Unwillkürlich

1.

[5] O Himmel, wie blauest du lieblich,

Wie wehest du heiter, o Luft!

Wie wohl ist dir, meine Seele,

Da wieder der Frühling ruft!


Ihr Lüfte, lehrt mich, wie ich finde,

Die Reime zu diesem Lied,

Das mit dem lenzigen Winde

Durch alle Adern mir zieht!


Beseelet mich, rosige Thale,

Ihr Berge, ihr duftigen Höhn,

Der Vorzeit moosige Male

So ruhig, so trümmerschön!


Wie soll ich euch singen, ihr Wälder,

Ihr Wiesen, so roth, so grün!

Wie hör ich die Wasser der Fluren

So sanft durch die Blumen ziehn!


Du frisch, du jugendlich Wehen,

O wie erquickst du mein Herz –

Ich kann nur lauschen und sehen

Erden- und himmelwärts.


2.

[6] Da wandelt des freundlichen Weges

Ein blühendes Mädchen daher,

Sie suchet sich Veilchen und Nelken,

Sie suchet vielleicht was mehr.


Sie steht auf blumigem Raine,

Freiragend ins helle Blau,

So stolz, so herrlich, so reizend,

Daß ich verwundert schau.


Was ist mit mir geschehen?

Bin ich verzaubert nicht?

Aus meinem Frühlingsliedchen

Wird nun ein Liebesgedicht.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 5-7.
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