Deutsche legte fest die Hand

Auf jener Altarstufe Rand

Und hielt den Blick zum Papst gewandt.


Der aber hob in Eil'

Das scharfgeschliffne Beil

Und schwang's und sah ihm ins Gesicht: – –

Er zuckte mit der Wimper nicht,

Und zuckte nicht mit Arm noch Hand,

Fest auf Gregor den Blick gewandt.
[315]

Da warf der Papst in Eil'

Hinweg das scharfe Beil

Und schloß mit heißen Tränen

Den Jüngling an sein Herz:

»Gott hat gestillt mein Sehnen,

Geheilt mir Gram und Schmerz.

Ja, junger furchtlos kühner Held,

Von Buße nur das Herz geschwellt

Und bis zu schärfster Schmerzensnot

Gehorsam meinem Machtgebot,

Nein: meinem nicht: Gott selbst: – du bist

Den ich erbat zu dieser Frist!

Nach Frankreich! Rasch! Auf heil'gen Wegen!

Nimm, Abt von Cluny, meinen Segen.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 311-316.
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